Soul-Sister Angelique Kidjo

Black Ivory Soul

Carlos Santana und Branford Marsalis sind ihre »Boys«.
Trilok Gurtu und Daniela Mercury zählen sich zum Zirkel ihrer Kollaborateure, in den auch Dave Matthews gerade aufgenommen wurde. Der sagt über Angelique Kidjos Talent: „Wenn Gott eine Stimme hat, dann findet sie in Angeliques Gesang ihren Ausdruck.“

Für ihr siebtes und meiner Meinung nach bislang bestes Album »Black Ivory Soul« hat Angelique Kidjo ihren ausgewählten Freundeskreis um ein paar brasilianische Brüder im Geiste erweitert. Und sie hat sich damit selbst ein Denkmal gesetzt, das bis in die Haarspitzen so voller Soul steckt, dass die Stax- und Motown-Veteranen dafür ihren linken Arm verkaufen würden.
Handzahm ist »La Diabolique«, wie sie in Frankreich genannt wird, deshalb nicht geworden. Mit traditionell streitbarem Sendungsbewusstsein empfing sie zum Interview, in dessen Verlauf sie unablässig schwadronierte und, je nach Reizbarkeitsgrad, auch schon mal mit der geballten Faust dermaßen auf den Hotelzimmertisch schlug, dass sie unbeabsichtigt um ein Haar eines der blödesten Rockstar-Klischees bedient hätte.

Dabei ist ihre Streitbarkeit gleichzeitig einer ihrer ausgesprochen liebenswerten Wesenszüge. Und gerade leicht gestaltete sich die Karriere der inzwischen 42-jährigen Sängerin und Musikerin aus Benin in Westafrika ohnehin nicht, trotz weltweit wirklich guten Plattenverkäufen.
Welche Titel hat man ihr nicht schon angehängt? Mit ihren Dancefloor-Hits »Agolo«, »Batonga« sowie ihren Erfolgsalben »Aye« und »Fifa« wurde sie Mitte der 90er zur »afrikanischen Funk-Diva« erklärt. Andere warfen ihr die Verwischung ihrer afrikanischen Wurzeln zu Gunsten westlicher Hörgewohnheiten vor. Das alles tangiert sie inzwischen reichlich wenig.
Statt dessen setzte sie sich vor ein paar Jahren ein Konzept in den Kopf, mit dem sie die verschiedenen Stilistiken schwarzer Musik der afrikanischen Diaspora in einer Album-Trilogie bündeln wollte. Im ersten Teil, ihrem vorletzten Album »Oremi«, schrie sie im seichten afro-amerikanischen R’n’B, unterstützt von Cassandra Wilson und Kenny Kirkland, förmlich nach kreativer Kraft. Ihrem ambitionierten 64-Spur-Vokal-Take von Hendrix »Voodoo Child« fehlte das Feuer, und so blieb es mit »Oremi« beim gut gemeinten Versuch.

Mit »Black Ivory Soul« ist nun vieles anders geworden in Angelique Kidjos Musik. Produziert von Bill Laswell und komplett live im Studio eingespielt, ist die lauwarme Simulation ihrer früheren Aufnahmen echter Wärme in Klang und Ausdruck gewichen. Kein Loop, kein Synth und kein Sequenzer hat seine Berechtigung auf dem Album, und die Zeiten des musikalischen Nivellierens gehören endgültig der Vergangenheit an. In Brasilien, genauer gesagt in Bahia, fand Angelique Kidjo genug kreative Energie, um ihrem Klangkörper die vorübergehend entfernten Weichteile retransplantieren zu lassen.

Vier Jahre sind seit deinem letzten Album »Oremi« vergangen. Warum hast du für »Black Ivory Soul« so lange gebraucht?

Angelique Kidjo: Seit es 1990 mit dem Album »Parakou« für mich richtig gut abging, tourte ich über acht Jahre lang nonstop. In dieser Zeit hatte ich ganze zwei Wochen Urlaub!
Ich brauchte dringend eine Pause, um meine kreativen Quellen wieder zu beleben. Zwischen meinen Touren war ich auch noch im Studio, und irgendwann merkte ich, dass ich die falschen Entscheidungen traf, weil ich einfach zu viel am Hals hatte.

Ist das der Grund dafür, warum »Oremi«, der erste Teil deiner Trilogie, eher »beige« als nach schwarzer Musik klingt?

