Meshell Ndegeocello/USA

"Ich möchte nicht vorbestimmt werden".

Dass Me’shell sich vor ihrem Soundcheck noch die Zeit für ein kurzes Interview nehmen würde, grenzte an ein Wunder nachdem das erste Statement des Managements „keine Interviews“ lautete. Auch wenn sie zu Anfang fragte, wann wir denn fertig wären, sie hasse Interviews, hat sich doch noch ein interessantes Gespräch ergeben. Das Konzert der doch recht kleinen Bassistin und Sängerin war powerful und funky, wie die neue CD auch. Sehr empfehlenswert!

Bass, Keyboard, Vocals, Komposition: ME SHELL Ndegeocello

Das Interview:

Melodiva: Wolltest du immer schon Musikerin werden?

Me’Shell NdegéOcello: Nein, ich wollte Wissenschaftlerin werden. Ich wollte jemand sein, der neue Theorien über das Universum entwickelt. In meiner freien Zeit heute sitze ich da und frage mich, wie das alles um mich herum passieren konnte, die Natur, das Universum. Das unterscheidet uns von den Tieren. Dieser überentwickelte Instinkt

Melodiva: Was hat dich zum E-Bass gebracht? Der E-Bass ist ja noch immer kein typisches Fraueninstrument.

NdegéOcello: Jeder kann jedes Instrument spielen, das ist meine Überzeugung – wenn er die Möglichkeit dazu bekommt. Mein Bruder hat in einer Gogo-Band Gitarre gespielt und sein Freund hat den Bass bei uns Zuhause gelassen. Ich habe den Bass in die Hand genommen und mochte das Instrument – außerdem konnte ich dann mit meinem Bruder zusammen Musik machen. Das fand ich schon ziemlich cool.

Melodiva: Welche Musiker haben dich beeinflusst?

NdegéOcello: Das waren ganz unterschiedliche Bassisten. Prince ist einer meiner allerliebsten Bassisten. Sting finde ich auch toll, Jaco Pastorius hat mich mit seinen Kompositionen wesentlich mehr beeinflusst als reiner Instrumentalist. Ich glaube, dass ich mehr durch Musik als nur durch Bassisten beeinflusst worden bin. Ich mag verschiedene Musikstile ohne Favoriten.

Melodiva: Du bist aber viel mehr als „nur“ eine singende Bassistin. Deine Texte sind mindestens genauso wichtig, wenn nicht gar noch wichtiger als die Musik.

NdegéOcello:
Für mich gehen Musik und Texte zusammen und sind für mich gleich wichtig. Ich hoffe, dass die Zuhörer sowohl von der Musik als auch den Texten etwas mitnehmen können. Hoffentlich machen sie mit meiner Musik eine gute Erfahrung.

„Meine Stücke entwickeln sich immer anders“

Melodiva: Wie arbeitest du an deinen Stücken? Zuerst die Texte, dann die Musik?

NdegéOcello: Manchmal sind die Texte zu allererst da und ich schreibe die Musik für die Texte. Manchmal habe ich die Musik als erstes und schreibe die Texte dann auf die Musik. Da ich mich immer nur mit Musik beschäftige geht das alles Hand in Hand. Ich mache das mit diesen Maschinen, die ich mit mir rumschleppe (zeigt auf ihr Harddiscrecording-Teil, das sogar in der Garderobe im Backstage-Bereich aufgebaut ist).
Meine Stücke entwickeln sich immer anders. Ich mache ein Tape mit den Stücken. Manchmal mag ich es genauso, wie ich es auf das Tape gespielt habe. Manchmal möchte ich die Themen noch mehr visualisieren. Dann brauche ich noch mehr Farben. Das ist dann das Tolle, wenn man mit einem Produzenten zusammen arbeitet. Ich schreibe ein paar Stücke und es ist prima, wenn dich jemand mit seinen Ideen weiter bringt. Vielleicht hat er genau die Idee für ein Stück, auf die du selber gerade nicht kommst. Du bist immer herausgefordert mit deinen eigenen Stücken und deinem Produzenten.

Melodiva: Ist es eigentlich schwierig die Sachen die du schreibst und für ein Album produzierst wieder live auf die Bühne zu bekommen? Zumindest sind bei den Studioversionen eine Menge Samples, Loops und schräge Strukturen zu hören….

