Souad Massi (AL/F)

"Algerien in der Stimme"

Für die Sängerin und Gitarristin Souad Massi gehören zwei Dinge untrennbar zusammen: Musik und ihre Heimat Algerien. Die seit 1999 in Frankreich lebende Künstlerin – die mit ihrem ersten Auftritt in Paris anläßlich des Frauenfestivals „Femmes d´Algerie“ für Furore sorgte – singt für die Freiheit ihrer Heimat, für den Frieden in ihrem Land und in der Welt.

Souad Massi ist keine politische Aktivistin im engeren Sinne, sondern eine Frau, die einfach ihre Meinung sagt, keinen Schleier trägt und schon seit Jugendtagen engagiert und offen agiert. Von der klassischen Gitarre kam sie, mit Umweg über eine Flamencoband, die sie leitete, zur Rockmusik, die sie mit Leidenschaft betrieb und wodurch sie in Algerien berühmt wurde.

Als Exilantin hat sie nun, wie sie sagt, zu sich selbst gefunden, zu den Wurzeln ihrer Musik. Ihre in algerischer Sprache getexteten Songs besitzen eine eher traurige Grundstimmung, melancholisches Songwriting mischt sich musikalisch mit arabischer Musik, Folk und Flamenco…

Carina Prange sprach in Berlin mit Souad Massi

Carina: Du hattest zu Beginn deiner musikalischen Laufbahn klassischen Gitarrenunterricht. War die ursprüngliche Idee, auf dieser Linie zu bleiben?

Souad: Eigentlich wollte ich wirklich Gitarristin werden. Aber das war ein bisschen zu spät, weil ich schon achtzehn Jahre alt war, als ich überhaupt anfing. Ich habe es vier Jahre lang ernsthaft studiert – aber im Vergleich mit Leuten, die bereits mit sieben Jahren angefangen haben, da bist du sozusagen schon draußen.

Carina: Wie schaffst du es, Folk, Flamenco und so viele andere Einflüsse miteinander zu verbinden?

Souad: Das kommt dadurch, dass ich mir so viele verschiedene Sachen anhöre. Es gibt Menschen, die nur eine Musikrichtung hören und das kann ich nicht. Und das kommt wahrscheinlich daher. Flamenco kann ich in der Tat sogar ziemlich gut spielen, zwar nicht wie die Gitanos, mit diesem … (schnippst) … Schlag – aber authentisch klingt es schon!

Carina: Erzähl bitte ein wenig über deine Instrumente!

Souad: Ich habe insgesamt vier Gitarren, die ich regelmäßig spiele. Für die Bühne eine Cort und zwei Gibson-Gitarren; eine davon mit Nylonsaiten, die andere ist eine Steelstring. Die beiden habe ich mir übrigens nicht gekauft, sondern die hat Gibson mir geschenkt. Ich kann mir einfach keine 30.000 Franc-Gitarre leisten! (lacht) Zu Hause, zum Üben und zum Arbeiten, habe ich dann noch eine Epiphone.

Carina: Inwieweit fühlst du dich der traditionellen algerischen Musik verbunden? Und wie groß ist der Einfluss der gegenwärtigen europäischen/französischen Popmusik?

Souad: Die Verbindungen zu meiner algerischen Vergangenheit betreffen die Familie, die Leute, die dort wohnen – und meine Kindheit. Das umfasst den größten, den wesentlichen Teil von dem, was ich dort erlebt habe.

Französische Popmusik höre ich nie, überhaupt nicht! Ich stehe gar nicht auf französischen Pop – wenn Pop, dann amerikanischen oder englischen.

Carina: Was kommt zuerst, wenn du einen Song schreibst – der Songtext oder die Komposition? Schreibst du sämtliche Kompositionen und Arrangements für die ganze Band?

Souad: Zum Songschreiben: Alle Leute stellen mir diese Frage. Es gibt keine Regel dabei, manchmal kommt zuerst die Musik, manchmal eher der Text. Aber ich kann nicht sagen: O.K., jetzt schreibe ich ein Lied, setze mich an einen Tisch und fange an … Das geht natürlich nicht. Ansonsten – ich komponiere alles, und arrangiere die Musik auch. Allerdings nur für das Album. Auf der Bühne haben wir andere Arrangements, da ist ja auch nicht die ganze Band dabei.

Carina: Auf dem neuen Album spielst du Gitarre und Jean-François Kellner begleitet dich auf seiner 12-String. Wie ist die Rollenverteilung auf der Bühne?

Souad: Ich begleite mich nur, Kellner ist der hauptsächliche Gitarrist. Ich kann nicht gleichzeitig singen und komplizierte Sachen auf der Gitarre spielen.

Carina: Wäre ein akustisches Album etwas das du dir vorstellen könntest – nur ihr beide und dein Gesang?

Souad: Nein! (lacht). – Nur um zwei Gitarren auf einem Album mit dabei zu haben, interessiert mich das nicht. Wenn, dann eher ich allein – ich und meine Gitarre!

Carina: Das Singen oder das Spielen der Gitarre – was ist dir wichtiger?

Souad: Das Singen! Eher das Singen, wenn denn eine solche Entscheidung nötig wäre. Es gibt Momente im Konzert, in denen ich nicht Gitarre spiele und dann fühle ich mich total entspannt, kann mich fallen lassen.

