Mimi Fox (USA)
Die Meisterin der Jazzgitarre
Manchmal wundert man sich ja wirklich. Ich bekam „Perpetually Hip“ auf den Schreibtisch, eine hervorragende Doppel-CD einer amerikanischen Jazzgitarristin namens Mimi Fox.
Dieser Name war mir noch bislang nie untergekommen und die genannte CD war schon die siebte der Musikerin.
Deshalb wird es allerhöchste Zeit, ein bisschen nachzufragen:
In den Jahren 2003 bis 2005 konnte sie den Down Beats Critics Poll gewinnen. „Perpetually Hip“ ist ihre neueste Doppel-CD, einmal mit hervorragend eingespielter Band (Xavier Davis – p, Harvie S. – b, Billy Hart – dr), einmal mit Sologitarre. Die Gitarristin aus San Francisco spielt und unterrichtet viel. Eine ihrer Initialzündungen in Sachen Jazz erhielt sie von der Legende Joe Pass. Vor 15 Jahren sei sie noch sehr schüchtern gewesen, erzählt Mimi Fox. „Nach einem Konzert traute ich mich, ihn um Unterricht zu fragen und kam am nächsten Tag in sein Hotel. Er war in Hausschuhen und sehr unfreundlich. Spiel was, bellte er, und nach dem ersten Stück sollte ich weiter machen. Erst nach acht Stücken sagte er endlich, dass ich gut spiele. Ich könne mir nicht vorstellen, dass Leute sich trauen, ihn um Unterricht zu bitten und nicht mal einen 12taktigen Blues spielen können!“
Melodiva: Wie ist es möglich, daß ich deinen Namen jetzt zum ersten Mal höre? Immerhin ist „Perpetually Hip“ deine siebte Veröffentlichung.
Mimi Fox: Ich habe keine Ahnung. Ich bin nicht oft in Europa auf Tour. Ich sollte vor ein paar Jahren Artist in Residence an der Jazz & Rockschule Freiburg sein, aber das klappte im letzten Moment nicht. Ich spiele sehr oft an anderen Stellen der Welt, aber Deutschland interessiert mich sehr. Ich habe dort eine gute Freundin, die Organistin Barbara Dennerlein. Wir haben in Cork zusammen gespielt, aber unsere Terminpläne sind schwer zu koordinieren.
Melodiva: Was hat dich an der Gitarre fasziniert?
Mimi Fox: Meine Familie hat sich eine Menge Musik angehört. Aber wie jeder habe ich die Pop- und Rockmusik meiner älteren Geschwister gehört. Bevor ich mit Gitarre angefangen habe, war ich Schlagzeugerin. Leider habe ich nicht mehr so viel Zeit, aber es steht immer noch ein Set in meinem Studio. Meine Eltern hörten sich Jazz an. Gitarre spielt jeder, deshalb wollte ich das auch. Sobald ich mit zehn Jahren angefangen hatte, habe mich mit allem anderen aufgehört. Ich habe mir alles Note für Note von Platten beigebracht, jede einzelne Stimme der Beatles Platten meiner Schwester. Ich liebe das Instrument so sehr, ich habe nicht mehr mit meinen Freunden gespielt. Ich sagte immer nur „Nein ich spiele gerade Gitarre“. Manche Leute suchen das ganze Leben nach ihrer Leidenschaft, der Sache, die sie über alles lieben. Ich hatte das Glück, „mein“ Ding schon sehr früh gefunden zu haben.
Melodiva: Was hat dich zum Jazz gebracht? Das ist ja etwas kompliziertere Musik als die der Beatles.
Mimi Fox: Weil meine Eltern so tolle alte Platten hatten. Ich habe Louis Armstrong, Sidney Bechet und Gene Krupa gehört. Meine Mutter hat sich alte Standards angehört und auch ein bißchen gesungen. Ich liebte diese Musik, weil meine Eltern die Musik liebten. In der Schule gab es keine Gitarre für die Schulband, aber Schlagzeug. Also war ich Drummerin in Junior High und High School. Das hat meine Liebe zum Jazz gefüttert. Einige der Mitmusiker haben mir Herbie Hancock und John Coltrane vorgespielt, also moderneren Jazz. Dann habe ich eher zufällig John Coltranes „Giant Steps“ gekauft, weil die Platte im Ausverkauf war. Da war ich 14 und hatte noch nie sowas gehört. Das hat mich verändert. Mit meinen Kumpels habe ich zu der Zeit Popmusik gespielt, mit der Gitarre Stücke von Stevie Wonder etc gespielt, in der Jazzband habe ich getrommelt. Als ich von New York nach San Francisco gezogen bin, traf ich Bruce Forman, einen Jazz-Bebop-Gitarrist. Mit 23 habe ich begonnen, mich der Jazzgitarre zu widmen und habe jeden Tag eine Menge Stunden geübt. Ich habe sogar meine Gigs gestoppt, weil ich sechs bis acht Stunden oder mehr geübt habe.
Melodiva: Wer hat dich auf der Jazzgitarre beeinflußt?
Mimi Fox: Bruce Forman, der mein erster Lehrer war. Joe Pass in seinem Solospiel, Wes Montgomery und Pat Martino. Ich hatte erst kürzlich das Vergnügen, mit Pat Martino bei einem Wes Montgomery Tribute zusammen zu spielen. Am meisten haben mich Wes Montgomery und Grant Green beeinflußt. Und ich liebe klassische Gitarre, weil ich nicht nur Jazz liebe. Ich höre gern John Williams, Julian Bream und Segovia.
Melodiva: Wie bist du als Jazzgitarristin ausgerechnet auf Steve Vais Label gelandet?
