Die Idee zum Projekt hatten die beiden Spark-Gründer*innen Andrea Ritter und Daniel Koschitzki, die schon lange vorgehabt hatten, ein Programm mit Komponistinnen zusammenzustellen. Der zündende Moment kam dann tatsächlich bei der Begegnung mit Wallis Bird, die sich seit dem Beginn ihrer Karriere für Themen für Female Empowerment, Gender Equality und die LGBTQI*-Community einsetzt. Wallis war sofort begeistert. „Die weite Zeitspanne, die wir in dem Programm beschreiten, gab uns allen die Möglichkeit, Neues kennenzulernen, die eigene Komfortzone zu verlassen, Risiken einzugehen. Es war eine wunderbare, sehr inspirierende gemeinsame Reise“, beschreibt Daniel Koschitzki die Zusammenarbeit. „Wir haben zunächst sehr viele Frauen aus unterschiedlichen Epochen, Ländern und Genres gesammelt und die Auswahl dann im Lauf der Zeit immer mehr eingedampft und verdichtet. Wallis war Vielfalt und Diversität extrem wichtig. Es sind Frauen unterschiedlicher Ethnien aus neun verschiedenen Ländern und drei verschiedenen Kontinenten auf dem Album vertreten.  Wir wollten unbedingt ganz unterschiedliche Geschichten erzählen“, ergänzt seine Kollegin Andrea Ritter.

Im konzeptionellen Entwicklungsprozess des Programms von 2019 bis 2022 fanden zuerst regelmäßige Online-Meetings statt, wo sich die Musiker*innen über die Komponistinnen und den Spannungsbogen des Programm ausgetauscht haben. 2022 trafen sich die sechs Musiker*innen zum gemeinsamen Musizieren an der Ostsee. Da waren die ersten Arrangements bereits erstellt, aber es ging bei vielen Songs auch darum, Tonarten zu testen, Arrangementideen auszuprobieren etc. Die letzten Stücke wurden erst wenige Tage vor der Premiere im Sommer 2023 fertig, die beim stARTfestival in Leverkusen stattfand. Im Herbst 2023 ging es dann ins Studio. 

Bei den Arrangements gab es verschiedene Herangehensweisen. Zum einen wurden Komponist*innen und Arrangeur*innen aus ihrem Netzwerk beauftragt, die Songs für die spezielle Spark-Besetzung zu arrangieren, die ein großes Instrumentarium zur Verfügung hat. An diesen Arrangements wurde dann weiterexperimentiert und kleine Anpassungen vorgenommen. Einige der Songs sind auch von Mitgliedern von Spark arrangiert, wie z.B. „Visions of Venus“, das von Andrea Ritter für Spark final gestaltet wurde. „Es war ein sehr aufwendiger und zeitintensiver Weg, bis wir bei den finalen Stücken angelangt sind, in der Form wie sie auf der Bühne und auf dem Album erklingen“, beschreibt Koschitzki den Projektablauf.

Live 21.07.2024 @ Casals Forum Kronberg

Wer kann, sollte sich ein Konzert dieser fantastischen 5+1 Formation jedenfalls nicht entgehen lassen! Eine klassische Band (ja Band!), in der hochtalentierte, virtuose und beseelte Musiker*innen völlig in ihrer Musik aufgehen und ungemein dynamisch und gut aufeinander eingespielt sind. Atemberaubend schnelle Blockflötenmelodien & Grooves, Piano, Cello und Geige in perfektem Zusammenspiel, gefühlvolle und berührende leise Szenen und mittendrin die Person, die der Band in Sachen Talent, künstlerischer Version und Leidenschaft um nichts nachsteht: Wallis Bird. Die irische Singer-/Songwriterin mit der Liebe zum Groove ist für ihre energiegeladenen Shows bekannt und geht auch im Casals Forum in Kronberg, wo ich am 21.07. das neue Programm „Visions of Venus“ im Rahmen des Rheingau Musik Festivals erleben durfte, völlig in den sorgsam ausgewählten Songs auf.

Das Programm umspannt Tausend Jahre des Musikschaffens von weiblichen* Komponistinnen und wird live sehr abwechslungsreich präsentiert; mal spielen alle gemeinsam, mal nur die Band, mal nur Bird mit Piano oder einer Flöte. Auf der Bühne ist also schon mal jede Menge Bewegung, zumal die Musiker*innen allesamt vor Energie und Gefühl regelrecht überschäumen. Neben Flügel (Christian Fritz), Violine (Stefan Balazsovics) und Violincello (Victor Plumettaz) betten viele verschiedene Blockflöten Birds Stimme kammermusikalisch wunderbar ein. Andrea Ritter und Daniel Koschitzki fahren ein ganzes Arsenal von Blockflöten auf (im Studio waren es 30!), auf der Bühne sind es nicht ganz so viele. Dafür erklingt eine sog. Paetzold-Bassflöte, eine große, viereckige Bassflöte. Ritter und Koschitzki sind schon allein eine dynamisch hervorragende Einheit; ihr Spiel ist groovig und ausdrucksstark und beschert dem Gesamtsound eine Fülle von Klangfarben. Vor allem die warmen tiefen Klänge passen wunderbar zu Birds leicht rauchiger und souliger Stimme.

Auf die erwartungsvolle Spannung im Saal erklingt als erstes Hildegard von Bingens Stück „O Virtus Sapientiae“, das Bird und die Flötistin Andrea Ritter gemeinsam mit leisen, geloopten Chören und wunderschönen Blockflötenmelodien bestreiten. Weiter geht es mit dem einzigartigen „Oceania“, das Björk als Eröffnungssong für die Olympischen Spiele 2004 geschrieben hat und das aus der Sicht des Meeres auf die menschliche Evolution schaut. Hier bekommen wir Birds Stimmkraft eindrucksvoll zu hören. Beim folgenden „Dreier“ aus Amy Beach, Clara Schumann und Fanny Hensel beweist sie, dass sie sich auch der Klassik mit wandlungsfähiger Stimme nähern kann. Hensels Stück „There be none of beauty’s Daughters“ schmettert sie voller Freude in die Konzerthalle hinaus. Jazzig wird es bei „Now Or Never“ von Billie Holiday, von der viele nicht wissen, dass sie selbst auch Songs geschrieben hat. Ein Duett mit Christian Fritz am Flügel bringt uns Tori Amos‘ „Cloud On My Tongue“ wieder in wunderschöner Weise in Erinnerung (es ist aber wie einige andere live gespielte Songs nicht auf dem neuen Album zu finden). Bei Joni Mitchells „Big Yellow Taxi“ greift Bird dann selbst zur Gitarre. Auch das Publikum wird auf charmante Weise von ihr zum Singen eingeladen, bei Kate Bushs „Babooshka“ (best version ever!) zum Beispiel, bei Janis Joplins „Mercedes Benz“ und auch grandios: bei „You Make Me Feel Like A Natural Women“ von Carol King.

