Zwischen Lila Latzhose und Tabu

Die Ergebnisse der MELODIVA-Umfrage Teil 1

Musikerinnen und ihre UnterstützerInnen befinden sich heute in einem Dilemma. Wer heute von mangelnder Gleichberechtigung im Musikbusiness spricht, landet schnell in der „lila Latzhosen-Ecke“ und viele, vor allem junge Frauen distanzieren sich aus diesem Grund von geschlechtsspezifischen Angeboten – das Thema scheint regelrecht tabu. Andererseits braucht frau heute nur mal einen Programmflyer eines Jazzfestivals in die Hand zu nehmen und die Instrumentalistinnen zu zählen, die für dieses Festival engagiert wurden: keine oder bestenfalls eine. Dabei kann allein ich schon ein Dutzend gute und interessante Jazzmusikerinnen nennen, die es lohnen würde, einzuladen. Doch keine Gleichberechtigung also? Um diese Frage zu beantworten, haben wir eine Umfrage gestartet.

Wir wollten wissen, ob die Ungleichheit wirklich überwunden ist und wie der Alltag der musikschaffenden Frauen heute aussieht. Gehen die jungen Musikerinnen bereits unbeirrt und selbstbewusst ihren Weg und nehmen sich, was ihnen zusteht? Ist es also eher eine Frage des Generationenkonflikts: die „Alten“ auf der einen Seite, die als die Emanzen und Kämpferinnen damals den „Jungen“ von heute das Nest bereitet haben und noch heute für Gleichberechtigung streiten und die „Jungen“ auf der anderen, die sich heute einfach nehmen, was ihnen zusteht? Und wie ist das in den verschiedenen Genres, im Jazz, in der Rockmusik?

+ Die Umfrage – Allgemeines
Am Anfang standen allgemeine Fragen zu Name, Alter, Wohnort, Art der musikalischen Tätigkeit und musikalischem Hintergrund (Ausbildung, Studium, Unterricht), Vorbildern.

Wir haben gezielt ca. 200 Musikerinnen aus dem ganzen Bundesgebiet, der Schweiz und Österreich angemailt. Davon haben 26 geantwortet, das entspricht einem Anteil von 13%. Die Gruppe der Frauen, die uns geantwortet haben, ist sehr heterogen: Das Alter der Frauen rangiert zwischen 23 und 54 Jahren (Ø 41 J.), es haben also hauptsächlich Musikerinnen ab 40 Jahren geantwortet. Von der Rockmusikerin mit Major Deal (bezeichnenderweise die Jüngste) über die vielbeschäftige Jazzmusikerin mit 5 Bands bis zur gelegentlich musizierenden Hobbymusikerin sind alle Bandbreiten vertreten. Es sind Frauen aus sog. „all female“-Bands, Musikerinnen, die in gemischten Combos spielen und singen oder auch Songwriterinnen, die solo auftreten.

Auch der Werdegang ist sehr unterschiedlich: manche haben seit der frühsten Kindheit privaten Musikunterricht genossen und haben ein Studium an einer Musikhochschule abgeschlossen, andere haben sich als Autodidaktinnen ein oder gleich mehrere Instrumente selbst beigebracht. Zusammenfassend lässt sich jedoch sagen, dass die meisten Befragten (18 Nennungen) Musikunterricht genossen haben, wobei nicht klar ersichtlich ist, ob als Kind oder Erwachsene. 10 von 26 Musikerinnen haben ein Musikstudium abgeschlossen, 7 nannten „learning by doing“ als musikalische Entwicklung bzw. dass sie Autodaktinnen seien.

+ Hast Du gute Bedingungen vorgefunden, die Dir ermöglichten, Musik zu machen bzw. Deine Musik zu verwirklichen? Was war hilfreich, was war hinderlich?

Die Aussagen sind sehr unterschiedlich. Als unterstützende Faktoren wird häufig am häufigsten die Familie genannt, aber auch die MitstudentInnen, FreundInnen, BandkollegInnen, LehrerInnen oder das „Netzwerk“ und die Frauenmusikszene.
Zu den hinderlichen Faktoren kommen wir noch.

+ Was bedeutet für Dich die Musik?

