Sarah Morrow (USA/F)

"Posaune in Paris"

Die Posaunistin Sarah Morrow habe ich 1997 zum ersten Mal auf einer Bühne gesehen, da spielte sie im Berliner Quasimodo mit dem Bassisten der letzten Miles Davis Band, Foley. Da war sie die einzige Musikerin (neben vier Sängerinnen), und Foley sagte extra bei der Vorstellung „Oh nein, gebt ihr keinen Extraapplaus dafür, dass sie ein Mädchen ist!“ „So ist Foley halt“ lacht die inzwischen 29jährige Sarah Morrow. Für sie hat sich seither viel geändert. Nicht nur, dass sie inzwischen CDs unter eigenem Namen auf den Markt gebracht hat, sondern auch, dass sie seit geraumer Zeit in Paris lebt. Und Jazz und Paris sind zwei Begriffe, die wunderbar zusammen passen. Man kann nicht nur den „April in Paris“ verbringen, sondern auch noch singen „Ganz Paris träumt von der Liebe“. Denn die war mit ein Grund, dass die 29jährige in die Stadt an der Seine gezogen ist. Der andere Grund war das fast schon märchenhafte Angebot einer Plattenfirma, die ihr einen Vertrag vorschlug. Und weil sich die Posaunistin in eine lange Reihe amerikanischer Jazzmusiker in Paris einreihen kann, hat sie mit „Sarah Morrow & The American All Stars In Paris“ gleich eine Liebeserklärung an die Stadt aufgenommen.

Melodiva: Die Märchengeschichte, dass die Plattenfirma dich in Paris haben wollte, kann ich gar nicht glauben….

Morrow: Die Geschichte stimmt aber. Ich war oft in Frankreich unterwegs, mit Ray Charles, mit Foley und mit Dee Dee Bridgewater. Da sammelte ich schon eine Reihe Kontakte. Eine Plattenfirma wollte mit mir arbeiten, was aber schlecht ginge, wenn ich so weit weg wohnen würde. Nach zwei Jahren sagte ich endlich ja. Jetzt lebe ich in Paris, bin aber oft unterwegs. Ich bin Posaunistin, und ich fing gerade an, meine Bands zu gründen. Keine Plattenfirma kann es sich leisten, eine noch unbekannte Künstlerin samt Band einzufliegen.

Melodiva: Hast du das Gefühl, in den Footsteps der großen Jazzmusiker, die schon in Paris gelebt haben wie Bud Powell oder Miles, zu leben?

Morrow: In gewisser Weise ja. Je mehr ich lerne, desto dankbarer bin ich für die Situation, in der ich bin. Die europäische Kultur ist so großartig und mein Blickwinkel auf die Stadt hat sehr viel in mir verändert. Ich liebe die Architektur in Frankreich. Ich komme aus dem Mittleren Westen, und da gibt es nur Shopping Malls. Kein Gebäude ist älter als 50 Jahre. Ein Land wie Frankreich hat Geschichte.

In Amerika ist Kunst nicht so sehr als Teil unserer Gesellschaft respektiert. Deswegen haben Künstler viele Probleme. Hier ist das anders. Kunst umgibt einen, vielleicht ist deswegen viel leichter. Ich fühle mich nicht schuldig, mein Leben als Musiker zu bestreiten. Ich werde weniger gefragt, was denn nun mein „echter“ Job wäre. Und viele Musiker blieben, weil sie in den USA als Schwarze sehr schlecht behandelt wurden. In Paris wurden sie wie Könige hofiert und niemand wurde wegen seiner Hautfarbe diskriminiert.

