Irène Schweizer (CH)

Die "Canaille" am Piano

Riskiert man einen Rückblick in „Frauen im Jazz“, so kommt man um eine Frau nicht herum: Die Grande Dame des freien Klavierspiels, Irène Schweizer. Vor 40 Jahren hatte sie begonnen, sich in einer noch viel stärker als heute männerdominierten Musikrichtung zu behaupten.

„Du mußt doppelt so gut sein wie männliche Musiker, um akzeptiert zu werden“ sagt sie selber. Die Akzeptanz der Musiker hat sich die 64-jährige schon lange erkämpft. Auf Festivals mit so schönen Namen wie „Taktlos“, „Canaille“ „Uncool Festival“ oder dem „Total Music Meeting“ kann man sie oft antreffen. Sie ist zudem nicht nur eine Musikerin, die sich alleine gegen die männliche Vorherrschafft durchgeboxt hat, Irène Schweizer zieht auch andere Frauen mit. Schließlich spielt sie regelmäßig mit der FIG, der Female Improvising Group. Legendär sind auch ihre Konzerte mit dem Damentrio Les Diaboliques. Zum 60. Geburtstag konnte man denn erleben, wie die feministischen Volten vergangener Jahre wieder auferstanden. So manch einem Mann im Publikum wurde es wahrscheinlich ganz anders, als die Sängerin Maggie Nichols als hysterische Hausfrau samt Besen über die Bühne jagte und die Bassistin Joelle Leandre laut schreiend daneben stand.

„Es gibt ja leider heute immer noch Festivals, zu denen nicht eine einzige Musikerin eingeladen wird“ seufzt die Pianistin. Ihre ersten Soloalben hießen programmatisch Wilde Senoritas oder Hexensabbat. Jetzt, nach fast 25 Jahren wurden sie zu Schweizers 60. Geburtstag vom Zürcher intakt-Label als Doppel-CD wieder aufgelegt. Das intakt-Label gehört mit zu Irène Schweizer, die es 1983 mit begründete. Das war notwendig, da das Output der Pianistin die Veröffentlichungskapazitäten jeder Plattenfirma sprengen würde. „Mein Verhältnis zu Intakt-Records ist ein sehr enges“ sagt Irène Schweizer. „Ich war Mitbegründerin, weil ich dringend einen Verlag brauchte, der meine – damals noch LPs und heute CDs – in der Schweiz vertreibt. Die LP’s, die ich in den 70er Jahren auf FMP aufgenommen habe, waren in der Schweiz sehr schlecht bis gar nicht erhältlich.“

Ein paar biographische Anmerkungen zu dieser hartnäckigen und zielstrebigen Musikerin:

1941 im schweizerischen Schaffhausen geboren, begann Irène Schweizer erst im Alter von 12 Jahren mit dem Klavierspiel. Autodidaktisch, darauf legt sie viel Wert. „Ich mußte mich hier keinen Autoritäten unterordnen“. Mit 14 spielte sie in einer Dixieland-Kapelle, bevor sie mit 17 in eine moderne Band wechselte. Die Band, die bis 1961 regelmäßig beim alljährlichen Amateurfestival in Zürich auftrat, gewann 1960 den ersten Preis. Irène Schweizer nahm während eines Sprachkurses in England, 1961/62, Unterricht bei Eddie Thompson und gründete nach ihrer Rückkehr ein Trio mit dem Schlagzeuger Mani Neumeier und dem Bassisten Uli Trepte, das sich ziemlich schnell zum Free Jazz bekannte. Erfolgreich, wohlgemerkt. In den langen Jahren ihrer Karriere spielte die Pianistin, die ihre Nationalität im Namen trägt, unter anderem mit: Manfred Schoof, John Tchicai, Peter Kowald, Louis Moholo, Peter Brötzmann, Pierre Favre und Rüdiger Carl. Das ist – Irène Schweizer mittendrin – die Creme de la Creme und die Gründergeneration der europäischen Free Jazz Musik.