Für viele Musikerinnen ist die Musik „wichtigster Lebensinhalt„, „Lebensmittelpunkt„, „mein Leben„, „bedeutet alles“ oder „erfüllt mein ganzes Leben„. Für manche ist sie auch ein „Lebenselixier“ und wird gebraucht „wie die Luft zum Atmen“ und um sich lebendig zu fühlen. Sie hat ein „großes Glückspotential„.
Viele Musikerinnen antworteten außerdem, dass sie ihnen die Möglichkeit gebe, sich auszudrücken und Gefühle und Stimmungen mitzuteilen. Musik und besonders das Komponieren und Texten eigener Lieder wird als „wunderbarer schöpferischer Prozess“ empfunden. Auch können Spannungen verarbeitet und Alltagsprobleme abgestreift werden, Altes wird verarbeitet und Neues entdeckt. Damit wird ihr eine ausgleichende Wirkung zugeschrieben: sie ist „Antidepressiva“ und „Aufputschmittel“ zugleich wie eine Art Droge oder auch Therapieersatz.
Immer wieder betont wurde auch die Begegnung, einerseits mit anderen MusikerInnen, aber auch mit dem Publikum, die als spannend und bereichernd empfunden wird. Gerade die nicht-sprachliche Kommunikation und die Möglichkeit, Menschen mit der Musik zu erreichen, die frau sonst nicht erreicht, wurden hier öfter genannt. Auch die Tatsache, dass mit Musik gesellschaftliche Themen angesprochen werden können, wurde als Vorteil empfunden.
Relativ weit hinten liegen „Spaß“ und „gute Bezahlung„, sie wurden selten genannt.

+ Welches sind Deine Erfahrungen mit MusikerInnen, dem Publikum, der Presse und in der Musikwelt allgemein? Macht es für Dich einen Unterschied, dass Du eine Frau/Musikerin bist?
+ Gibt es Deiner Meinung nach immer noch Vorurteile Musikerinnen gegenüber?
+ Findest Du, dass heute noch eine Ungleichheit für Musikerinnen und Musiker besteht? Falls ja, inwiefern?

Hier ist entscheidend, ob die Musikerin in einer all female band oder als Instrumentalistin in einer gemischten Band oder als Songwriterin solo Musik macht. Sängerinnen und Songwriterinnen berichten eher von positiven Erfahrungen und davon, dass sie als Frau eine besondere Aufmerksamkeit genießen. Einem Vorurteil begegnen Sängerinnen jedoch immer noch: „Sängerinnen sind keine richtigen Musikerinnen„.

Instrumentalistinnen und Musikerinnen, die in reinen Frauenensembles spielen, berichten ebenfalls einerseits von besonderer Beachtung und Bewunderung, einer Art „Frauen-Bonus“, weil sie gleichsam als seltene Exoten durch die Musiklandschaft wandeln. Andererseits bekommen sie oft Vorurteile zu spüren und werden kritischer beäugt: „Sie schimpft sich Musikerin, mal sehen, ob auch Musikerin drinnen steckt“. Frauen werden eben, vor allem von der älteren Generation, immer noch am ehesten hinterm Gesangsmikrofon vermutet. Eine Saxophonistin berichtet dazu folgende Episode: „Ich kam zum Gig mit meinem Saxkoffer und den Jungs aus meiner Band. Da kam ein mittelalter Anzugstyp auf uns zu, der uns engagiert hatte, zeigt auf mich und sagt zu den Jungs: ich hab doch gesagt, ohne Anhang!

Kränkende Kommentare z.B. nach Konzerten („für ’ne Frauenband ward ihr ja richtig gut!“) werden zum Glück weniger, kommen aber immer noch vor, besonders bei all female bands. Sie zeigen, dass Frauen auch heute noch auf der Bühne nicht viel zugetraut wird. Eine Profi-Truppe, die seit 1989 mit Comedy & Percussion Erfolge feiert und in Omakleidern auf die Bühne kommt, hat dazu die passende Anekdote: „… nach einem Auftritt… standen wir – noch im BühnenOutfit – zusammen mit einer Dame vom Veranstaltungsteam im Fahrstuhl – und sie fragte uns: „Seid ihr eigentlich alles Männer?“ Dass Frauen „sowas“ tun, war ihr einfach zu unwahrscheinlich.