NdegéOcello: Das ist überhaupt nicht schwierig. Eine Platte machen ist eine Platte machen, Musik machen ist Musik machen. Ich versuche, die zwei Sachen immer getrennt zu sehen. Wenn ich mit meiner Band auf der Bühne bin, dann machen wir, was für die Bühne am besten funktioniert und natürlich was am besten für uns Musiker ist. Ich spiele auf meinen Alben viele der Instrumentalspuren selber ein. Ich will aber überhaupt nicht, dass meine Band-Mitglieder, wie ich auf der Platte klingen. Wir stehen da oben und versuchen wir selber zu sein und probieren eine kollektive Erfahrung rüberzubringen. Ich schreibe die Songs und was live meiner Erfahrung nach am besten funktioniert ist, wenn du deinen Mitmusikern freie Bahn lässt und sie sie selber sein lässt. Wir improvisieren.
Wir machen improvisierenden HipHop oder R’n’B oder Jazz. Die Songs sind Strukturen in denen wir unsere Musikalität ausleben und die Songs zum Leben erwecken können. Es gibt keine Tänzer und andere Sachen, die von der Musik ablenken könnten und wenn du auf eine ehrliche Darbietung stehst, dann komm zu unserer Show.

„Ich sehe mich eher in einer dirigierenden, führenden Rolle“

Melodiva: Verwendest du viele Loops und Samples?

NdegéOcello: Nein, ich habe nur ein paar Samples von den Gedichten die ich auf der Platte verwende. Das war sowieso komisch mit der Cookie-Platte. Ich wurde gefragt ob ich nicht noch ein paar berühmte Leute auf der Platte haben wollte. Die Leute die ich mag, mag anscheinend niemand sonst. Wie zum Beispiel meinen DJ, der tolle Collagen machen kann: Er hat Radiohead und Lester Bowie (2001 verstorbener Jazztrompeter, der immer im weißen Laborkittel vor seiner Band stand) als Tod und Leben neben einander gestellt. Aber wozu brauche ich Loops, solange ich Oliver Gene Lake am Schlagzeug habe? Es gibt keinen Rhythmus den er nicht spielen kann! Vielleicht bin ich die letzte Bastion des Live-Spielens. Ich hoffe, dass die Leute eine gute Erfahrung mit meiner großen musikalische Collage haben.

Melodiva: War es schwierig, die vielen verschiedenen Zitate und Ausschnitte von Gedichten von Angela Davis bis hin zu Gil Scott Heron zu finden?

NdegéOcello: Nein, ich war oft in der Bücherei und habe mir die Sachen durchgehört. Die, die mir gefallen haben habe ich genommen, ohne große Hintergedanken.

Melodiva: Wenn du auf der Bühne bist, singst du in erster Linie.

NdegéOcello: Nein, ich spiele auch Bass. Wir haben zwei Bassisten in der Band. Ich bin in einer etwas merkwürdigen Situation. Es wäre für mich hybrid, wenn ich singen und gleichzeitig auch noch Bass spielen würde. Ich sehe mich eher in einer dirigierenden, führenden Rolle. Wir sind eine gigantische Drum Machine und wir manipulieren die Sachen auf unserem Mixtape. Manchmal spiele ich Bass. Ich starte ein Stück und nagle den Groove, aber wenn du die Person vorne auf der Bühne bist, ist es schwer, gleichzeitig zu singen und zu spielen. Ich mache als nächste Platte ein Jazzalbum für das Label Verve. Das wird ganz anders sein, da ich da nicht singen werde. Aber als Sänger musst du auch mit dem Publikum kommunizieren, und das geht sehr schlecht, wenn man dazu noch Bass spielt. Wenn ich spiele bin ich zu sehr mit der Band verbunden, dann spreche ich nicht mehr mit dem Publikum.

„…eine Pause oder Abstand zwischen Eltern und Teenagern…“

Melodiva: Du lässt dir Zeit für deine Produktionen und du bist auch nicht sehr oft auf Tour. Was machst du eigentlich „dazwischen“? Studiojobs?

NdegéOcello: Nein, ich mag es, auch mal nicht zu spielen. Ich mache Kunst, ich mache Kunstwerke mit meinem Kind, wir hören Musik, wir lassen es uns gut gehen und ich lese viel. Aber ich liebe es, nichts zu tun. Wenn ich dauernd mit Musik beschäftigt wäre, wäre es nicht mehr so spannend, deshalb ist es gut zwischendurch auch mal eine Pause zu machen.

Melodiva: Ist dein Sohn immer noch mit dir auf Tour?

NdegéOcello: Nein, er tourt nicht mehr mit, er ist auf einer Schule, die wie eine Farm ist. Das amerikanische Schulsystem ist ziemlich schlimm, und ich bin froh, dass ich eine Schule gefunden habe, die mehr ganzheitlich orientiert ist und den ganzen Menschen einbezieht. Normalerweise geht man nicht zur Schule, um ein kreativer Denker zu werden, was ich sehr schade finde. Wenn ich keine Musik mache, verbringe ich die ganze Zeit mit ihm. Allerdings braucht man manchmal auch eine Pause oder Abstand zwischen Eltern und Teenagern. Wir sind uns sehr ähnlich, wir leben beide in unseren eigenen Welten. Mein Job ist es Musik zu machen…
Er ist jetzt 14 Jahre, für mich noch ein Kind, denn ich habe mich noch mit über 20 unerfahren und kindlich gefühlt.