Melodiva: Eigentlich schreibst du selber Stücke, hast aber für deine neue CD Klassiker ausgewählt.
Morrow: Das hat zum einen damit zu tun, dass die Musiker Rhoda Scott und Hal Singer dabei sind, die ihre Wurzeln in dieser Mischung aus Jazz und Gospel haben. Musiker wie (Bassist) Wayne Dockery und John Betsch spielen mehr frei. Wir haben nach Common Ground gesucht, der war im straight ahead feel. Zum anderen ist es der Respekt für die Geschichte, die Verbindung zwischen Paris und New York. Ich wollte Stücke haben, die in den 50er Jahren sehr populär waren.
Melodiva: Wie kamen die beiden musikalischen „Camps“ miteinander aus? Die freien Spieler und die Traditionalisten?
Morrow: Ich wollte amerikanische Musiker, die in Paris wohnen. Den 86jährigen Saxophonisten Hal traf ich bei einer Geburtstagsparty und wir verstanden uns sehr gut. Seine Frau sagte, dass wir eine Band zusammen haben sollten. Wayne hat in den 60ern und 70ern Geschichte gemacht und in den letzten 20 Jahren mit Archie Shepp gespielt. Johns Ride Cymbal ist toll, der erzählt so viel mit nur einem Schlag. Orgel wollte ich haben, weil Rhoda eine solche Legende ist. Als ich sie das erste Mal hörte, wußte ich, dass ich mit ihr zusammen spielen muß. Sie inspiriert mich auch als Frau. Sie ist die erste Frau, die viel erreicht hat – ein richtiges Role Model.

Die WAHRE GESCHICHTE mit Ray Charles….

Melodiva: Du hast als einzige Frau und einzige Weiße in der letzten Band von Ray Charles gespielt…
Morrow: Und ich erzähle dir mal die wahre Geschichte, wie ich den Job bekommen habe. Ray Charles hatte ein Programm mit einem Sinfonieorchester, und der erste Posaunist traute sich das „Jazzzeug“ nicht zu, also wurde ich gefragt. Ich fand es großartig, mit Ray zu spielen, und am letzten Abend hatte ich das Gefühl, ich muß fragen, ob es in seiner regulären Band freie Stellen gibt. Ich habe backstage gewartet, bis der Manager rauskam, ein Typ in Nadelstreifen und mit Köfferchen, der eher nach einem schwarzen Anwalt aussah. Den fragte ich ganz mutig, ob es freie Stellen in Ray Charles Band gäbe. Er guckte an mir runter, fragte, was ich spiele, und auf meine Antwort „Posaune“ sagt der tatsächlich nur „how sweet“ und geht an mir vorbei. Ich war so sauer, dass ich ihm hinterher brüllte „Ich habe heute Abend Leadposaune gespielt!!!“ Der Typ drehte sich auf dem Absatz um und meinte, dann müssen wir miteinander reden, da Ray schon von der ersten Posaune gesprochen hatte. Die Gigs und die Reisen waren fantastisch, und ich muß ehrlich sagen, dass ich weniger Probleme hatte, die einzige Frau in der Band zu sein, als die einzige Weiße. Dauernd wurde gesagt „wieso konnte man da nicht auch eine(n) schwarze(n) Musiker(in) finden“.

Melodiva: Welche Probleme siehst du speziell als Musikerin?
Morrow: Erst einmal eine Gegenfrage: Warum macht ihr eure Zeitschrift denn nicht weltweit und in englisch? Ich finde eine Musikerinnenzeitschrift eine tolle Idee!
In der männlichen dominierten Welt Musik zu machen ist immer noch schwierig, wird aber besser. Interessanterweise liegt für mich das Problem meist gar nicht in männlicher und weiblicher Art zu musizieren, sondern an ganz anderen Punkte, die die wenigsten nennen.
Ich bekomme öfter von Musikern zu hören: „Ich würde dich sehr gerne für meine Band engagieren, weil du eine tolle Musikerin bist. Aber ich kann es nicht, weil meine Frau mir die Hölle heiß macht. Die will nicht, dass ich mit einer Musikerin mehrere Wochen auf Tour bin.“

Artist Page: www.sarahmorrow.com

Aktuelle CD: „Sarah Morrow & The American All Stars In Paris Featuring Rhoda Scott & Hal Singer“ (Loop / Harmonia Mundi – 2005)

CD: Sandra Morrow – Standards and Other Stories (2002)

CD: Sandra Morrow – Greenlight (2000)

Text: Angela Ballhorn – Berlin

Erschienen: Dezember/Januar 2005/06

Copyright: Redaktion Melodiva

Autorin: Angela Ballhorn

29.12.2005