Zwei weitere Vorurteile scheinen sich immer noch hartnäckig zu halten: dass Frauen keine Ahnung von Technik hätten und keine kompetenten Ansprechpartner bei Gagenverhandlungen seien. Da wird einer Profi-Schlagzeugerin vom Techniker gesagt, wie sie ihr Instrument zu stimmen habe und der Sängerin, wie sie ihre Mikrofone bedienen soll. Zum Glück werden diese Episoden immer seltener, doch einige beschreiben auch heute noch das Gefühl, bei Gagenverhandlungen und beim Booking, sowie auf der Bühne von Technikern nicht richtig ernst genommen zu werden.

Auffallend ist, dass viele Frauen, meist aus der Jazzszene davon berichten, dass sie sich ignoriert und allein fühlen. Das kann natürlich zum einen daran liegen, dass es so wenige Musikerinnen gibt (!). Andererseits gibt es immer mehr, doch sie werden leider immer noch ignoriert: bei Bandzusammenstellungen werden Frauen nicht gefragt („Jungs fragen Jungs und Mädchen fragen auch Jungs“) und männliche Seilschaften sind anscheinend immer noch so eng geknüpft, dass Frauen keine Chance haben, z.B. für ein Jazzfestival engagiert zu werden.

+ Warum glaubst Du, gibt es immer noch so wenige professionelle Musikerinnen (im Verhältnis zum Anteil an Mädchen, die ein Instrument lernen)?

Mädels haben sicher häufig weniger Selbstbewusstsein als Jungs, reflektieren zu viel, sind zu kritisch mit sich. Jungs bekommen schon morgens beim Anblick ihres eigenen Spiegelbildes eine Serotoninausschüttung (Zufriedenheitshormon)
Dieses Zitat drückt aus, was in vielen Antworten anklang. Danach zu urteilen, bringen Frauen per se oder aufgrund ihrer Sozialisation, eher wenige der Eigenschaften mit, die für ein Profimusikerinnen-Dasein für nötig erachtet werden. Die Antworten zeichnen folgendes, sehr selbstkritisches Bild:

Mädchen und Frauen haben in der Regel mehr Selbstzweifel (oder sie äußern sie zumindest öfter), sie denken, sie wären nicht gut genug. Mit Fehlern können sie nicht so gut umgehen, sie sind sehr perfektionistisch; es kann also mitunter sehr lange dauern, bis sich Frauen trauen, auf die Bühne zu gehen. Sie stellen ihr Licht unter den Scheffel und besuchen unzählige Kurse und Seminare und scheuen sich davor, das Wissen danach anzuwenden.

Mädchen und Frauen haben in der Regel breitere Interessen, streuen ihre Aufmerksamkeit und setzen mehr als eine Priorität. Der Nachteil dabei ist, dass sie sich leichter ablenken lassen und sich nicht so gut auf eine Sache konzentrieren können oder wollen.

Für sie sind soziale Kontakte sehr wichtig, sie stecken viel Energie in Beziehungsarbeit, was das Vorankommen bei der Bandarbeit eher behindert. Konkurrenz scheuen sie eher, bekommen andererseits „den berühmten, einfachen Schulterschluss nur selten hin„, weil sie damit beschäftigt sind, sich unter Kolleginnen abzugrenzen.

Im Gegenzug wird gesagt, dass Jungs und Männern eher „ihr Ding durchziehen„, sich einfach zusammentun: „sie machen einfach„. Sie lernen „by doing“ und stellen sich auch auf die Bühne, auch, wenn sie ihr Instrument noch nicht perfekt beherrschen. Sie schließen sich aber auch eher mit ihrer Gitarre oder ihrem Bass im Zimmer ein und üben stundenlang – weil sie z.B. von einer Karriere träumen und davon, dass sie dann von Mädels angehimmelt werden.

Oft wurde als Grund auch genannt, dass es noch wenige Role Models gibt (was wir tagtäglich zu ändern versuchen). Auch die Musikerinnen, die wir befragt haben, beklagen, dass es in Schule, Musikunterricht, Hochschule und auf der Bühne noch zu wenige Vorbilder gäbe und dass der Alltag immer noch sehr männlich geprägt sei.
Eine Ausnahme bilden sicherlich Sängerinnen und Songwriterinnen, sowie Dozentinnen für Gesang; hier finden sich viele Vorbilder (die jedoch meist wieder den gängigen Rollenerwartungen entsprechen).

