„Hey Ladies – Being A Woman Musician Today“ # 1: Karriere vs. Kinder

Eine Umfrage unter 700 internationalen Musikerinnen

Das US-Radio-Netzwerk National Public Radio (NPR) hat im März diesen Jahres eine Umfrage unter Musikerinnen gestartet, um die heutige Lebenssituation von Musikerinnen zu beleuchten – 700 Antworten vor allem aus den USA, aber auch aus vielen Teilen der Welt trafen bis Juni in der Redaktion ein und sind ungekürzt im Netz zu lesen. Wir werden einige Statements für Euch herauspicken, ins Deutsche übersetzen und peu à peu auf MELODIVA veröffentlichen.

Allgemeines:
Die Teilnehmerinnen der Umfrage waren zwischen 12 und 82 Jahre alt. 63 % der Befragten gaben Musik als Fulltime Job an; die anderen haben vor allem als Lehrerinnen, Studentinnen, Teilzeitarbeiterinnen, Mütter, College Professorinnen, Kellnerinnen und Einzelhändlerinnen einen Zu- bzw. ihren Hauptverdienst. Bei der Frage nach „role models“ / Vorbildern wurden am häufigsten Joni Mitchell und Janis Joplin genannt, gefolgt von Madonna, Patti Smith, Lady Gaga und Miley Cyrus. Auf die Frage, wie sie ihr Instrument gewählt hätten, antwortete die große Mehrzahl, dass sie durch ihre Familie dazu kamen, gefolgt von der zweiten Gruppe, die antworteten, das Instrument „habe sie gewählt“. Die nächst größere Gruppe lernte es in der Schule oder kam über einen Freund dazu, der das Instrument spielte, einige wenige lernten es in der Kirche.

In Teil 1 unseres Reports geht es um das Thema „DECISIONS – DECISIONS“ – Karriere vs. Kinder: ein Thema, das wir bei unserer Umfrage (s. „Zwischen Lila Latzhose und Tabu“: https://www.melodiva.de/reports/zwischen-lila-latzhose-und-tabu/) leider noch nicht im Fokus hatten, aber dennoch für sehr wichtig halten.

ENTSCHEIDUNG PRO & CONTRA KINDER :

„Musiker mit Kindern sind cool – Musikerinnen mit Kindern sind entweder schlechte Mütter oder schlechte Musikerinnen“

Eine zentrale Frage für viele Musikerinnen war und ist natürlich, ob sich Beruf und Familie vereinbaren lassen. Das ist im Musikbusiness durch die Arbeitszeiten, die häufig nicht familienkompatibel sind und auch häufiges Reisen und lange Abwesenheit einschließen, ungleich schwieriger als in anderen Jobs. Viele Musikerinnen beschreiben denn auch die große Schwierigkeit, sich als Mutter noch ganz auf die Musik einlassen zu können. Musikern, die Kinder haben, scheint es besser zu gelingen, sich „aufzuteilen“, beides vereinbaren zu können – was nicht zuletzt daran liegen könnte, dass sie meist nichtmusizierende Partnerinnen haben, die ihnen den Rücken freihalten! Im anderen Fall kann der Spagat bei zwei musizierenden Elternteilen manchmal entmutigend sein, wie die Jazzsängerin und Gesangslehrerin Amy London beschreibt.
Die erfolgreiche Songwriterin Vienna Teng, selbst noch kinderlos, fragt sich, wie sie Mutter werden kann, wenn sie die Hälfte des Jahres durch die Clubs tingelt. Auch die Cellistin Stephanie Winters hat die Erfahrung gemacht, dass frau als „normale“ Band-Musikerin kein normales Familienleben leben könne. Wenn überhaupt könnten nur die Headlinerinnen es sich leisten, ihre Kinder mit auf Tour zu nehmen.
Jessie Torrisi stellt fest, dass Frauen tendenziell zu verantwortungsbewusst sind, um einfach alles stehen und liegen zu lassen und so lange für die Karriere zu kämpfen und durch Clubs zu tingeln, bis frau sich einen Namen gemacht hat. Von Jessie wurde von Seiten ihrer Band erwartet, dass sie aus der Band aussteigt, als sie bekannt gab, mit dem zweiten Kind schwanger zu sein – wäre sie der bald zweifache Vater gewesen, wäre davon wahrscheinlich nicht die Rede gewesen. Viele der älteren Musikerinnen wie Chris Humphrey erzählen, dass sie ihre Karriere für die Kinder aufgeschoben haben bzw. vieles länger gedauert hat.
Die Musikerin Deann René ist Mutter eines kleinen Sohnes und stellt fest, dass Musiker, die Familien haben, als „cool“ angesehen werden, musizierende Mütter jedoch entweder als schlechte Mutter oder schlechte Musikerin gelten. Der Fakt, dass sie Musikerin ist, wurde ihr während ihrer Scheidung und im Sorgerechtsstreit um ihren Sohn sogar als Nachteil angerechnet und sie musste sich vehement verteidigen, um das Sorgerecht nicht zu verlieren. Die Opernpianistin Laurie Rogers hörte hinter der Hand, dass sie ein Engagement nicht bekam, weil sie eine Familie hat. Sie versucht, das Beste aus den vielen Reisen zu machen und freut sich, dass sie dann die Gelegenheit hat, ihrer Familie auch mal Orte zu zeigen, die sie sonst nicht sehen würden. Die Opernsängerin Christine Brewer beschreibt ebenfalls den schwierigen Spagat zwischen Mutter und Beruf, der von vielen Tränen begleitet wurde: wenn sie nicht wichtige Termine oder den Geburtstag ihrer Tochter verpassen wollte, musste sie wichtige Rollen absagen.
Die Cellistin Zoe Keating glaubt, dass Karriere und Kinder von den jungen Frauen heute als selbstverständlich vorausgesetzt werden und im Gegenteil von der Umgebung erwartet wird, sich an sie anzupassen.

