Umfrage zur Bigband-Bewerbung

Ergebnisse & Diskussion

Eine Frage blieb bei unserer Veranstaltung „Jazz is my democracy?“ Anfang Mai unbeantwortet: warum sind Rundfunk-Bigbands und Jazzorchester immer noch überwiegend oder ausschließlich männlich besetzt? Wir wollten dieser Frage auf den Grund gehen – schließlich werden diese Ensembles mit öffentlichen Geldern finanziert! Dazu haben wir im Mai Jazz-Instrumentalistinnen* zur Teilnahme an einer kleinen Umfrage eingeladen. Die Ergebnisse fassen wir hier zusammen.

Zum Hintergrund

Gendergerechtigkeit und Diversität in der Kulturszene sind in aller Munde, doch Veränderungen scheinen vor allem dort nicht in Sicht, wo es ans „Eingemachte“, an die Strukturen und die Verteilung öffentlicher Fördergelder geht. Der Frauen*anteil bei den Bigbands der ARD ist erschreckend gering, bei der NDR-Bigband (s. Foto) spielt als einzige Frau Sandra Hempel (Gitarre), beim WDR Karolina Strassmayer (Saxophon). Die SWR- sowie die hr-Bigband (s. Titelbild: Dirk Ostermeier) sind bis heute reine Männerensembles. Auch das Bundesjazzorchester führt in seiner aktuellen Besetzung neben sechs Sängerinnen lediglich eine Frau am Instrument, die Baritonsaxophonistin Charlotte Lang auf.

Ergebnisse der Umfrage

Es war zu erwarten: in der Jazzszene gibt es im Verhältnis zu den Männern wenig Frauen an den Instrumenten und nur die wenigsten scheinen sich überhaupt schon einmal bei einer Rundfunk-Bigband beworben zu haben. Dementsprechend spärlich war der Rücklauf auf unsere Umfrage; die Erfahrungen und Meinungen, die wir hier anonym wiedergeben, stammen von fünf Musikerinnen und drei Musikern. Die Aussagen sind gleichwohl wertvoll für die Diskussion des Problems, möglicherweise finden sich viele Musikerinnen* in diesen Aussagen wieder.

Gründe, warum sich die Musikerin NICHT auf die Stelle in einer Rundfunk-Bigband beworben hat:

  • zu viel Verpflichtung,
  • zu wenig Zeit für eigene Projekte,
  • Job als Big Band Musiker*in trifft nicht das, was sie tun will,
  • Anforderungen passen nicht zum eigenen Profil/Fähigkeiten,
  • Job setzt viel Erfahrung in professionellen Big Bands voraus: „Man kann sich auf so eine Stelle nicht bewerben, ohne dass man in professionellen Big Bands vorab ausgeholfen hat. Auf dem Niveau kann man nur spielen, wenn man vorher schon die Chance hatte das zu tun. Das bedeutet, dass die Bigbands das auch selbst in der Hand haben, über die Subs, dies sie einladen, wenn einer der festen Spieler fehlt. Als Gäste müssen auch mehr Frauen eingeladen werden.“
  • Unangenehme Atmosphäre in den Bands (Landesjazzorchester, Hochschul-Big Band, Bundesjazzorchester): „… ständig dumme Witze, Sexismus überall. Ich habe das damals nicht gemerkt, aber im Nachhinein empfinde ich das als unglaublich, was sich da Professoren und Dozenten geleistet haben, ohne dass irgendjemand mal etwas dazu gesagt hat.“
  • Starkes Konkurrenzdenken/Wettbewerb: „der Druck ist sehr groß, alle sind mit ausgefahrenen Ellenbogen unterwegs. Das war mir einfach zuviel irgendwann. Ich mochte diese Art des Musikmachens nicht.“
  • Man steht zu sehr unter Beobachtung: „Als einzige Frau steht man immer im Fokus und ist einem besonderen Druck ausgesetzt.“
  • zu langweilig für mein Instrument (Schlagzeug).

Gründe, warum die Musikerin die Stelle nicht bekommen hat:

  • die anderen Bewerber waren besser, die Konkurrenz war zu stark,
  • Job ist höchst anspruchsvoll und sehr speziell, den nur sehr wenige Jazzmusiker*innen gut ausfüllen können: „Viele dieser Musiker kommen aus den Landesjugend-Bigbands und haben quasi ihre gesamte Jugend darauf verwendet, verteufelt gut Bigband zu spielen. Ich glaube: Wenn es mehr junge Frauen gäbe, die das genauso besessen betreiben würden, wie es einige junge Männer tun, gäbe es mehr Frauen in den Big Bands“.