Ein weiterer Grund für die mangelnde Präsenz der Frauen im Profimusik-Bereich ist sicherlich, dass es nicht einfach ist, Familie und Musik unter einen Hut zu bringen. Wer keine ausreichende Unterstützung durch PartnerInnen oder Familie hat oder gar alleinerziehend ist, hat Mühe, sich zu Zeiten auf die Bühne zu stellen, wo kein Kindergarten auf hat (nämlich abends und am Wochenende). Zitat: „Es ist halt schwieriger, als Frau ein Groupie zu finden, das einer Frau die Stange hält, den Haushalt führt und die Kinder aufzieht… Aber nicht aufgeben, es gibt sie!

In letzter Konsequenz begnügen sich Frauen, die Musik machen, eher mit kleineren Projekten oder ziehen sich in „geschützte“ (Frauen-)Projekte zurück: „Frauen schaffen sich bei großem Druck eher Lebensalternativen, werden Mutter und pflegen das musikalische Hobby“.

+ Findest Du, dass es wichtig ist, das Geschlecht zum Thema zu machen, z.B. von Frauenbands zu reden und Ungleichheit zu benennen oder glaubst Du, dass es den Musikerinnen allgemein und Deiner Karriere eher schadet?

Die meisten Musikerinnen äußerten sich zu dieser Frage gespalten. Einerseits möchten alle in erster Linie als Musikerin und nicht als Frau wahrgenommen werden, und einfach „ihr Ding machen„. Keine möchte in eine Ecke gedrängt und schubladisiert werden, oder schlimmer: „…wenn man >Frauenband< sagt, klingt es fast wie eine Behinderung“. Auch empfinden es einige als schädlich für ihre Karriere, „wenn man in die Frauenecke gedrängt wird“. Das Wort „Frauenband“ suggeriere, „… dass Männer dort nicht gern gesehen werden, dass es Nischenmusik ist, dass es mehr um das >Frausein< als um die Musik geht„. Oft ließe sich aber gar nicht vermeiden, dass in der Presse die eigene Band als „Frauenband“ angekündigt wird. Wie eine Teilnehmerin der Umfrage es beschreibt: „Es ist ein schmaler Grad zwischen absichtlicher Ignoranz und absichtlicher Hervorhebung“. Daher plädieren einige Musikerinnen dafür, offensiv oder auch provokativ mit dem Thema umzugehen, und es mit Humor und Gelassenheit zu nehmen.

Einige Befragte geben zu bedenken, dass Musikerinnen, erst wenn sie hervorgehoben werden, für andere als Role Models sichtbar werden. Mehr noch, von einigen wird es geradezu als Muss angesehen, das Geschlecht zum Thema zu machen, weil sich sonst einfach nichts ändert: „Wenn es den Musikerinnen allgemein und meiner Karriere schadet, wenn mein Geschlecht zum Thema gemacht wird, dann MUSS das Geschlecht zum Thema gemacht werden.“ Die Ungleichheit zu benennen, befürworten daher die meisten. Vor allem Musikerinnen von all-female-Bands sehen sich dieser Ungleichbehandlung ausgesetzt: „Ich finde keineswegs, dass es schadet. Es IST ungleich. Wer kommt denn auf einmal auf die Idee, wir würden drüberstehen? Den oder diejenige lade ich herzlich gerne mal zu unseren Konzerten ein. Dann können diese Leute mal aufnehmen, was da so alles über unsere Frauenband geredet wird.

Zur Sprache kam auch die ungleiche Bezahlung von Frauen, wie in vielen Arbeitsbereichen verdienen sie auch in der Musik deutlich weniger. Es ist also auch aus diesem Grund wichtig, die Ungleichheit anzusprechen: „Solange Frauen glauben, sich mit dem Thematisieren solcher Sachverhalte zu schaden, kommen sie auch nicht raus aus der Ecke der Schlechtbezahlten“.

Die Frauen sind sich also weitgehend einig, dass sich nichts ändert, wenn die Ungleichheit und der Mangel an Musikerinnen nicht benannt werden. Entscheidend ist aber die Frage, WIE sie benannt wird. Ein Vorschlag lautet, keine „Täter“ und „Opfer“ zu benennen, sondern daran zu arbeiten, dass die Rollenklischees, an denen beide Geschlechter festhalten, überwunden und Grenzen übertreten werden.

+ Wie findest Du Angebote, die sich speziell an Frauen und Mädchen richten?