Ihr Zugang zum Instrument ist sehr perkussiv, viele sagen, dass Irène Schweizer afrikanisches Klavier spielt, so körperlich ist ihr Zugang zu dem Tasteninstrument. Es wird nicht nur gespielt, es wird gestreichelt, gezupft, geschlagen, betrommelt, der ganze Klangkörper wird mit Beschlag belegt. Beobachter schildern, dass Irène Schweizer einen Anschlag wie auf einer Schreibmaschine beim Spielen hat. Dass sie in einem früheren Leben einmal Sekretärin war, wird die Beobachter sicher anerkennend nicken lassen.

Mit Free Jazz verbindet man freies und wildes Musizieren, das sich an keinerlei Regeln hält. Doch auch in dieser fast anarchischen Musiziererei gibt es Strukturen. Irène Schweizer vermag es, formbewusst zu improvisieren. Spontane Ideen bleiben so länger bestehen als nur in dem Moment, in dem sie gespielt werden. Kleine Motive werden angespielt, wiederholt, verändert, variiert, umgekehrt, anders rhythmisiert, mal kann es eher nach einem altmodischen Ragtime klingen, mal vielleicht nach moderner Zwölfton-Musik, oder nach Bartók vielleicht mit seinen Balkaneinflüssen – oder die schon angesprochenen afrikanischen Savannen.

Dass eine Musikerin, die diese Musikrichtung mit voran getrieben hat, sich lieber mit vertrauten Musikern umgibt und sich viel mehr aus lange anhaltenden musikalischen Beziehungen macht als Lust auf spontane neue Treffen auf der Bühne hat, mag eher überraschen. Vielleicht ist es der Gegenpol zu den freien Ausbrüchen, dass Irène Schweizer bald 30 Jahren in der gleichen Wohnung wohnt und lieber Museen anschaut oder schwimmen geht, als zu Hause zu sitzen und zu üben.

Die „FIG“ – feminist improvising group:
Schweizer, Léandre und Nichols

Fragt man die Schweizerin, wie sie die Situation der Musikerinnen heute einschätzt, ist diese optimistisch. „In den letzten fünfzehn Jahren hat sich vieles geändert. Es gibt nicht mehr nur Sängerinnen, sondern eine Reihe von talentierten jungen Instrumentalistinnen. Das ist eine große Bereicherung. Leider hat sich das bis zu den Veranstaltern, vor allem der Festivals, noch nicht durchgesprochen. Es werden immer noch viel zu wenig Musikerinnen gebucht.“ Deshalb wünscht die Grande Dame der freien Musik allen Kolleginnen eine gute Portion Dickköpfigkeit und einen langen Atem, da das Business doch immer noch männlich dominiert ist.

Ihre eigenen Wurzeln, mit anderen Frauen zusammen Musik zu machen, liegen weit zurück und sind stark politisch verankert. „Die FIG Feminist Improvising Group, die Ende der 70er Jahre in England entstanden ist und der ich auch angehörte, hatte sich damals aus der Frauenbewegung heraus entwickelt und hatte eine klare politische Haltung. Heute hängt es individuell von den Musikerinnen ab, was für eine Musik zu spielen und wo sie politisch stehen.“

(A.d.R.: Auch gehörte Irène Schweizer mit zu den ersten Musikerinnen der „CANAILLE“, dem Europäischen Festival für improvisierte Musik von Frauen in Frankfurt, das in den 90-er Jahren über Jahre hinweg von der Initiative KULTUR IM GHETTO organisiert wurde)

Abschließend kann man sagen, dass sich 40 Jahre starke Visionen und musikalische Energie als Lebensphilosophie sicher gelohnt haben. Reich geworden sei sie bisher nicht, lacht Irène Schweizer, aber die Musik hat ihr viel für ihre persönliche Entwicklung gebracht. Dass im Rückblick vieles anders war als geplant, mache die Sache nur erst recht spannend.
Über Irène Schweizer kann man viel schreiben, besser ist es aber, sich einen Höreindruck zu verschaffen. Hier seien folgende u.a. Websites ans Herz gelegt.

Vertrieb/Label: www.fmp-online.de und www.intaktrec.ch

Copyright: Redaktion MELODIVA

Autorin: Angela Ballhorn

29.12.2005