Auch die Instrumentalstücke sorgen für Highlights wie z.B. „Fast Blue Village“, eine rhythmisch herausfordernde Komposition der australischen Komponistin Elena Kats-Chernin, eigens für Spark komponiert und von den fünf perfekt in Szene gesetzt. Germaine Tailleferre, der einzige weibliche Teil der legendären „Groupe de Six“, eines einflussreichen Komponistenkollektivs der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, war mit dem zauberhaften „Larghetto“ ebenfalls Teil des Programms, neben einer Komposition von Isabella Leonarda, die eine Pionierin der frühbarocken Instrumentalmusik war.

Wallis Birds‘ Songs dürfen natürlich nicht fehlen. „Home“ erklingt aber nicht in der A Cappella-Originalversion, sondern von Andrea Ritter für die Band arrangiert. Das mitreißende Titelstück des Albums „Visions of Venus“ wird mir noch lang im Ohr nachklingen. Im Song „James Barry“ erzählt Bird die Geschichte eines 1798 geborenen Chirurgen, der eigentlich eine Frau war und sich als Mann ausgab, um praktizieren zu können. Bird setzt sich seit vielen Jahren für Female Empowerment und die LGBTQIA*-Community ein; so hat sie bewusst auch ein Lied einer Transperson ausgewählt: „Daylight And The Sun“ der transidenten Musikerin Anohni, die* für ihre tiefgründigen Lyrics bekannt ist. Enyas „Only Time“ ist ein würdiger und epischer Abschluss des sagenhaften Programms, das mit Standing Ovations belohnt wird. Hier zeigt sich mal wieder, dass Spark mit ihrem Konzept recht haben: das Publikum ist nicht so „geschmacksunbeweglich“, wie oft angenommen wird!

„Visions Of Venus“ will mutigen Menschen ein Denkmal setzen: denen, die sich gesellschaftlichen Erwartungen widersetzt haben, die sich hinter einer anderen Identität verstecken mussten oder im Verlauf ihrer Karriere diskriminiert und nie angemessen entlohnt wurden. Es ist ein Programm, das diese Pionierinnen, Ikonen und Role Models feiert – spannend und vielfältig. Genres werden freudig gesprengt und vergangene Epochen ins Heute überstellt. „Letztlich soll Visions of Venus Spaß und Befreiung sein, Unterhaltung, Erzählung, Einführung – fernab der Fragen nach Color und Sexual Identity“, heißt es im Promotext. „Love, Respect, Peace, Sex, Death, Healing“ ist denn auch auf Birds Effekte-Rack zu lesen. Ein herausragendes Programm, das ihr noch vier Mal in diesem Jahr erleben könnt.

Fotos: Leonard Kötters

CD „Visions of Venus
(VÖ: 19.04.2024 Neue Meister)

 

 

 

Termine:
20.08. Kiel, Casino der Stadtwerke  (Schleswig-Holstein Musik Festival)
21.08. Hamburg, Elbphilharmonie (Schleswig-Holstein Musik Festival)
04.09. Meran, Südtirol Festival (IT)
07.11. Fürth, Kulturforum

Infos: Wallis Bird & Spark

Melua erzählt ihrem Publikum von ihrer Kindheit in Georgien, von der Zeit, in der es ihr psychisch nicht gut ging und sie in psychologischer Behandlung war, sie erzählt von Beziehungen, die nicht so rosig verlaufen sind, wie in Love Songs, von ihrer Scheidung, von Corona und von der Geburt ihres Sohns. Und all diesen Ereignissen und Gefühlen widmet sie Songs. So etwa eine Ballade in Gedenken an ihren verstorbenen Psychotherapeuten, ein Dankeslied für ihre Mutterschaft und ein Song, zu dem sie ihre neue Liebe inspiriert hat – alle Songs von ihrer neuen LP „Love and Money.“

Natürlich singt sie auch das Lied, das ihr Leben verändert hat, das Lied, das alle kennen, von den 9 Millionen Fahrrädern in Beijing. Als sie dazu ansetzt, werden überall im Saal die Handys gezückt. Zehn Songs gibt es vor der Pause. Und nochmal zehn danach. Darunter auch ihre Coverversion von Blacks „Wonderful Life“. Dabei klingt sie immer gleich. Was jetzt ganz und gar nicht als Kritik gemeint ist. Es klingt immer warm, wohlig, sanft und samtig, wenn Katie Melua singt. Das Timbre ihrer Stimme ist etwas tiefer als früher, aber sie bleibt stets bei ihrer typischen Modulation. Und genau das wollen die Fans auch hören.

Ihre Band, darunter ihr Bruder Zurab Melua an der Gitarre, begleitet sie zurückhaltend, nie drängt sich ein Instrument in den Vordergrund. Immer bekommt Meluas Stimme den Raum, den sie braucht. Bei zwei Stücken klinkt sich die Band sogar komplett aus. Nur von ihrer Gitarre begleitet singt sie „Love and Money“ und meinen Melua-Lieblingssong „Closest Thing To Crazy“. Zum Schluss drehen Band und Sängerin dann doch ein wenig auf, Synthesizer, Bass, Drumbeats ertönen rhythmisch und fast laut – „Quiet Move“ ist ein tanzbares Lied über Identität und das Aufwachsen in England. Die Britin mit georgischen Wurzeln, die sich bisher voll und ganz auf ihren Gesang konzentriert hat und den ganzen Abend nur ab und zu mit den Armen Bewegungen gemacht hat, legt jetzt sogar ein paar kleine tänzerische Schritte aufs Bühnenparkett.