Netzwerke von Frauen und spezifische Angebote für Mädchen und Frauen werden von allen begrüßt, auch wenn sie sie nicht unbedingt selbst wahrnehmen. Gerade wegen der oben genannten Problematik des sich-nicht-Trauens haben solche Projekte eine Schlüsselfunktion: sie sind gut für den Einstieg, weil sie Raum zum Ausprobieren und Fehler machen lassen und das Selbstvertrauen stärken. Gerade bei Mädchen und jungen Frauen wird immer wieder bestätigt, dass sie sich in solchen Zusammenhängen eher an für sie „fremdere“ Instrumente wagen und z.B. von einem klassisch-„weiblichen“ auf Schlagzeug, E-Gitarre oder Bass umschwenken.

Und schließlich wird von vielen Musikerinnen postuliert, dass der Prozess der Gleichberechtigung eben ein langer und noch längst nicht erfolgreich abgeschlossen ist: „Es wäre fatal, den Mädchen und Frauen besondere Unterstützung zu entziehen und wie so viele davon auszugehen, dass die Gleichberechtigung schon längst erreicht ist und besondere Förderung nicht mehr erforderlich. Mit dieser Einstellung gehen wir gerade zwei Schritte zurück, wo wir doch erst einen nach vorne gemacht haben.

Kommentar und Ausblick

Wir wollten mit der Umfrage vor allem eine Diskussion anstoßen, da wir den Eindruck haben, dass die Thematisierung der Ungleichheit tabuisiert wird und im Musikbusiness heute eigentlich nicht mehr über Ungleichheit und Gleichberechtigung gesprochen werden darf/sollte. Doch warum ist das eigentlich so?
Kollegen, die von dem niedrigen Anteil der Profimusikerinnen hören, sind verwundert. Es gäbe doch so viele Sängerinnen und Songwriterinnen, über die so viel geschrieben wird? Die steigende Präsenz von Frauen in der Popularmusik, vor allem als Frontfrauen und Sängerinnen im Pop- und Jazzbereich, suggeriert offenbar, dass der Frauenanteil gewaltig gestiegen sei und keine Ungleichheit mehr bestehe.
Mehr noch, auch die Instrumentalistinnen werden nicht so wahrgenommen, wie die männlichen, wie die Gleichstellungsbeauftragte der Musikhochschule Luzern, Judith Estermann betont: „Oft gehen Beobachter/innen (Journalisten/innen, Konzertbesucher/innen) bereits heute davon aus, dass sich die Situation massiv verändert hat, weil sie subjektiv immer wieder Musikerinnen wahrnehmen. Dies mag damit zusammen hängen, dass man eine Gruppe, solange sie weniger als 30% Anteil ausmacht, zuerst als Minderheit wahrnimmt. So wird vorderhand eine Schlagzeugerin immer noch zuerst als Frau wahrgenommen und erst dann als Musikerin. Die wenigen Frauen, welche Jazz spielen werden also überproportional wahrgenommen, was jedoch nicht bedeutet, dass deswegen über sie geschrieben wird (schon gar nicht über ihre Musik) oder dass sie engagiert werden. Die Diskrepanz zwischen Bewusstsein und Handeln, welche wir auch in anderen Bereichen der Gleichstellung sehen, zeigte sich auch an verschiedenen internationalen Meetings von Jazzschulen„. (s. Gina Häusermann, 2004).
Die Tatsache, dass sehr wenige junge Musikerinnen auf unsere Umfrage geantwortet haben, passt da gut ins Bild. Für sie ist das Thema Gleichberechtigung wahrscheinlich nicht mehr relevant und wird als „alter Hut“ empfunden. Oder die Diskussion darüber wird als obsolet betrachtet und steht ihrem Selbstverständnis als Musikerin, die einfach durch ihr Tun überzeugt, im Weg.