Andrea Rogers, Blair Gimma, Olivia Broadfield, Christine Brewer, Deann Rene

ENTSCHEIDUNG SELBSTDARSTELLUNG
„Songwriterin oder Sexsymbol – Freiheit oder moderne Sklaverei?“

Die Songwriterin Libbie Schrader bereut, für ihren Erfolg nicht auch ihre sexuelle Macht eingesetzt zu haben und hinterfragt die sexuell einschränkende Moral: Welchen Interessen diene sie wirklich?
Blair Gimma postuliert, dass Frauen heute, ähnlich der Heilige-Hure-Dichotomie, entweder auf die Rolle der Songwriterin oder des Sexsymbols reduziert werden. Die Songwriterin Megan Jacobs spricht von der Musikindustrie als „Boys Town“, in der Frauen nur erfolgreich werden, wenn sie nicht nur „hot“ klingen, sondern auch aussehen. Die Musikerin Olivia Broadfield bezweifelt, dass sie als fette und haarige Musikerin Anerkennung bekommen würde, bei einem Musiker auf der Bühne wäre das wohl aber kein Problem. Die Frage, ob die Bikini-Optik vieler Popstars heute der Ausdruck von „Freiheit“ oder von moderner Sklaverei sei, beschäftigt die Sängerin Lucy Woodward. Auch die Songwriterin Rebecca Vernon ist vorsichtig mit der „Verpackung“ ihrer Musik. Sie sieht die Gefahr (vor allem bei Popstars), dass mit einer sexy Performance und aufwändiger Optik zwar die Musik besser verkauft und die Vorstellung von sexueller Freiheit transportiert würde; jedoch würde dabei die Musik übersehen bzw. überschattet und die beteiligten Frauen letztlich ausgebeutet und degradiert.
Die bekannte Songwriterin Rupa von Rupa & The April Fishes wurde von dem Agenten einer seriösen Plattenfirma gefragt, ob sie als sexy-wild oder als Intellektuelle vermarktet werden wolle. Sie fragte zurück, warum er sie denn so auf ein Image reduzieren und ob sich das denn ausschließen müsse; warum gebe es so wenige Bilder von Frauen in der Musik, die sexy, ihrer selbst mächtig, wild und schlau gleichzeitig seien?
Die Songwriterin Stefanie Fix postuliert, dass alle MusikerInnen Kämpfe auszufechten hätten, egal welchen Geschlechts, gegen Armut, für künstlerische Freiheit, gegen Kommerz usw. Aber für Frauen sei es ungleich schwerer ernst genommen zu werden, denn habe frau jemals von einem weiblichen Genie gehört? Frauen würden auch nie als „Stimmen einer Generation“ hochgelobt, sondern könnten bestenfalls eine Stimme für Frauen sein. Songwriterinnen müssten sich ihre Sinnlichkeit und Weiblichkeit erhalten und gleichzeitig in einer aggressiv agierenden Männerdomäne bestehen. Verhielte sich eine Musikerin selbst zu aggressiv, gelte sie schnell als „schwierig“. Auch die Selbstvermarktung stelle viele Frauen vor erhebliche Probleme, weil Mädchen in der Regel dazu erzogen werden, nicht anzugeben oder sich zur Schau zu stellen. Noch dazu sei die Altersgrenze, bis zu der eine Frau sich noch vermarkten könne, viel niedriger als die der Männer; Männer könnten problemlos noch mit 35 eine Musikerkarriere starten. Die großen Musikbosse hätten noch nicht erkannt, dass es in der Welt draußen Menschen jenseits der 30 gebe, die Interesse hätten, diese Stimmen zu hören, die von einem ähnlichen Lebensabschnitt erzählen, und dass es sich lohnt, diesen Markt zu bestellen.
Die Musikerin Andrea Rogers kritisiert, dass starke, unabhängige Frauen im Musik-Business schnell als Diva oder „b****“ betrachtet werden, während das bei Männern als Draufgängertum gilt. Sie müsse als Musikerin immer wie aus dem Ei gepellt zu Business-Terminen erscheinen, während die Musiker ihrer Band manchmal aussähen, als „wären sie gerade aus einem langen Winterschlaf erwacht“. Auch die Songwriterin Andreya Triana aus London hat die Erfahrung gemacht, dass durchsetzungsfähige Musikerinnen, die ehrlich ihre Meinung sagen, schnell abwertend als „Diva“ betitelt werden; gleichwohl müsse eine Frau, wenn sie Karriere machen wolle, über Durchsetzungskraft verfügen.