Angelique Kidjo: Das ist, glaube ich, ein grundsätzliches Problem der afro-amerikanischen Musiker. Die berufen sich zwar auf ihre afrikanischen Wurzeln, wenn es ihnen in den Kram passt, aber im Grunde kennen sie die gar nicht. Zuhause in Benin hatten wir Platten aus Afrika, England, Amerika, allen Teilen der Welt. Ich schaute mir die Cover an, sah schwarze Menschen abgebildet, hörte mir die Platten an und dachte: „In was für einer Sprache, zum Teufel, singen die da?“
Noch immer gibt es im amerikanischen Musikbusiness unglaublich viel Rassismus. Das hat direkte Auswirkungen auf die schwarze Musik Amerikas. Oder warum glaubst du, lassen sich schwarze Stars ein adäquates, weißes Näschen verpassen? Salif Keita, der wirklich ein begnadeter afrikanischer Sänger ist, sieht man so gut wie nie im Fernsehen. Oder wie häufig siehst du mich im Fernsehen? Das ist der Rassismus der westlichen Medien. Zwar klauen weiße Musiker ständig von afrikanischer Musik, aber deswegen sind wir längst nicht zu ähnlichen Stars geworden.

Wie siehst du denn in dieser Hinsicht jemanden wie Peter Gabriel?

Angelique Kidjo: Ohne Peter Gabriel säßen wir beide heute nicht hier zusammen. Er war der erste westliche Star, der einen schwarzen, afrikanischen Musiker, nämlich Youssou N’Dour, auf die gleiche Ebene stellte wie sich selbst. Paul Simon ging zwar nach Südafrika, um sich Inspiration für sein »Graceland«-Album zu holen, aber er hielt die Afrikaner hübsch im Hintergrund. Alle Afrikaner, die es in den letzten 15 Jahren geschafft haben, in Europa oder Amerika populär zu werden, haben das Gabriel zu verdanken. Und ich habe großen Respekt vor seinem Idealismus, was sein Label angeht. Auch wenn ich mit dieser so genannten »Weltmusik« null anfangen kann.

Du empfindest deine Musik also nicht als »Weltmusik«?

Angelique Kidjo: Ich hasse diesen Begriff. Was sagt der denn aus? Nichts. Es ist für Weiße nur eine vermeintlich politisch korrekte Art, von Dritte-Welt-Musik zu sprechen. Das macht mich wahnsinnig. Genauso wie dieser Scheißbegriff »ethnische Musik«.
Verdammt (knallt die Faust auf den Tisch)! Was soll der Mist bedeuten? Unterentwickelte Musik vielleicht? Ich kann mit der ganzen Scheiße nichts anfangen. Und dann wird mir auch noch vorgehalten, dass ich nicht afrikanisch genug klingen würde! Was erwartet man denn? Dass ich mit Baströckchen rumlaufe und Knochen um den Hals trage? In Benin werden über 50 Sprachen gesprochen, von denen ich gerade mal zehn kenne. Unglaublich viele verschiedene Rhythmen werden dort gespielt, die nicht mal ich alle kenne. Wie kann sich also jemand in England, Amerika oder Deutschland, der wahrscheinlich noch nie in Afrika war, bequem in seinen Sessel zurücklehnen und mir versuchen zu erklären, welche Musik ich mache? Nennt sie Musik, die aus Afrika kommt. Fertig!

Wäre nicht eine autonome Situation für afrikanische Musiker, mit eigenen Labels, ideal, statt auf die Kooperation mit westlichen Labels angewiesen zu sein?

Angelique Kidjo: Natürlich wäre das ideal. Aber ein eigenes Label in Afrika, das von afrikanischen Musikern geleitet wird, wäre nicht leicht zu führen, weil Musik in Afrika nicht als Business betrachtet wird. Youssou N’Dour versucht das gerade, und ich bin gespannt, wie weit er damit kommen wird.
In einem Kontinent, in dem es normal ist, wenn von einer Platte tausende Kassettenkopien gezogen werden, kann man mit Musik schlecht wirtschaften. In Afrika hat Musik nichts mit Geldverdienen zu tun, sondern ist etwas, was aus dem Moment heraus geschieht. Vielleicht ist das auch der Grund dafür, dass ich Studios nicht besonders mag. Musik ist für mich etwas Intuitives, was sich auf der Bühne sehr viel einfacher realisieren lässt.

Hast du bei deinen früheren Alben den Produzenten entsprechend ein wenig zu viel freie Hand gelassen?

Angelique Kidjo: Kann sein. Ich erschien früher im Studio, habe meine Gesangsspuren aufgenommen und bin so schnell wie möglich wieder verschwunden. Bei »Black Ivory Soul« war das anders. Ich wollte schon lange ein Album live im Studio einspielen, habe mich aber wegen meiner Studio-Phobie immer davor gedrückt.

Schade eigentlich, denn das Resultat klingt unglaublich organisch.

Angelique Kidjo: Genau so sollte es auch sein. Und es klingt nur deshalb so organisch, weil ich das Projekt diesmal vom ersten bis zum letzten Tag im Studio überwacht habe. Und weil wir alle Musiker in einem Raum hatten. Ich denke, die Interaktion zwischen den Musikern, die übrigens alle ursprünglich aus Afrika kommen, hört man der Platte an. Wir mussten die Platte innerhalb kurzer Zeit einspielen. Ahmir »Questlove« Thompson, unser Drummer, hatte beispielsweise nur drei Tage, um die komplette Platte einzuspielen. Und er hat es geschafft! Ich habe den Musikern gesagt: „Denkt an Otis Redding, Motown, Stax und spielt!“ Und sie haben mir exakt diesen Sound geliefert.