Nun lassen sich, schaut frau nach den genannten Gründen für die noch heute bestehende Ungleichheit, vor allem zwei wichtige Seiten ausmachen. Zum einen ist da die Umgebung – die VeranstalterInnen, MangerInnen, ProduzentInnen, usw., die Uni, die KollegInnen und das Publikum – von der die Musikerin mangelnde Wertschätzung bis hin zur Ignoranz erfahren kann und die damit immer wieder eben nicht den Boden ebnet, sondern Stolpersteine aller Art bereithält. Was jedoch viel häufiger selbstkritisch angemerkt wurde, ist ein scheinbares Unvermögen von Frauen, den Weg der Musikerin selbstbewusst zu beschreiten. Denn anscheinend entscheidet schon eine frühe Weichenstellung, ob sie es auf ihrem Weg einmal schwer oder leicht haben wird.
Mädchen entscheiden im Gegensatz zu Jungs sehr früh, d.h. meist unter großem Einfluss der Eltern und den Stereotypen gemäss für Klavier, Geige oder Flöte*, wie die Musikwissenschaftlerin Dr. Ilka Siedenburg herausgefunden hat. In ihrer Studie „Geschlechtstypisches Musiklernen. Eine empirische Studie zur musikalischen Sozialisation von Studierenden des Lehramts Musik“ 2009 hat sie LehramtsstudentInnen im Fachbereich Musik an der Uni Oldenburg zu ihrer musikalischen Sozialisation befragt. Dabei kam heraus, dass Jungs meist später mit dem Erlernen eines Instruments beginnen und die Peergroup dabei eine wichtige Rolle spielt. Sie orientieren sich stärker an Vorbildern auf der Bühne und in den Medien, lernen häufig auch autodidaktisch, nach dem Gehör und im informellen Rahmen, z.B. in einer Band. Das Gründen einer Band ist sozusagen typisch für männliche Peergroups. Für die befragten Studentinnen hingegen hatten eher die Instrumentallehrerinnen eine Vorbildfunktion. Ihre Kenntnisse und Fähigkeiten erwerben sie eher im Unterricht und überwiegend mit Hilfe von Noten. Damit haben sie es ungleich schwieriger, in Musikbereichen wie Jazz, Rock oder Pop Fuß zu fassen, wo es üblich ist, nach dem Gehör ohne den Einsatz von Noten zu lernen, da diese Stile stark von der afroamerikanischen Oraltradition geprägt wurden. Zitat: „Vieles spricht dafür, dass eine frühe Festlegung auf das Spielen nach Noten Kindern das Lernen in diesem musikalischen Bereich erschwert. Besonders Mädchen werden häufig einseitig durch diese Form des Lernens geprägt, und zwar bereits früher als die Jungen, da sie durchschnittlich früher mit dem Instrumentalspiel beginnen.“ Das erklärt, warum der Anteil der Mädchen, die ein Instrument lernen, und sogar später ein Musik-Studium beginnen, sehr hoch ist, diese Musikerinnen später jedoch nicht mehr in dem Maße in der Popularmusik zu finden sind, sondern eher in der Klassik und Musikpädagogik.

Zu dieser Weichenstellung gibt es eine amüsante Beschreibung von Claudia Kaiser, die über das vierte Mitglied ihrer Band, den einzigen Mann, schreibt: „Dabei ist es sicher kein Zufall, dass Martin von uns allen vielleicht die mädchentypischste Musikersozialisation genoss: Das Instrument seiner Jugend war die Geige – womit in den meisten Fällen das Schicksal besiegelt und jeglicher Zugang zu jenem Land der Verheißung, das da ‚Coolness’ heißt, auf unabsehbare Zeit verschlossen ist. Eine Geige ist spießig, alles andere als anschmiegsam in der Handhabung und dabei auch noch so widerlich empfindlich. Kein Wunder, dass die doofe Fiedel meist schon nach ein paar Jahren im Wandschrank landet. Die meisten Kinder aber, denen dieses hohle Stück Sperrholz von ihren Eltern mit der Mahnung in die Hand gedrückt wurde, ‚auch ja gut drauf aufzupassen’, sind Mädchen.“ (68) („Rocken und Hosen. Unterwegs mit meiner Band“, 2003)

Die Entscheidung für ein Instrument unterliegt jahrhundertealten Traditionen, wie Gina Häusermann ausführt („Männer spielen nicht Harfe und Frauen nicht Trompete“, 2004). Sie hat sich mit dem Einfluss des Geschlechts auf die Instrumentenwahl und den Eigenschaften, die Instrumenten von jeher zugesprochen werden, beschäftigt. Die lange Tradition der Zusprechungen (z.B. grosse Lautstärke, Schlagzeug=männlich; lyrische Melodien, Flöte=weiblich) lässt vermuten, dass es schwer möglich ist, in ein paar Jahren oder Jahrzehnten diese Präferenzen umzukrempeln. Die Musikprojekte, die seit einigen Jahren in Schulen verstärkt Mädchen und Jungen wenigstens den „Erstkontakt“ mit vielen verschiedenen Instrumenten ermöglichen, sind sicherlich ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung und sollten über lange Zeit fortgesetzt werden.