„Ich möchte nicht vorbestimmt werden“

Melodiva: Wolltest du jemals ein Star werden?

NdegéOcello: Ich möchte kein Rockstar sein, ich möchte nur meine Sachen machen. Wenn zehn Leute meine Sachen gut finden, bin ich glücklich damit und wenn mich Leute anrufen und mich als Bassistin anheuern ist das auch toll, aber ein Star möchte ich nicht sein. Ich möchte selber Sachen machen und nicht vorbestimmt werden. Aber es gibt auch Grenzen. Hier in Deutschland seid ihr bezahlbar krankenversichert, oder? In den USA muss ich gucken, dass ich meine Rechnungen bezahlen kann und auch die Schulen sind nicht kostenlos. Und was für einen Job sollte ich außer der Musik ergreifen?

Britney Spears wird nicht immer attraktiv sein, deshalb ist ihr Marketing jetzt auf sie abgestimmt. Kauft Klamotten, Platten und Parfüm! Ich habe diese Fähigkeiten nicht. Ich suche nur eine Nische um kreative Musik zu machen. Und letztendlich muss ich herausfinden, wie ich meine Sachen am besten vermarkte um meine Krankenversicherung und die Schule meines Sohnes bezahlen zu können. Das ist die Platte des Lebens… Was sollst du machen, wenn die Kunst dein Leben ist? Die Plattenfirma will dich aber nach einem bestimmten Image haben und das ist ein Witz.
Viele Leute haben mich nach dem `Mixtape‘ gefragt, wie es war mit Missy Elliott und Redman zu arbeiten. Ich habe sie noch nie zuvor in meinem Leben getroffen! Ich wollte diese Leute nicht auf meiner Platte haben, weil meine Platte ohne die Remixes rund war, denn sie bildet in sich einen Kreis. Das Ende ist der Anfang und der Anfang ist das Ende. Und da kommt die Plattenfirma und knallt mir da diese „Kunststücke“ dazwischen. Die sagen halt „dein Name sieht gut aus mit diesen beiden anderen Namen zusammen“. Es geht nur um Marketing. Das Radio zahlt für bestimmte Produkte. Da kann ich nicht mithalten! Darum ist das Internet und der Satellit so klasse – da kannst du dir Musik der letzten 100 Jahre anhören und bist nicht von den Radiocharts abhängig.

Ich kann nur ich selber sein

Melodiva: Hat die Zusammenarbeit denn trotzdem geklappt?

NdegéOcello: Die Zusammenarbeit mit den `Stars‘ hat meiner Meinung nach überhaupt nicht funktioniert. Ich kann nur ich selber sein. Leute hören doch, dass ich das nicht bin. Das ist, wie Platten vermarktet werden. Echt ein Witz! Und dieser Part der Platte hat mehr als die Hälfte der gesamten Aufnahmen gekostet…..
Ich habe ein paar bekannte Leute gefragt, aber für die gab es nicht genug Geld. Aber für mich ist das kein Spiel. Ich werde mich nicht schick anziehen um nett auszusehen. Ich bin aufgewachsen mit der Musik von Stevie Wonder, Bob Marley, Level 42, Sting, Led Zeppelin und Jethro Tull, Bob Dylan, Joni Mitchell und Charles Mingus. Deren Musik ist kein Witz. Miles Davis ist kein Witz! Zumindest für mich nicht. Ich hoffe, dass mir die Jazzplatte in dieser Hinsicht mehr Spaß macht. Da kann ich dann hoffentlich frei sein. Ich möchte einfach nur gute Musik machen!

Melodiva:
Wie kommt der Affe auf dein Cover?

NdegéOcello: Das ist meine Monkey Boy Juke Box! Kennst du nicht diese Spielzeugaffen, die man aufzieht und die dann ganz hektisch in die Hände klatschen? Das ist das Radio für mich! Wenn jemand ein bestimmtes Stück immer und immer wieder spielt und dir erzählt, dass du es toll finden musst, dann tust du das irgendwann. Ist das nicht fürchterlich?

Discografie:

CD – „Cookie: The Anthropological Mixtape – The Funky Queen on Bass..“, 2002

www.meshell.com

Copyright: Redaktion Melodiva

www.freemyheart.com
Autorin: Angela Ballhorn

31.01.2003