Zwanzig Songs, dann ist vorbei. Erneut bedankt sich die Sängerin sehr herzlich bei den Konzertbesucher*innen. Die revanchieren sich mit Standing Ovations. Melua kehrt für zwei Zugaben zurück auf die Bühne. Den letzten Song des Abends singt sie wieder ohne Bandbegleitung. Sanft, warm, wohlig. Dann gehen die Lichter an. Brav und geordnet leert sich der Saal. Und draußen hat auch der Regen aufgehört.

Drei Mal noch ist sie in diesem Monat zu hören – in Leipzig, München und Wendelstein. Im Juli kommt sie erneut nach Deutschland. Wenn Sie ein Fan sind, besorgen Sie sich ein Ticket! Sie werden es nicht bereuen. Denn wo Katie Melua draufsteht, ist immer Katie Melua drin.

Infos

Nach einer gemeinsamen Begrüßung von Antje (Brotfabrik), Linda (Frauenreferat Frankfurt) und Mane (MELODIVA) ging es gleich mit dem ersten Talk in der gut gefüllten Brotfabrik los (Foto: Barbara Walzer). Auf dem Podium saßen die auftretenden Musikerinnen des Abends – Lena & Johanna von LUAH, Jamila von GG VYBE und BELQIS – sowie Mane von MELODIVA. Mit der Moderatorin Christina Mohr sprachen sie über ihre musikalischen Biografien, strukturelle Hürden und was es braucht, um Frauen* und Mädchen* beim Musikmachen und im Musikbusiness besser zu unterstützen (vor allem Räume und safe spaces!). Sascha Wild, der neue Referent für Popularmusik in Frankfurt und Vater einer kleinen Tochter, war ebenfalls Teil des Panels und vor allem da, um zuzuhören, wie er selbst sagte.

Danach präsentierte die Frankfurter Singer-/Songwriterin BELQIS mit Schlagzeuger Alex charmant-verträumten Indiepop auf Englisch und Deutsch. Die junge Musikerin arbeitet derzeit an einem Konzeptalbum, das sie mit Unterstützung der Initiative Musik verwirklicht (Foto: Barbara Walzer).

 

 

Der zweite Talk mit der Moderation Aisha Camara, Dr. Dorothee Linnemann (Historisches Museum), Be Shoo (Künstlerin, Choreografin, Kuratorin), Linda Kagerbauer (Referentin für Mädchen*politik und Kultur) und der Fotografin Katharina Dubno hob das Gespräch auf eine breitere Ebene, die alle Kultursparten miteinschloss. Auch hier wurde klar, dass es oftmals lange braucht, sich als Frau* durchzusetzen und einen Namen machen zu können. Berufliche Netzwerke von Frauen* seien dabei unverzichtbar, sind sich die Anwesenden einig.

 

Beim anschließenden Konzert standen LUAH aus Köln aufgrund der Corona-Erkrankung ihrer Gitarristin erstmalig nur zu zweit auf der Bühne. In ihrem Mix aus Jazz, Singer-/Songwriter, Pop, brasilianischer Musik und perfekt aufeinander abgestimmten zweistimmigen Gesängen ließ es sich wunderbar schwelgen.

 

 

Am späteren Abend übernahmen das female DJ-Kollektiv GG VYBE die Bühne und tanzwütige Gäste den Dancefloor. Ein grandioser Abschluss dieses bereichernden Abends!

Das Angebot der neuen Feministischen Bibliothek Ffm, von der in der Bar Bücher ausgeliehen werden konnten, wurde rege angenommen. In unserem Ideen-„Netz“ konnten wir im Laufe des Abends viele gute Ideen und Wünsche für ein lebenswerteres und gendergerechteres Frankfurt „einfangen“, von denen wir einige in die kommenden Workshops der Kulturentwicklungsplanung mitnehmen werden: Mehr Festivals für ALLE, mehr Cafés & Bars mit Livemusik, Livemusik in Innenhöfen, offene Bühnen & Auftrittsmöglichkeiten für alle (nicht nur für Profis), Vielfalt bei Line-Ups geförderter Konzertreihen & Festivals usw. Dazwischen wurden jede Menge neue Allianzen und gute Koop-Ideen geschmiedet. Fazit: die erste Fem*Night hat Mega-Spaß gemacht und wir hoffen, sie ist der Auftakt für ein jährliches Fest zum 8. März! Einen kleinen Videoclip findet ihr hier auf unserem Youtube-Kanal.

Vielleicht hat sich manche Musikliebhaberin schon gefragt, warum die Musik der als Sklaven ins Land verschleppten schwarzafrikanischen Menschen in Nord- und Südamerika so völlig unterschiedlich ist. Nun, die Sklavenhalter im Norden verboten sehr schnell Trommeln und andere „laute Instrumente“, weil sie befürchteten, sie könnten zur Kommunikation von Plantage zu Plantage benutzt werden und zu Aufständen aufrufen. In Lateinamerika sah man das entspannter, und so konnten afrikanische Rhythmen, Trommeln und Blasinstrumente die dortige Musik stark prägen. Im Blues, entstanden in den Südstaaten der USA,  findet sich außer einigen wenigen Vokabeln so gut wie kein afrikanisches Erbe.

Diese und Hunderte weiterer musikalischer wie auch sozio-politischer Informationen finden wir in dem fast 300-seitigen Buch der promovierten Historikerin, Politikwissenschaftlerin und Bluesmusikerin Haide Manns. Zunächst spürt sie den Anfängen des Blues Mitte des 19. Jhdts. nach. „Field Hollers“ der Plantagenarbeiter*innen oder „Worksongs“ der aneinander geketteten Gefangenen wurden vermischt mit Kirchenliedern der europäischen Einwanderer: Vor Einführung der Rassentrennung besuchten Sklavenhalter und Sklaven noch die gleichen Gottesdienste (Foto rechts: Alan Lomax, South Carolina 1934) .

Die daraus entstandene Musik, die keinesfalls immer auf dem heute meist üblichen „Bluesschema“ aufgebaut war, wurde von Anfang an von Frauen und Männern, oft mit selbst gebauten Gitarren,  zuhause oder bei lokalen Zusammenkünften gespielt. Die Texte waren im Gegensatz zum Gospel rein weltlich, handelten von der Lebensrealität der Vortragenden, die ja die gleiche wie die der Zuhörenden war; sie wurden deshalb während des Vortrags durch Zwischenrufe lautstark kommentiert. Texte galten als Allgemeingut und wurden jahrzehntelang verwendet und variiert.