Carina: In Algerien befandest du dich in der Rolle einer Frau, die Grenzen überschreitet, die in Opposition zur Regierung stand und warst ein Vorbild für andere Frauen, die ähnlich wie du dachten.

Souad: Das fängt bei mir in der Umgebung an; beispielsweise beginnen die Mädchen und die jungen Frauen damit, Sport zu machen. Und manche sagen, „Was Souad singt und was sie alles macht&Mac226; das können wir doch auch!“ – Aber in Algerien gibt es eine Menge Mädchen, die alleine vor die Tür gehen. Es ist auch nicht so, dass alle Frauen auf der Straße den Schleier tragen. Die stehen schon viel mehr ihren Mann als man so denkt!

Wie es speziell bei mir zu dieser Entwicklung kam? Im Sudan hatte ich mal folgendes Erlebnis: Ich war zehn Stunden im Flugzeug unterwegs, um dort ein Konzert zu geben, als eine der ersten Sängerinnen, die sie nach einer längeren Zeit ins Land gelassen hatten. Und dann hat man meinem Manager vor dem Konzert gesagt, ich müsse dabei bitte den Schleier tragen Ich habe gesagt: „Nein, das mache ich nicht, warum denn, ich trage keinen Schleier – niemals und auch hier nicht! Das wäre Heuchlei!“ Sie haben entgegnet: Ja, ja, aber das sei ein schlechtes Vorbild für die Mädchen … das, oder aus dem Konzert würde nichts. Ich habe also gedroht, wirklich alles abzusagen – zehn Stunden Flug für nichts! Am nächsten Tag standen fünfzig Journalisten vor dem Hotel und wir haben viel darüber diskutiert. Dadurch wurde immerhin eine Debatte ausgelöst und das war sicher nicht umsonst!!

Carina: Die politische Situation in Algerien – ist das immer noch ein Thema für dich?

Souad: Die politische Lage in Algerien ist instabil; sie ist schon seit langem schwierig, ist es immer noch! Das berührt mich jedes Mal, wenn ich dort hinfahre. Und klar – das hat einen Einfluss auf mich: ich schreibe dann darüber. Vielleicht schreibe ich deshalb auch so traurige Lieder; wäre Algerien plötzlich ein Land wie, sagen wir mal, Schweden – politisch und sozial gesehen – dann wäre ich froh. Und dann könnte ich wohl aufhören, so melancholische Sachen zu schreiben. Nur, im Moment sieht es leider nicht so aus.

Carina: Die Lieder „Houria“ (Freedom) und „Deb“ (Heartbroken) – bitte erkläre deine Botschaft dieser beiden Lieder

Souad: Bei „Heartbroken“ geht es vor allem um Leute, die weg wollen, eingeschlossen sind. Die sich ausgeliefert fühlen – und es handelt auch von der Unmöglichkeit, sich frei zu fühlen. „Freedom“ erzählt im Wesentlichen von derselben Sache, benutzt aber das Bild einer Frau, die in diesem Falle stellvertretend für Algerien steht. – Ich spreche nicht direkt von der Freiheit, sondern über eine Frau, die angekettet ist. Das ist als Metapher zu verstehen – ich empfinde mein Land, meine Heimat so. Aber ich singe meine Lieder für die ganze Welt. Wenn ich mit ansehen muss, wie überall in der Welt Katastrophen geschehen, macht mich das ganz krank.

Carina: Gibt es eine wichtige Erfahrung aus deiner Zeit in Algerien, die dich bis heute geprägt hat?

Souad: Als ich vor langer Zeit in Algier arbeitete, habe ich während einer Busfahrt ein kleines Erlebnis gehabt, von dem ich hier kurz erzählen möchte. Das war damals, musst du wissen, eine Zeit, wo ich mich nicht sonderlich wohl in meiner Haut fühlte, ich hatte Komplexe und war ziemlich unsicher. Es war so: Im Bus neben mir saß eine ältere Frau, deren Hände haben mich einfach fasziniert. Nur, ich habe mich nicht getraut, sie deshalb anzusprechen – weil ich ja so schüchtern war, aber ich hätte gerne! Und da war sie es, die mich ansprach. Seltsame Situation!

Jedenfalls – zum Schluss gab die Frau mir folgendes mit auf den Weg: „Es ist besser, eine Sache zu bedauern, die man gemacht hat, als eine Sache zu bedauern, die man unterlassen hat.“ Das war so eine kleine Weisheit, die für mich die Dinge plötzlich relativiert hat, mich von meiner eigenen Erziehung ein bisschen weggenommen hat – und deshalb vielleicht traue ich mich inzwischen, bestimmte Sachen einfach zu tun.

Discographie

Aktuelle CD: Souad Massi „Mesk Elil“ (Wrasse Records Wrass 2006)

CD: Souad Massi „Raoui“ (2004 in Deutschland, ihre 2. CD, global: ihre Debut-CD)

CD: Souad Massi „Deb “ (Wrasse Records / Harmonia Mundi – 2003, (in Deuschland ihre 1. CD, global: ihre 2.CD) … jetzt auch mit DVD, Live-Mitschnitte + Interview zu kaufen

(SW-Foto: Frank Bongers/Berlin)
Quelle: Dieser Text erschien in der Jazzdimensions-Ausgabe (Jan-2006).
Wir bedanken uns bei der Redaktion, Frank Bongers und der Autorin Carina Prange für die kollegiale Unterstützung.

http://souadmassi.artistes.universalmusic.fr
Autorin: Carina Prange

29.01.2006