Was müsste sich ändern?

  • Big Bands sollten mehr Frauen* die Chance geben, als Sub oder Gastmusikerin zu spielen

 

Was ist zu tun?

So viel zu den O-Tönen unserer wirklich kleinen Umfrage. Dass sich so wenige Frauen* bei den Bigbands bewerben, liegt sicherlich zum einen daran, dass es im Vergleich zu den Männern wenige Instrumentalistinnen gibt. Noch dazu scheint der Job in einer Rundfunk-Big Band nicht zu dem zu passen, was sich Jazzmusikerinnen* für ihre musikalische Karriere vorstellen. An welchen Stellschrauben können wir drehen, wenn wir wirklich etwas verändern wollen?

Bewerbungsverfahren

Die Art des Bewerbungsverfahrens kann einer der Gründe sein, warum sich nur wenige Frauen* bewerben und letztendlich genommen werden. Wichtig ist es sicherlich, sich bewusst zu machen, dass bei der Personauswahl automatisch Stereotype wirken, auch wenn man(n) guten Willens ist. Wissenschaftlerinnen der TU München konstatieren in ihrer Handreichung zu gendergerechter Personalauswahl: … Stereotype beeinflussen unsere Erwartungen wie Menschen sind, sein sollten und nicht sein dürfen, allein auf Basis der Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Gruppen. (…) Stereotype wirken auf allen Stufen der Karriereleiter: Bei der Erstellung und Wahrnehmung von Stellenausschreibungen, bei der Bewertung von schriftlichen Bewerbungsunterlagen, bei Bewerbungsgesprächen sowie bei Leistungsbeurteilungen und Beförderungsentscheidungen“. Bewerberinnen würden z.B. weniger kompetent eingeschätzt, wenn sich insgesamt nur wenige Frauen für die Stelle bewerben.

Die Ausstellung „Check Your Stereotypes“ der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich im Rahmen einer Chancengleichheits-Kampagne verweist auf das Phänomen „Stereotype Threat“: Es beschreibt die Angst, ein bekanntes Stereotyp zu erfüllen, das der Gruppe zugeschrieben wird, der frau selbst angehört. Sie kann Ressourcen binden und zu Leistungseinbußen führen. Frauen erzielen, wenn sie im Vorfeld eines Mathetests darauf hingewiesen werden, dass es keinen Geschlechter-Unterschied bei Mathetests gäbe, nahezu die gleichen Testergebnisse wie die Männer. Wenn sie als Vorinformation auf einen Unterschied der Geschlechter hingewiesen werden, fallen ihre Leistungen deutlich schlechter aus.

Auf der anderen Seite kann ein sog. Geschlechtsbezogener Verzerrungseffekt („Gender Bias“) bewirken, das z.B. ein Lebenslauf unterschiedlich bewertet wird, je nachdem, ob er von einer Frau oder einem Mann stammt. Das kann Einfluss darauf nehmen, ob eine Person in einem Bewerbungsverfahren weiterkommt oder nicht. Das heißt, Stereotype können zweierlei bewirken: dass die Bigband/Auswahljury eine Bewerberin schärfer beäugt, und dass die Bewerberin ihre Leistung nicht abrufen kann.

In der Klassik hat deshalb das Vorspiel hinter dem Vorhang Einzug gehalten. Die Studie der Deutschen Jazzunion Gender.Macht.Musik hat 2016 Jazzmusiker*innen dazu befragt, welche Maßnahmen sie für sinnvoll erachten, um mehr Gleichberechtigung zu erreichen. 73% der Frauen und 59% der Männer sprachen sich darin für Blind Auditions bei der Besetzung von professionellen Ensembles wie Radioorchestern aus. Möglicherweise würden sich ja mehr Frauen* bewerben, wenn sie wüssten, dass das Vorspiel hinter dem Vorhang geschieht?