Nach Abschaffung der Sklaverei, v.a. in der „Great Migration“ab 1916, machten sich viele junge Männer in den industrialisierten Norden auf, um den armseligen Lebensumständen im Süden zu entgehen – die Frauen blieben größtenteils dort; die männlichen und weiblichen Bluestexte begannen sich zu unterscheiden. Auffallend war aber bei den weiblichen Texten bereits, dass die Umstände – auseinander gerissene Beziehungen, Armut – nie nur klagend hingenommen wurden.  Auswege wurden gesucht, sei es, sich einen neuen „good man“ zu suchen, ebenfalls wegzugehen, oder auch, sich mithilfe von Sex, Drogen und Alkohol eine gute Zeit zu machen. Im frühen 20. Jhdt. gab es schon massenweise Frauen, die im Süden in Lokalen, Zeltshows und bei Feiern, später auch im Norden in Clubs, wie dem Lincoln Theater in Harlem, ihr Geld verdienten, manche von ihnen wurden richtig wohlhabend. 1920 erkannte die weiße Schallplattenindustrie, dass mit Blues Geld zu verdienen ist. Es folgte der „Blues Craze“ – interessant, dass jahrelang nur schwarze Frauen und keine ihrer männlichen Kollegen auf Platte erschienen.

Nun folgen die Lebens- und Schaffensgeschichten unzähliger Bluesmusikerinnen. Bessie Smith (Foto links: Carl van Vechten), Ma Rainey oder Memphis Minnie dürften ein Begriff sein; die meisten jedoch sind hierzulande wohl nur ausgewiesenen Kenner(inne)n bekannt. Aber auch ihre Geschichten sind äußerst spannend zu lesen. Am besten, man googelt die Betreffende und genießt gleich mal eine Hörprobe. Die Lebensläufe sind immer eingebaut in die US-amerikanische Geschichte – bis heute -, hatten doch Prohibition (viele private kleine Auftrittsmöglichkeiten!) oder die Große Depression (viele Musiker*innen gehen zurück in den Süden) enormen Einfluss auf die afroamerikanische Musikszene. Wie der Blues erst in der schwarzen Mittelschicht, in den 1950er Jahren dann in der weißen US-Hörerschaft und ab ca. 1960 in Europa populär wurde, was vielen bejahrten Blues Ladys eine späte Karriere ermöglichte, all das erfahren wir ausführlich.

Mir gefällt am besten das Kapitel über die Songtexte. Mit wieviel Lebensklugheit, Empathie, aber auch Kampfgeist und Humor da gearbeitet wird, ist stellenweise geradezu umwerfend. Im Gegensatz zur „Sweet Music“ der Weißen wird die romantische Liebe so gut wie nie thematisiert – es geht unverblümt und prosaisch zur Sache, egal, ob thematisiert wird, dass der Mann endlich mal die Nächte zu Hause verbringen, Geld verdienen oder sich sexuell etwas mehr anstrengen soll. Sonst fliegt er nämlich ganz schnell raus und wird durch einen der zahlreich vorhandenen Verehrer ersetzt… Wie singt Ida Cox 1924? „Wild women don’t have the Blues“.

Ein tolles Buch – nicht nur für Bluesfans!

Das Buch ist 2022 in der Reihe „Song Bücherei“ im Heupferd Musik Verlag GmbH Dreieich erschienen: 312 Seiten • Paperback • ISBN 978-3-923445-51-6 • 24,80 €

Titelbild: Memphis Minnie/Autorin unbekannt,Wikipedia

Das Programmteam (Olaf Stötzler, der Manager der hr-Bigband, Claus Gnichwitz und Jürgen Schwab, beide hr2-Jazzredaktion), wurde durch ein neues Organisationsteam (Frank Lauber, Janina Schmid und Tim Wirth) erweitert. Die Eröffnung in der Alten Oper wurde aus Kostengründen gestrichen und wieder in den hr-Sendesaal verlegt. Hier fanden drei Konzertabende statt, davon am Mittwoch und Donnerstag mit je 2 Acts und am Samstag – wie früher – mit 3 Ensembles. An den Abenden mit Doppelkonzerten konnten die Bands ein Set von mind. einer Stunde plus Zugabe spielen. Da ohne Pause, geriet dies (je nach Geschmack) etwas anstrengend. Neu war die Clubnacht am Freitag: fünf parallele Konzerte in den Jazzlocations der Stadt (Jazz-Initiative in der Romanfabrik, Alte Seilerei mit „Fabrik außer Haus“, Milchsackfabrik, Jazzkeller und Jazz Montez). Das Abschlusskonzert fand, wie in den Vorjahren, am Sonntag im Mousonturm statt.

Bemerkenswert war eine neue inhaltliche Gewichtung in Bezug auf die stärkere Präsentation von Musikerinnen, und zwar nicht in quantitativer sondern qualitativer Hinsicht. Bei 3 von 4 Konzerten an den beiden ersten Tagen waren die „wichtigen“ Rollen in den Bands von Musikerinnen besetzt. So trat im Eröffnungskonzert die hr-Bigband unter der Leitung von Theresia Philipp und mit der Pianistin Julia Hülsmann als gefeaturete Gastsolistin auf. Julia Hülsmann, die preisgekrönte Grande Dame der deutschen Jazzszene, hatten wir schon 2001 als Dozentin für die 4. Frauen Musik Woche engagiert. Damals stand sie in den Startlöchern ihrer Karriere. Als Solistin am Klavier eröffnete sie jetzt mehr als 20 Jahre später, gemeinsam mit der hr-Bigband und der vielversprechenden jungen Dirigentin Theresia Philipp das Jazzfestival. Gerade hat diese den WDR-Jazzpreis für Komposition erhalten. Kompositionen von Julia Hülsmann, von ihr arrangiert für das Konzert mit der Bigband sowie zwei Arrangements von Theresia Philipp bildeten das Thema des Auftritts.