Er hat noch ein paar andere Jazzer: Larry Coryell, Stanley Jordan und Allan Holdsworth haben auch auf Favored Nations veröffentlicht. Steve Vai ist unabhängig vom Stil ein großer Gitarrenfan. Freunde haben mir von Steves Label erzählt und er war nach meinem Promo-Package interessiert.
Melodiva: Wie arbeitest du an Arrangements für Sologitarre? Wie kann man die Spannung für fünf Minuten auf höchsten Level halten?
Mimi Fox: Joe Pass hat mir da sehr geholfen. Allerdings ist mein Approach etwas moderner. Viele Gitarristen gehen nach der Melodie in Walking Bass mit Akkorden zum Improvisieren. Ich dagegen fange manchmal mit der Improvisation an und spiele das Thema erst gegen Ende. Viele Leute haben Angst, daß sie Energie oder die Aufmerksamkeit des Publikums verlieren, wenn sie nicht in Walking Bass gehen. Mit starken Melodien braucht man keine gehämmerte Basslinie. Auch sollte man die Form der Stücke auflockern. Der Zuhörer sollte seine eigene Intelligenz benutzen. Meine Zuhörer lieben Jazz, und selbst wenn nicht, sind sie glücklicher, wenn sie sich nicht zurücklehnen und „entertain me“ sagen müssen. Ich will, daß sie mit mir auf die Reise gehen. Ich erwarte mehr vom Publikum. Leben ist Überraschung, ich improvisiere, ich überrasche. Von den Standards, die ich spiele, gibt es so viele Versionen, da muß ich etwas frisches finden.
Mimi Fox – live auf der Musikmesse in Los Angeles: „NAM-Show“
Melodiva: Was ist attraktiver für dich? Im Bandkontext oder solo spielen?
Mimi Fox: Ich mag beides. Die Band ermöglicht mir, meine etwas komplizierteren Kompositionen zu spielen, die einfach mehr Musiker brauchen. Solospiel bin ich und ich bin für alles verantwortlich. Das ist eine große Herausforderung. Ich mag beides. Vielleicht ist es solo schwieriger, die Aufmerksamkeit zu kriegen. Das ist allerdings in allen anderen Ländern einfacher als in den Staaten. Die Leute hier leiden leider an einer unglaublichen Dummheit.
Melodiva: Nach was für Kriterien suchst du dir dein Material aus?
Mimi Fox: Das Stück muß eine starke Melodie haben, die ich dann reharmonisiere. Ich versuche immer, die Melodie als wichtigstes zu nehmen. Und dann muß ich eine „good story“ daraus machen . Wenn der Song gut ist, kannst du alles mit ihm machen. Auf meiner CD habe ich „When The Saints“ reharmonisiert, auch einfache Stücke kann man spannend gestalten.
Melodiva: Was für ein Soundideal verfolgst du?
Mimi Fox: Ich bin da ein ganz altmodisches Mädchen. Ich klinge so dumm mit Effekten, deshalb habe ich einen sehr akustischen Sound. Ich spiele Archtop und muß zum verstärken einstecken. Ich liebe einen warmen, natürlichen Sound. Ich möchte eine Stimmung nur durch mich kreieren, nicht durch Effekte. Meine Effekte sind harmonisch oder rhythmisch. Das muß ich aber selber machen, nicht ein Effekt. Als Teenager habe ich das probiert und fand es sehr langweilig. Wenn ich mit meiner Archtop unterwegs bin, steht mein Reverb ungefähr auf 0.5. Ich liebe den Sound des Holzes und der Saiten.
Melodiva: Du bist Musikerin – muß man immer noch doppelt so gut sein wie männliche Musiker, um akzeptiert zu werden?
Mimi Fox: Schon allein die Tatsache, daß du die Frage stellst, sagt schon alles. Du mußt mindestens doppelt so gut sein. Weißt du wir hatten noch nie eine Präsidentin in den Vereinigten Staaten. Es ist traurig, aber es fühlen sich Männer (und auch Frauen) nicht wohl damit, wenn eine Frau auf einem untypischen Gebiet sehr gut ist. Wenn ich eine gute Mutter wäre, dann würde ich gelobt. Eine gute Musikerin wäre besonders. Ich würde mir wünschen, daß es normaler wäre. Aber auf meinen Reisen sehe ich, daß es mehr und mehr normal wird – an jedem Instrument. Es verändert sich, aber nicht schnell genug. Es sind schon Musikerinnen nach San Francisco gezogen, um bei mir Unterricht zu nehmen.
Frauen haben oft nicht den gleichen Zugang zur Anerkennung. Sheryl Bailey sollte man mehr kennen, Leni Stern, die eine gute Freundin von mir ist. Aber wir leben in einer sehr primitiven Zeit, trotz Computer. Und die USA leben in schwarzen Zeiten mit diesen Präsidenten, der mich sehr aufregt. Wenn ich vor 20 Jahren zu einer Jamsession gegangen bin und meine Gitarre eingesteckt habe, wurde ich trotzdem immer gefragt, was ich denn singen wolle. Das ist meine Gitarre, kannst du die nicht sehen? war dann immer meine Standardantwort. Deshalb bleiben Frauen oft frustriert weg von den Sessions, aber wie sollst du bekannt werden? Der Start ist sowieso schwer, warum werden den Frauen durch Dummheit noch mehr Steine in den Weg gelegt.
Vielen Dank fürs Gespräch!
Diskographie
Aktuelle Doppel-CD MIMI FOX: „Perpetually Hip“ (Favored Nations -2006)
CD: Mimi Fox + Greta Matassa „Two For The Road“ (Origin Records – 2003)
CD: Mimi Fox „Standards“ (Origin Records- 2001)
Copyright: MELODIVA
Autorin: Angela Ballhorn
29.03.2006