Seltsamerweise klingt die Platte überhaupt nicht wie eine typische Bill-Laswell-Produktion, der bekannt ist für Loops und Sequenzer. Hat er sich bewusst zurück gehalten?

Angelique Kidjo: Er wusste genau, dass ich das Album live und organisch haben wollte. Seine Aufgabe bestand hauptsächlich darin, für den reibungslosen technischen Ablauf im Studio zu sorgen. Wenn du mit bis zu zehn Musikern gleichzeitig im Studio bist, kann das mitunter ganz schön chaotisch werden.

Mit welchen Instrumenten komponierst du deine Songs?

Angelique Kidjo: Ich spiele Gitarre und ein bisschen Perkussion. Aber meistens singe ich meine Ideen in ein Diktiergerät, und Jean Hebrail, mein Mann, notiert sie anschließend. Die Arrangements stammen seit meinem ersten Album von uns beiden. Er hat eine klassische Klavierausbildung und ist ein ausgezeichneter Bassist. Außerdem ist er, ganz im Gegensatz zu mir, ein Computerfreak, was die Arbeit ungemein erleichtert.

Du hast einige Songs von »Black Ivory Soul« mit dem bahianischen Superstar Carlinhos Brown komponiert. Wie kam es zur Zusammenarbeit?

Angelique Kidjo: Wir wollten schon lange etwas zusammen machen, weil klar war, dass in der Konstellation die Energien von zwei Wahnsinnigen aufeinander prallen würden. Und so war es auch.
Wir schrieben sechs Songs an einem Tag. Bahia ist der Teil Brasiliens, der am stärksten von den afrikanischen Wurzeln der Sklaven geprägt ist, die seinerzeit von Benin nach Bahia gebracht wurden. All die populären brasilianischen Rhythmen haben ihren Ursprung in Bahia.

Und sie klingen geschmeidiger als die traditionellen afrikanischen Rhythmen …

Angelique Kidjo: Das stimmt. Die Nonchalance der brasilianischen Rhythmen hat etwas mit der klassischen Musik zu tun, die die Sklavenhalter gehört haben. Die Sklaven haben die Harmonien der klassischen Musik genommen und sie zu den afrikanischen Rhythmen addiert. Deshalb klingt die populäre, bahianische Tanzmusik wie die »Axé« auch so funky und sexy. Die afrikanischen Rhythmen verlieren in Bahia ihre scharfen Kanten und bekommen weiche Züge.

Wie sehen deine Pläne für die Zukunft aus?

Angelique Kidjo: Das hängt davon ab, auf was ich als nächstes Lust habe. Falls du damit fragen willst, ob ich in Zukunft wieder mit Loops und Sequenzern arbeiten will – ich weiß es nicht. Im Moment bin ich stolz auf »Black Ivory Soul«. Die früheren Platten sind in einer anderen Zeit und unter anderen Bedingungen entstanden.
Möglich, dass ich als nächstes den dritten Teil meiner Trilogie in Angriff nehme. Darin will ich die Musik aus Kuba und Haiti in ihren ursprünglichen, afrikanischen Kontext zurückführen. Vielleicht mache ich aber auch etwas völlig anderes. Ich denke gerade ernsthaft darüber nach, mich in Bahia niederzulassen. Im Moment pendele ich zwischen New York und Paris hin und her. Die Einflüsse meiner Heimat Benin sind in Bahia nicht nur musikalischer Natur. Die Gerüche, das Essen und die Luft, die man einatmet, sind Benin sehr ähnlich. Und in Bahia haben sie tolle Musik und heiße Strandparties – ich liebe es, Parties bis zum Umfallen zu feiern. Außerdem ist eine weitere Zusammenarbeit mit Carlos Santana geplant, der sehr wahrscheinlich eine meiner Kompositionen für sein kommendes Album aufnehmen wird. Eines kann ich dir allerdings schon jetzt versprechen: Ich werde mit Sicherheit kein verdammtes »Weltmusik«-Album aufnehmen (lacht).

Text: Michael Loesl – Quelle: TOOLS, Ausgabe April 2002
Wir danken der Redaktion TOOLS und dem Autor für die freundliche Unterstützung.

Discografie:

»Parakou« (1990 Island/Universal)

»Logozo« (1991 Island/Universal)

»Ayé« (1994 Island/Universal)

»Fifa« (1996 Island/Universal)

»Oremi« (1998 Island/Universal)

»Keep on moving – Best of« (2001 Columbia/Sony)

»Black Ivory Soul« (2002 Columbia/Sony)

Angelique Kidjo im Netz:
http://www.kidjo.com

Wir bedanken uns für die Untersützung bei dem Atuor und bei der Redaktion von TOOLS, besonders bei Kai Schwirtzke.
www.t4m-online.de

Copyright: Redaktion Melodiva

31.03.2002