 

Foto links Theresia Philipp: © hr/Lukas Diller, Foto rechts Julia Hülsmann: © hr/Peter Hundert

 

Den zweiten Abend prägten zwei Saxofonistinnen: Die deutsche Tenor- und Sopransaxofonistin Ingrid Laubrock ist in New Yorks Avantgarde-Szene zuhause und kam mit ihrem Quartett angereist. Ebenfalls aus New York kam die Altsaxofonistin Lakecia Benjamin mit ihrem Quartett, mit dabei die Pianistin Miki Hayam. Mit ihrem Konzert würdigte Benjamin das Vermächtnis der Coltranes, und zwar dezidiert nicht nur John’s, sondern auch dessen unter Kennern hoch geschätzter Gattin, der Harfenistin, Pianistin und Organistin Alice Coltrane. Das allein ist schon eine bemerkenswert feministische Note ihrer Musik, denn sicher hatte bis zu diesem Konzert kaum jemand der Besucher*innen (wie auch ich) etwas von Alice Coltrane gehört! Dafür vielen Dank an die Musikerin. Am Samstag beschloss der Oud-Virtuose Rabin Abou-Khalil mit seinem Quintett, zu dem die Sängerin Elina Duni gehört, den letzten Abend im hr-Sendesaal.

 

Foto links Ingrid Laubrock: © hr/Caroline Mardok, Foto rechts Lakecia Benjamin: © hr/Elizabeth Leitzell

 
Diese Präsenz der Frauen war auffallend und bedeutet eine Aufwertung in der Wahrnehmung der Jazz-Musikerinnen in Deutschland und international! Eine erfreuliche Entwicklung nach Jahren der kaum vorhandenen Beachtung von Frauen bei der Festivalkonzeption – und auch bitter notwendig. In den letzten Jahren kamen immer mehr kritische Nachfragen – auch von männlichen Besuchern, warum so wenige Frauen auf der Bühne stünden. Und spätestens seit der Keychange-Initiative des Hamburger Reeperbahn-Festivals (die eine 50 %-Quote fordert) wird deutlich, dass sich die Zeiten geändert haben und dass auch Veranstalter*innen von Festivals den veränderten Gegebenheiten Rechnung tragen sollten. Denn es gibt sie inzwischen in großer Zahl: die hochqualifizierten, talentierten Jazzmusikerinnen und ihre großartigen Projekte.
 
Im Jahr 2019 hatten wir uns schon einmal gefreut: Zum 50jährigen Jubiläum des Festivals präsentierten die Veranstalter die „German All Stars“ mit einer überwiegend weiblichen Besetzung: Angelika Niescier | Alto Saxophone, Johannes Lauer | Trombone, Ronnie Graupe | Guitar, Julia Kadel | Piano, Eva Kruse | Bass und Eva Kresse | Drums. Beim 1. Deutschen Jazzfestival 1953 waren die „Deutschen All Stars“ die Headliner des Festivals, eine Zusammenstellung der besten deutschen Instrumentalisten – allesamt männlich. 

Wir hoffen, dass die zu beobachtende Neuausrichtung konsequent fortgeführt wird und 2022 nicht nur ein Zufall war! Deshalb schlagen wir vor: Solange nicht die Hälfte der auftretenden Musiker*innen weiblich ist, sollten 50 % der Acts von Bandleaderinnen geführt bzw. die Musik maßgeblich von ihnen gestaltet sein oder die Bands sind paritätisch besetzt!

 

Foto Julia Hülsmann (li), Theresia Philipp (re) & hr Bigband @ Deutsches Jazzfestival 2022: © hr/Sascha Rheker

Inzwischen wissen wir, auch wenn sich die Macher*innen des hr-Jazzfestivals um mehr Musikerinnen in der Bigband und beim Festival bemühen (s. Report): Insgesamt müssen sich Prioritäten, Strukturen und Netzwerke der bestehenden Musikszene verändern, sonst erreichen wir nichts oder nur sehr sehr langsam und sehr, sehr wenig in den nächsten Jahren.

Titelfoto Lakecia Benjamin @ Deutsches Jazzfestival 2022: © hr/Sascha Rheker
 

Zum Auftakt das Motto „Let’s Work Together“ – eine Arbeit, die den Beteiligten und dem Publikum sichtlich Spaß bereitet. Perry aus Mississippi macht den Anfang mit markant-tiefer Stimme, die auch ohne Mikrofon gut zu hören ist, und mit interessanter Gitarrenarbeit. „High Risk, Low Reward“ heißt einer seiner Songs – das kann manche*r Musikschaffende bestätigen… Nach sieben Songs, unterstützt von dem bewährten Bassisten Roger Innis und der schwedischen Drummerin Amanda Dal, betritt Mrs. Shay die Bühne – und es wirkt, als sei das Licht auf einmal viel heller geworden: Wahnsinns-Röhre, dazu eine schier unglaubliche Energie, sympathische Ausstrahlung, und, das muss man sagen: extrem sexy Outfit. Und was man auch sagen muss: Das Publikum an diesem Abend, zu 2/3 männlich und 50 plus, kommt nie auf die Idee, diesen Umstand in irgendeiner ungebührlichen Weise zu kommentieren – Applaus gibt’s reichlich, aber für die Leistung! Und die zahlreichen jungen Frauen genießen die Show genauso.

Das ist auch nicht schwer: Die Songs glänzen durch Power, Eingängigkeit und immer wieder völlig überraschende Gimmicks im Arrangement, die mit traumwandlerischer Sicherheit funktionieren. Wie lang hatten die Musiker eigentlich Zeit zum Proben? Oder verfügen sie über telepathische Kräfte? So eine Perfektion  hab ich schon lang nicht mehr gehört! Zwischen Bass und Drums passt kein Blatt Papier, und Whitney Shay singt mit Inbrunst und Akkuratesse, obwohl sie über die Bühne fegt wie ein Springteufelchen. „A Woman Rules The World“ heißt einer ihrer Songs; man glaubt es, wenn man sie erlebt. Wow! Nach der Pause geht es erstmal gemächlicher weiter; Jeremiah Johnson mit ruhigen, gefühlvollen Südstaaten-Balladen, garniert mit fingerflinken Gitarrensoli. Und zum Schluss noch mal alle zusammen nach dem bewährten Caravan-Rezept. Der Riesen-Applaus bringt natürlich Zugaben, als letzte das funky „Standing On Shaky Ground“. Nein, auf wackligem Boden steht der Blues wahrlich nicht – mit solchen jungen, enthusiastischen, spielfreudigen und perfekten Künstler*innen!