Karolina Strassmayer, die einzige Frau im WDR Bigband, macht sich in einem kurzen Interview für eine andere Vorgehensweise stark: in ihrer Bigband würden Kandidat*innen zu einer ein- oder zweiwöchigen Arbeitsphase eingeladen, damit man sich menschlich und musikalisch kennenlernen könne. Der von einer Teilnehmerin gemachte Vorschlag, Big Bands sollten mehr Frauen* die Chance geben, als Sub oder Gastmusikerin zu spielen, könnte auch dazu führen, dass sich mehr Frauen* bei einem Radioorchester bewerben. Und vielleicht kann es auch mehr als eine gleichzeitig sein? Das kürzlich gegründete Jazz Women Network kann bei der Suche nach Jazzmusikerinnen* sicher nützlich sein.

Übrigens: Immerhin 41% der in der Jazzstudie befragten Jazzmusikerinnen (und 18% der Männer) sprachen sich für Quotenregelungen bei der Besetzung von professionellen Ensembles wie Rundfunkorchestern aus. Wer Angst hat, dass eine Quote die Qualität schmälern könnte, könne beruhigt sein, heißt es in der Studie der Deutschen Jazzunion: Dem Argument, dass Quotenregelungen im Jazz einen Einfluss auf die musikalisch-künstlerische Qualität haben, könnte man entgegenhalten, dass unter Berücksichtigung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) eine gleichwertige Qualifikation unbedingt vorausgesetzt wird, bevor Quotenregelungen in Kraft treten können“. Die oben erwähnte „Check Your Stereotypes“-Kampagne stellt fest, dass Frauenquoten dafür sorgten, dass Frauen selbstbewusster am Wettbewerb teilnehmen würden. Dort würden sich dann die besonders fähigen Frauen durchsetzen.

Gendergerechte und -sensible Nachwuchsförderung

Die Quote nützt nicht viel, wenn der Nachwuchs ausbleibt. Schaut man sich die Landesjugendjazzorchester an, das klassische Sprungbrett für kommende Bigband-Musiker*innen, so sieht es dort auch nicht viel besser aus. Nur wenige Instrumentalistinnen* – meist zwischen 2-4 – sind dort in den Bandbesetzungen zu finden. Ein wichtiger Ansatzpunkt ist sicherlich die Instrumentenwahl: die Erhebung „Amateurmusizieren in Deutschland“ des Musikinformationszentrums stellt fest, dass unter den 6-15jährigen musizierenden Kindern und Jugendlichen, die ein Instrument spielen, zwar gleich viele Jungs & Mädchen sind. Bei der Instrumentenwahl zeigen sich jedoch geschlechtsspezifische Unterschiede: Gitarren wie auch elektrische Gitarren, Schlaginstrumente und digitale Musik sind bei Jungen deutlich beliebter. Umgekehrt bevorzugen Mädchen bei den Instrumenten Klavier, Blockflöte, Violine oder Querflöte. Eventuell kommt das – neben dem Fehlen von weiblichen Role Models an den typischen Bandinstrumenten – auch daher, dass viele Mädchen* in der Regel früher mit dem Instrumentenspiel beginnen als die Jungs, und somit noch mehr unter dem Einfluss der Eltern stehen. Auch hier können wieder Stereotype die Auswahl beeinflussen („Schlagzeug ist zu laut, lern doch lieber Flöte“).

Mädchen* sollten also in der Wahl ihres Instruments gestärkt und nicht bevormundet werden. Musikschulen können mit offenen Angeboten („Instrumentenkarusselle“) den Mädchen* mehr Wahlmöglichkeiten bieten, damit sie nicht zwangsläufig in der Klassikecke „landen“ und steckenbleiben. „Vieles spricht dafür, dass eine frühe Festlegung auf das Spielen nach Noten Kindern das Lernen in diesem musikalischen Bereich [dem Lernen nach Gehör] erschwert. Besonders Mädchen werden häufig einseitig durch diese Form des Lernens geprägt, und zwar bereits früher als die Jungen, da sie durchschnittlich früher mit dem Instrumentalspiel beginnen“, stellt Ilka Siedenburg in ihrer Studie „Geschlechtstypisches Musiklernen“ fest, die auf einer Umfrage unter Studierenden beruht. Die von ihr befragten Studentinnen gaben an, dass vor allem ihre Instrumentallehrerinnen ihre Vorbilder waren. Wenn die aber fehlen? Wenn weibliches* Lehrpersonal an der Musikschule die Instrumente vorstellt – falls nicht vorhanden, eine fortgeschrittene Schülerin* – bringt auch das erfahrungsgemäß mehr Mädchen* dazu, sich zum Musikunterricht anzumelden. Auch wenn Rundfunk-Bigbands auf Schultour gehen, sollten sie bedenken, dass ihr Auftritt Stereotypen festigen kann; die Besetzung sollte unbedingt angepasst werden, damit Schülerinnen* auch weibliche* Role Models am Instrument erleben können (Foto: hr-Bigband auf Schultour 2020).