Die sehr kleine Zahl von Role models im Instrumentalbereich steht einer großen Zahl von Vorbildern im Vokalbereich gegenüber, die junge Mädchen heute in TV, Radio und Internet erleben. Dort wimmelt es nur so von erfolgreichen Sängerinnen bzw. Songwriterinnen (was oft vergessen wird!), und Castings-Shows gaukeln vor, dass es auch dem „einfachen Mädel“, das zuhause vor dem Spiegel singt, gelingen kann, zum Star zu werden. Die hohe Teilnahme von Mädchen in Casting-Shows zeigt, dass sich diese eher für die musikalische Karrieremöglichkeiten entscheiden, die an Geschlechterstereotypen der Medienwelt orientiert sind, denn den schwierigen Weg der Außenseiter-Schlagzeugerin gehen. Maya Götz und Johanna Gather schreiben in ihrem Zwischenbericht zur Studie „Deutschland sucht den Superstar und Germany’s Next Topmodel – Castingshows und ihre Bedeutung für Kinder und Jugendliche“ dazu:
Castingshows zeigen anscheinend, wie man lernen kann, ein Superstar oder Topmodel zu werden. Dies beflügelt gerade bei Mädchen die Fantasie, dass dies auch für einen selbst möglich wäre. Gleichzeitig ist es aber auch Symbol für viele Berufe und die Zukunftsvisionen von Jugendlichen für ihren eigenen Weg. In einem Schulalltag, der aus der Perspektive der Jugendlichen eher wenig mit ihrem späteren Leben zu tun hat und in dem sie „gefühlt“ wenig dafür lernen, was nachher wirklich zählt, bieten Castingshows quasi einen Blick hinter die Kulissen des Berufseinstiegs.“ (www.br-online.de/jugend/izi/deutsch/castingshows_bedeutung.pdf)

Doch Mädchen entscheiden sich nicht nur für eine Rolle, weil sie den gängigen Klischees entsprechen und der Weg dorthin bequemer ist. Die Antworten auf unsere Umfrage legen auch nahe, dass Mädchen im Laufe ihrer Sozialisation Eigenschaften entwickeln, die im Musikbusiness hinderlich zu sein scheinen. Die Liste der Unzulänglichkeiten, die als Gründe für die mangelnde Präsenz der Frauen im Profibereich genannt wurden, ist lang und sie ist vor allem eins: negativ. Es ist vom einen „zuviel“ und vom anderen „zu wenig“: nicht selbstbewusst genug, leicht ablenkbar, zu bescheiden, zu selbstkritisch, zu wenig Mut, zu wenig egoistisch, usw. Doch werden diese Eigenschaften nicht nur als negativ empfunden, weil sie im männlich dominierten Musikbusiness nicht zum Erfolg führen? „Es braucht eine verdammt dicke Haut, dort mitzumachen„, „das halten nur taffe Frauen aus„! Die genannten Eigenschaften könnten doch auch positiv ausgedrückt werden: nicht überheblich, vielseitig interessiert, stellt hohe Ansprüche an sich selbst, sicherheitsliebend, sozial usw. Viele Eigenschaften, die wir Frauen ja nicht per se ablehnen und die wir auch als wichtig und gut erachten, sollten wir doch trotzdem beibehalten können, auch wenn wir Profimusikerinnen sein wollen! Wie sähe ein weiblich dominiertes Musikbusiness aus? Wir laden Euch ein, mit uns weiter zu diskutieren und freuen uns über Eure Mails: ed.av1730493700idole1730493700m@kis1730493700um1730493700.

Wenn ihr noch mehr zum Thema lesen wollt, könnt ihr in unseren Reports stöbern, wie z.B. dem Bericht über oben genannte Studie von Ilka Siedenburg (?f101=10&t101=detail,10894). Oder ihr besucht unsere „Schwester“ Helvetia rockt, die auf ihrer Seite „Wissenswertes“ einige interessante Artikel bereithält (http://www.helvetiarockt.ch/page.asp?load=237).

Copyright: Redaktion MELODIVA

Autorin: Mane Stelzer

10.05.2010