Weitere Livetermine: 23.02. Kassel, Theaterstübchen, 29.02. Offenburg, Reithalle im Kulturforum

(Titelbild: Fee Kuhn, Bandfoto: Fräulein Fotograf)

Doch der Reihe nach: Völlig entspannt, fröhlich und freundlich betritt sie die Bühne mit ihren „Jungs“, kurze Ansage und Verbeugung, und los gehts mit einer fetzigen Rocknummer, wo sie gleich mal die Slide Guitar-Künste offenbart, für die sie bekannt ist. Nach der nächsten Nummer, hard & heavy, gibt’s eine Ansage auf Deutsch, und spätestens da hat sie die Leute. Erst mal die älteren Songs – recht hat sie; vom Bekannten zum Unbekannten. Alles klingt rauer und härter als von den Studioaufnahmen gewohnt. Aber ihr sehr melodiöses Songwriting und die guten Backing Vocals-Qualitäten der Band lassen auch die zarter Besaiteten im Publikum das Konzert genießen. Und ein Hochgenuss ist es: Die hübsche Erja ist eine sehr gute Sängerin – sie croont, flüstert, jauchzt, schreit, aber alles so locker und flockig, dass es wirkt, als sei ihr das alles gerade mal so spontan eingefallen. Und die Gitarre: Auch da gibt es nur Daumen nach oben! Gerade, als ich so vor mich hin sinniere, ob es wohl sowas wie eine „typisch weibliche Gitarre“ gibt,  kommt „Slowly Burning“ vom „Stolen Hearts“-Album. Eine langsame Blues-Ballade mit tollem, expressiven Gesang. Und dann das Solo: keine Note ist willkürlich gespielt, in jeden Ton scheint sie hineinzuschlüpfen,  erzählt so die Geschichte in Gefühlen, ein ganzes Leben in einem Gitarrensolo. Gänsehaut – zum Heulen schön – ganz großes Kino!

Aktuelles Album „Another World“ (2019)

Nach der Pause werden hauptsächlich die Songs des famosen neuen Albums „Another World“ geboten, und ihr Sinn für Humor und ihre Entertainer-Qualitäten machen sich in sympathischen Ansagen und kleinen Finnisch-Sprachkurs-Spielchen bemerkbar: Wer hätte gedacht, dass die Zahl Sieben auf Finnisch ähnlich klingt wie „Sex with a Man“? Über den Gag freut sie sich wie ein kleines Mädchen – kein bisschen schlüpfrig, sondern nur süß! Eine feine Ballade gibt’s auch noch mit einem Cover-Song, Jeff Becks „People Get Ready“. Klar, dass das Publikum lautstark Zugaben einfordert, und klar, dass es die bekommt.

Fazit: ein Konzert-Highlight, bei dem ich das Gefühl hatte, eine gute Freundin steht auf der Bühne. Wie sie das hinkriegt – keine Ahnung. Sie ist eben Erja…

Der Buchtitel „Musikpraxis und ein gutes Leben“ von Daniela Bartels sprach mich an, und die Frage, welchen Wert ethische Konzeptionen eines guten Lebens für die Musikpädagogik und umgekehrt haben, geisterte in dieser und ähnlicher Fragestellung schon das ein oder andere Mal in meinem Kopf herum, da ich selbst seit mehr als 20 Jahren im musikpädagogischen Bereich arbeite. Daniela Bartels (Jahrgang 1982) hat sich dieses Themas in ihrer Dissertation angenommen. Sehr akribisch hat die Studienrätin für Musik und Englisch mit Schwerpunkt Gesang und Jazzchorleitung beleuchtet, was Musikpraxis für die Entwicklung des Menschen für eine Bedeutung hat. In sieben Kapiteln und auf 186 Seiten untersucht sie, inwieweit Musikunterricht junge Menschen dazu befähigen kann, ein gutes Leben zu führen.

Sehr umsichtig ist sie mit den unterschiedlichsten Definitionen. Was ist ein „gutes Leben“? Wie wird im musikpädagogischen Bereich gearbeitet? Wie wird unterrichtet? Dabei unterscheidet sie zwischen Musikunterricht in der Schule, wo über Singen neue Kenntnisse wie die Funktion und das Lesen des Bassschlüssels erarbeitet werden einerseits und dem Instrumentalunterricht im 1:1 Einzelunterricht bzw. in der Gruppe andererseits. Wie viel Mitsprache- oder Mitgestaltungsrechte haben die Schüler*innen?

Viele Querverweise, Quellenangaben und Literaturzitate machen das Buch zu keiner einfachen Kost, aber dieses Schriftstück ist eine Dissertation und keine populärwissenschaftliche Untersuchung. Gründlich untersucht Daniela Bartels die Verbindungen zwischen philosophischem Denken und unterrichtspraktischen Überlegungen, und steuert konkrete Beispiele aus dem Schulalltag bei. Interessante Aspekte, inwieweit sich der Erwerb bestimmter Grundfähigkeiten oder Fortschritte messen lassen, da vieles in den Bereich der Interpretation der*s Außenstehenden fällt, regen ebenso zum Nachdenken an wie andere Ansätze wie z.B. die These der US-Philosophin Martha Nussbaum, die den Menschen nicht primär als Mangelwesen ansieht, sondern die vorhandenen Kräfte und Fähigkeiten in den Vordergrund stellt. Dadurch ergibt sich eine besondere Philosophie der Lebenskunst, in der Musiklehrer*innen ihren Schüler*innen Raum lassen, ihre Probleme selbständig zu lösen. Sie erziehen junge Menschen so zum eigenständigen Reflektieren.

„Selbstgestaltung“ nimmt in Bartels‘ Dissertationsschrift einen wichtigen Platz ein. Kann man musisch-künstlerischen Aktivitäten einen Wert zusprechen, der der Selbst- und Sozialkompetenz zugute kommt? Wie kann anhand Musikunterricht – egal, ob in der Schulklasse oder im Instrumentalunterricht – so gearbeitet werden, dass die Schüler*innen bestmöglich und ideal gefördert werden? Wie können musikalische Praxen zu einem „guten Leben“ beitragen? Sehr versöhnlich endet Bartels‘ Fazit, indem sie Hannah Arendt zitiert und den verantwortlichen Musiklehrer*innen eine Last von den Schultern nimmt. Vergessen und verzeihen gehörten zum Prozess des Musik Erlernens dazu. Sie ermutige alle Menschen, die Verantwortung für andere übernehmen, im Leben selbst zu handeln und in die eigenen, aber auch prinzipiell in die Fähigkeiten der anderen zu vertrauen. In diesem Umfeld könnten sich Heranwachsende selbst im Handeln üben.