REAKTIONEN VON AUSSEN
„Musikerinnen gehören in die Amateurecke oder in die Women’s Night“

Die Dirigentin Abby Musgrove stellt fest, dass die Öffentlichkeit heute noch eher erwartet, eine Frau in der Rolle der Leiterin eines Kinderchors oder einer Amateurgruppe zu erleben, denn als vollwertige Dirigentin eines Orchesters. Nach wie vor gebe es nur sehr wenige Dirigentinnen bzw. „full professors“ und die müssten 200 % leisten. Eine anonyme Antwort, die von einer klassischen Komponistin und Sängerin kommt, beschreibt, dass es aufgrund der Ignoranz gegenüber klassischen Komponistinnen in männlichen Entscheiderkreisen Frauen nahezu unmöglich ist, von Komposition zu leben. Die Musikerin Beth Waters bewarb sich mit ihrer Band bei einem Club und wurde automatisch für die „Women’s night“ gebucht, anstatt sie für das normale Programm zu engagieren. Sie bemängelt, dass es sehr schwierig sei, „richtige“ Reviews zu bekommen, weil frau immer mit einer anderen Künstlerin verglichen würde, anstatt die Musik zu vergleichen. Die Musikerin Cat Martino findet, dass Frauen überhaupt schneller kategorisiert werden, anstatt die Musik zu beschreiben.
Mary Lorson betont den Gewinn, den Frauen haben, wenn sie sich mit wirklich unterstützenden Mitmusikern umgeben, um gehört und wirklich verstanden zu werden. Natalja Mari schreibt, dass die einzigen Musikerinnen, die sie kennt, entweder im Duo mit ihren Partnern musizieren oder stark in Netzwerken eingebunden sind, die ihnen Anerkennung sichern.

Wer die Antworten dieser Kategorie en detail nachlesen möchte: http://www.npr.org/templates/story/story.php?storyId=128528494.

Hier sind die kompletten Antworten inform von Künstlerinnen-Portraits inklusive Myspace-Link von A-Z zu lesen: http://www.npr.org/templates/story/story.php?storyId=128517091.

Und hier wurden sie nach Themen wie „On Stage“, „Decisions“ oder „She’s got the Look“ sortiert: http://www.npr.org/templates/story/story.php?storyId=128564299.

„Hey Ladies“ ist ein weiterführendes Multi-Plattform Projekt; einige Antworten wurden aufgegriffen und in Radio-Beiträgen näher beleuchtet, wie z.B. die Frage nach Idolen, die Relevanz von Lilith Fair, eine Diskussion über Frauen im männlich dominierten Musikbusiness zwischen der Singer-/Songwriterin Suzanne Vega und der Rapperin Bahamadia oder der neusten Story zum Thema „Pop Stars Vs. Role Models“: Taugen die heutigen weiblichen Popstars als Vorbilder für die Mädchen von heute? (http://www.npr.org/blogs/therecord/2010/09/24/130106962/hey-ladies—-where-have-all-the-icons-gone)

Wenn Ihr eine Idee für eine Story habt bzw. die Antworten Euch zu einer Idee inspirieren, könnt Ihr sie gern an gro.r1716047853pn@se1716047853idaly1716047853eh1716047853 schicken. Außerdem läuft die Umfrage immer noch weiter: wer daran teilnehmen möchte, kann eine Mail an gro.r1716047853pn@se1716047853idaly1716047853eh1716047853 senden.

Autorin: Mane Stelzer

06.10.2010