Auch an den Musikhochschulen muss mit mehr Mut agiert werden. Prof. Dr. Barbara Hornberger, Professorin für Didaktik der populären Musik an der Hochschule Osnabrück, erklärt in einem MELODIVA-Interview: „Aber wenn wir einen Lehrauftrag neu ausschreiben, versuchen wir erstens, Ausschreibungen sprachlich und inhaltlich so zu gestalten, dass Frauen sich eher angesprochen fühlen können – z.B. indem neben künstlerischer Exzellenz auch Teamfähigkeit gefragt ist. Und dann suchen wir Frauen, die wir gezielt zur Bewerbung auffordern. Dabei bitten wir auch unsere männlichen Kollegen um entsprechende Namen und Kontakte. Die kennen sich in ihren Fächern ja gut aus und viele von ihnen fördern Frauen sehr gern. Wenn sich dann Frauen bewerben, müssen sie sich natürlich im Verfahren durchsetzen, genau wie Männer auch, und natürlich kann es sein, dass dann dennoch ein Mann den Lehrauftrag bekommt. Aber oft bekommt ihn eben auch eine Frau, die man sonst gar nicht im Verfahren gehabt hätte. Wenn man diese Art von Diversität im Lehrpersonal haben möchte – und nicht nur Lippenbekenntnisse abgibt – muss man dafür ein bisschen mehr Aufwand betreiben. Auf diese Weise konnten wir im letzten Jahr zwei Frauen gewinnen: eine für Schlagzeug und eine für Producing“.

Aus den obigen Aussagen ist auch zu vermuten, dass sich Musikerinnen* in diesem System der öffentlich geförderten Landesjugendjazzorchester und Rundfunk-Bigbands nicht wiederfinden, gerade weil es stark wettbewerbs- und leistungsorientiert ist. Die Art des Musikmachens ist „a man’s world“, was die Regeln, Verhaltensweisen und Qualitäts-Standards angeht. Die bereits oben erwähnten Präsentation „Check Your Stereotypes“ kommt zu dem Ergebnis: Frauen sind eher an Menschen, Lösungen für Probleme von Menschen und künstlerischen Aspekten interessiert – Männer interessieren sich hingegen für technische Lösungen, Maschinen und abstrakte Themen. Frauen arbeiten lieber interdisziplinär und haben eine größere Interessensbreite. Wird dieses breite Interesse nicht angesprochen, meiden Frauen die entsprechenden Fächer“. Interessant ist auch die unterschiedliche Bewertung von Erfolg und Misserfolg: während Männer einen Erfolg mit den eigenen Fähigkeiten in Verbindung bringen, erklären Frauen ihren Erfolg mit Anstrengung, Glück oder Einfachheit. Misserfolg wird von den Männern mit mangelnder Anstrengung oder Pech begründet, Frauen erklären ihn mit mangelnder Fähigkeit. Das erklärt vielleicht, warum sich Frauen schneller entmutigen lassen und eher unterschätzen, Männer sich eher überschätzen.

Erweitert man den Diversitätsbegriff, stellt man sicherlich fest, dass in diesen Reihen auch wenige Arbeiterkinder und Menschen mit Migrationserfahrung sitzen. Vor dem Hintergrund, dass wahrscheinlich viele Musiker in den Radioorchestern bleiben, bis sie in Rente gehen, ist das wohl auch nicht gerecht zu nennen. Diversität hebt die künstlerische Qualität“, heißt es in der Studie des Deutschen Kulturrats „Frauen in Kultur und Medien“ (2016) – wir sollten keine Angst davor haben.

Wie seht ihr das? Wir freuen uns über Feedback, eure Meinung und weitere Antworten auf unsere Umfrage. Hier kannst Du Dir die Fragen (5-10 Min.) herunterladen, Deine Antworten schickst Du am besten per Mail.

Hinweis zur gendergerechten Sprache: * das Sternchen hinter Frauen* und Mädchen* schließt Menschen ein, die sich als Frau*/Mädchen* fühlen oder genderfluid sind; bei Musiker*innen sind alle gemeint

Autorin: Mane Stelzer