Daniela Bartels Buch ist somit eine gute Anregung für junge und auch schon erfahrene Musikpädagog*innen, sich neu über Sinn und Werte ihrer Arbeit zu positionieren.

Über die Autorin: Von 2009 bis 2013 war Daniel Bartels zunächst als Referendarin und danach als Musik- und Englischlehrerin an der Clay-Schule tätig. Hier setzte sie ihre musikpädagogischen Schwerpunkte auf die Band- und Chorarbeit. Von 2013 bis 2017 lehrte und promovierte Daniela Bartels als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule für Musik FRANZ LISZT in Weimar. Zeitgleich gründete und leitete sie in Berlin den Pop/Jazz-Chor „zimmmt“, in dem bis heute allen Sänger*innen künstlerische Mitbestimmung und die Übernahme künstlerischer Verantwortung ermöglicht wird. Von 2017 bis 2019 war sie als hauptamtlich Lehrende im Lernbereich „Ästhetische Erziehung“ an der Universität zu Köln tätig. Seit April 2019 lehrt Daniela Bartels als Gastprofessorin an der UdK Berlin. Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind: Philosophie der Musikpädagogik, Musikpädagogik und Ethik und die Verknüpfung von Theorie und Praxis in der Musikpädagogik, z. B. im Rahmen der Weiterentwicklung des Ansatzes einer demokratischen Chorpraxis (Quelle: UdK Berlin).

Daniela Bartels‘ Dissertationsschrift „Musikpraxis und ein gutes Leben – Welchen Wert haben ethische Konzeptionen für die Musikpädagogik?“ ist 2018 im Wißner-Verlag, als Band 146 in der Reihe „Forum Musikpädagogik“ erschienen.

186 Seiten | ISBN 978-3-95786-156-6 | 29,80 €

Infos

2015 gewann die damals knapp Zwanzigjährige den „Prix Découvertes“ des französischen Radiosenders RFI, der seit 1981 das Ziel verfolgt, musikalische Talente aus Afrika bekannter zu machen. In ihrer Heimat hatte Elida Almeida sich bereits einen Namen als Sängerin gemacht. Die Auszeichnung von 2015 katapultierte die Sängerin schnell von den lokalen kapverdischen Bars auf große internationale Bühnen.

Am Montag, dem 30. September 2019 performte sie mit ihrer Band vor einem völlig begeisterten Düsseldorfer Publikum. Funkig geht es los. Während die Band sich einspielt, tanzt die Sängerin auf roten Pumps hinaus auf die Bühne, der Rock ihres pastellblauen Tupfenkleids schwingt und wirbelt zu der Musik mit afro-kubanischen Anklängen. Dann stimmt sie ein rhythmisches Lied an, das sie mit einem kecken, mädchenhaften Knicks beendet und nach dem sie ins Publikum ruft: „Alles gut?“ „Ja!“ ruft das hingerissene Publikum zurück. Dem feurigen Intro folgt eine Ballade, inspiriert von ihrem „Ex“, wie die Sängerin erzählt. Dieser Ex wird im Laufe des Abends für einige weitere Balladen herhalten. Mit ausdruckstarker Stimme singt sie davon, was auch immer dieser Ex getan oder nicht getan hat. Da die Künstlerin alle Songs in ihrer kreolischen Muttersprache singt, verstehe ich den Text nicht, so wie vermutlich die meisten Konzertbesucher*innen auch nicht. Aber das ist auch völlig egal, denn Elida Almeida singt mit ganzem Körpereinsatz und viel Gesichtsmimik, so dass sich die Stimmungen der einzelnen Songs ohne Worte übertragen. Bei dem Song „Forti Dor“ wird ihr Gesichtsausdruck so traurig, dass man sofort die trübe Stimmung nachempfinden kann, die der junge Mann verursacht haben muss.

So wechselt sie bei dem Konzert zwischen ruhigeren Liedern und Gesangsexplosionen, die den traditionellen kapverdischen Sound – Funaná, Coladera und Tabanka – mit Latino- Flair vermengen. Elida Almeida ist ein Energiebündel auf der Bühne, die mit ihrer Musik eine ansteckende Lebensfreude versprüht. Man merkt ihr deutlich an, wie viel Spaß sie selber hat. Es ist, als ob sie singend und tanzend eine private Party mit ihren Musikern feiert, mit denen sie im ständigen Kontakt ist. Pausenlos in Bewegung, tanzt sie ständig von einem Bandmitglied zum nächsten. Beim vierten Song – ein traditioneller Beat – Cachupa? – ist sie nicht mehr zu halten. Der Schlagzeuger legt sich ins Zeug. Die roten Pumps werden abgeworfen und barfuß geht es weiter. Elida singt und kreist dabei wild ihre Hüften zur Musik. Zum Mittanzen holt sie sich zwei Frauen aus dem Publikum, die recht gekonnt die Hüftkreisbewegungen mitmachen.


 

Mit „Djam Krel Pa Mi“ wird es wieder etwas ruhiger. Es folgt ein gefühlvoll gesungenes, gesellschaftkritisches Lied („Grogu Kaba“), in dem die Sängerin auf Missstände auf den Kapverden hinweist. Am Ende des Konzerts sitzt kein Mensch mehr auf den Plätzen. Alle tanzen auf den beengten Brettern zwischen den bunten Stuhlreihen. Zwei Zugaben gibt es noch, das Publikum darf „Oh lé lé lé“ und einen einfachen kreolischen Refrain mitsingen. Und dann ist Schluss. Wenn es eine Kritik an diesem Konzert gibt, dann diese: Solche Musik eignet sich einfach nicht für ein bestuhltes Sitzkonzert.

Elida Almeida und Band waren ein toller Abschluss zu einem wunderbaren Festival, das im kommenden Jahr sein 30-jähriges Jubiläum feiert. Der Termin steht auch schon fest: 9. bis 27. September 2020.

Fotos: N’Krumah Lawson Daku (Titelbild), Tina Adomako (Livefotos)

Autorin: Tina Adomako

Das ist kein pures Gerede. Leah und Chloe Smith waren noch nie einfach nur Menschen, die Musik machen, sondern Musik auch als eine Form des Aktivismus verstehen. 2006 zogen sie nach New Orleans, um die Stadtbewohner*innen nach dem Hurrikan Katrina beim Wiederaufbau zu unterstützen. Als Teil einer Grass Roots Bewegung musizieren sie seitdem auf Gatherings, Demos und Festivals, „carrying harmony into settings of upheaval and discord“, wie es auf ihrer Website heißt. Ganz im Sinne ihres Songs „Wider Circles“, der Mut machen will, sich anderen zu öffnen und neue Gemeinschaften zu bilden, mit anderen ihre Gedanken und ihre Musik zu teilen. Mit ihrem Projekt R.I.S.E haben sie ein globales Netzwerk von Künstler*innen, Aktivist*innen,  u.a. geschaffen, die auf Festivals und Straßenpartys gemeinsam performen und Workshops geben, sie kollaborieren außerdem mit dem Permaculture Action Network.

Und obwohl die Band bis vor wenigen Jahren alles selbst machte und bis heute nur ein kleines Management-Team hat, hat sich ihre Musik herumgesprochen. Sie spielen häufig in ausverkauften Hallen und auch die Presse ist aufmerksam geworden: Der Rolling Stone listete sie im Mai unter die “10 New Country Artists You Need to Know”. Als ich am Konzertabend das Frankfurter BETT betrat, hatte ich davon keine Ahnung und vorher nur kurz in zwei Songs reingehört. Als Opener war Temple Haze eingeladen, ein US-amerikanischer Singer-/Songwriter, der seit geraumer Zeit in Berlin lebt. Dass er auch als Yogalehrer arbeitet, erfahren wir nach einiger Zeit, und es erklärt, warum das Publikum seine Musik zunehmend im Sitzen genießen wollte. Seine sehr freie Art zu singen, seine Ausdrucksstärke und sein akzentuiertes Gitarrenspiel waren beeindruckend, aber eher geeignet, den Puls zu verlangsamen und sich nach einer bequemen Couch zu sehnen.

Nach seinem Set und einer kurzen Pause begannen Leah und Chloe Smith ihr Konzert mit einem A Cappella-Stück, das vom Publikum mit Begeisterung gewürdigt wurde. Schnell wurde klar, dass die beiden mit ihrem zweistimmigen Gesang über ein großes Maß an künstlerischem Potential verfügen. Zwei wunderschöne Klangfarben, die sie in ihren Arrangements interessant variiert und verfeinert haben, die zugleich kontrastieren und perfekt zusammenpassen. Mit Wechselgesang, harmonisch toll gesetzten Stimmen und fast schon percussivem Einsatz der Stimme und des Atems werden sie mich im Laufe des Abends immer wieder auch an Zap Mama erinnern. Nach dem ersten Stück greifen sie zu Gitarre und Banjo und später auch zu Fiddle und Rahmentrommel, ganz in der Tradition der traditionellen Musik der Appalachen, mit der sie aufgewachsen sind. Es ist diese traditionelle Musik, auf die sie sich berufen, die sie in ihren 13 Jahren gemeinsamer Bandgeschichte mit neuen Einflüssen vermischt haben.

Rising Appalachia (von re nach li: Biko Casini, David Brown, Leah & Chloe Smith)

Beim zweiten Stück kommen David Brown am Kontrabass und an der Gitarre sowie der Percussionist Biko Casini auf die Bühne, dessen Spiel eine nähere Betrachtung wert ist. Neben der Djembe spielt er ein Instrument, das aussieht wie ein aufgeschnittener Gymnastikball, es ist eine sog. Takamba Kalebassen-Trommel. Darauf schlägt er mit den Fäusten ein, hält dabei eine Rassel u.ä. in der Hand, was sich dann zusammen wie ein Schlagzeug anhört und gewaltig groovt. Die Band spielt schnellere Nummern wie „Find Your Way“ oder „Wider Circles“ und das vorwiegend weibliche Publikum tanzt begeistert. Natürlich spielen sie auch ihren „Hit“ „Medicine“, den ich seit dem Konzert als Ohrwurm fröhlich mit mir herumtrage.

Vieles strahlt eine friedvolle Stimmung aus wie das grandiose „Lean In“ oder „Scale Down“, wo die Stimmen der beiden Schwestern sich wie Balsam auf die Seele legen. Ich weiß nicht, ob es nur mir so ging, aber ich hatte das Gefühl, dass Hoffnung in der Luft liegt: kann es sein, dass wir doch von einer schöneren Welt träumen dürfen und dass es viel mehr Gleichgesinnte gibt, als wir denken? Ihre neuste Single “Resilient” macht genau das zum Thema: wie können wir der Politik der Angst, die uns entmutigt, Widerstand leisten und uns immer wieder engagieren und für Vielfalt einstehen?

It’s about remembering that difficult times are the makeup of each of us, and we have the opportunity to triumph over that. This song came like wildfire from our hearts and found its way to the page on its own. Now, we sing it to the world and send it to anyone needing to be reminded of their own resilience,” sagt Chloe Smith über den Song. „It’s about Standing Rock, it is about the Prison justice movement, it is about urban mural projects and bike cooperatives and re-wilding efforts and front porch gardens… it is about land preservation and indigenous rights and the crossroads between arts, justice and tradition”, ist von Leah Smith zu lesen.

Nicht alles ist in Englisch, da sind das spanische „Caminando“ und ein bulgarisches Lied namens „Zavidi Me Lalino“, das die schöne Reibung der traditionellen Gesangskunst Bulgariens offenbart. Am Ende erklingt „Downtown“, wo sich HipHop in Leahs Gesang mischt und ein noch kämpferischer Ton Einzug hält. Keine Frage, mit dieser Band kann frau nicht nur einen tollen Abend verbringen – sie hat das Zeug, Menschen zusammenzubringen und Veränderung ins Rollen zu bringen. Während ich dies schreibe, höre ich in den Nachrichten vom befürchteten Wahlsieg der Rechtspopulisten in Schweden (!). Da hilft nur noch Musik: „I am resilient | I trust the movement | I negate the chaos | uplift the negative | I’ll show up at the table | again and again and again | I’ll close my mouth and learn to listen“, heißt es in dem Song „Resilient“. Er wird in den nächsten Monaten noch oft bei mir zu hören sein.

Tourtermine:
09.09. Lido/Berlin
12.09. Studio Foce/Lugano (CH)
13.09. Alhambra/Genf (CH)
14.09. Volkshaus/Zürich (CH)

http://www.risingappalachia.com/

(Titelfoto: Chad Hass)