Nicht nur die Musik zählt

Über Musikerinnen und ihre Rolle in der Öffentlichkeit

Im Gespräch mit Autorin Angela Mißlbeck (Berlin):
Monika Bloss Popmusikforscherin mit Schwerpunkt Geschlechterforschung und Gastdozentin an der Universität der Künste (HDK) Berlin

Angela Mißlbeck:
Die klassische weibliche Bühnenrolle ist die attraktive Sängerin. Inzwischen gibt es aber jede Menge Frauen- oder Girlie-Bands. Frauen spielen Instrumente und sind erfolgreiche Solistinnen. Welche Rollen stehen Frauen in der Popmusik über die klassische Rolle hinaus offen?

Monika Bloss:
Prinzipiell haben Frauen alle Möglichkeiten. Im Einzelfall hängt das aber davon ab, wie sie sich über normative Rollenerwartungen hinwegsetzen können oder wollen. Das wiederum ist stark von ihrer Sozialisation und individuellen Prädisposition beeinflusst. Wenn das Interesse groß genug ist, dann lernen Mädchen ganz früh schon Schlagzeug spielen. Und Frauen am Schlagzeug und am Bass sind heute auch nicht mehr die Ausnahme.

Angela Mißlbeck:
Was hat sich hier in den vergangenen zehn bis zwanzig Jahren verändert?

Monika Bloss:
Die Präsenz der Frauen in der Popmusik hat insgesamt stetig zugenommen. Die Rock-Ladies in den siebziger Jahren, wie Suzie Quattro oder Chrissie Hynde, waren noch Einzelfälle, aber zugleich modellhafte Vorbilder. An ihnen konnte sich die Nachfolgegeneration orientieren. Durch den Punk kamen sehr viele Musikerinnen ins Blickfeld, da spielten Frauen insgesamt eine auffälligere Rolle. Entscheidend waren aber die neunziger Jahre. Im vergangenen Jahrzehnt ist das starre Geschlechterverhältnis aufgebrochen worden, nicht zuletzt durch die Präsenz anderer Kulturen und Lebensweisen.

Angela Mißlbeck:
Musikerinnen definieren sich vorrangig über ihre Musikrichtung und nicht über ihr Geschlecht. Warum?

Monika Bloss:
Zum einen ist das eine Gegenreaktion auf das übliche Muster öffentlicher Aufmerksamkeit, nämlich immer zuerst als Frau betrachtet zu werden. Zum anderen ist für viele Musikerinnen die Musik eine Passion, der sie mit Engagement und handwerklicher Professionalität nachgehen. Und dabei möchten sie vor allem nach ihrer Leistung bewertet werden. Die Schwierigkeit hierbei ist allerdings, dass das Musizieren eng an den Körper gebunden ist. Und die Wahrnehmung des Körpers ist in erster Linie geschlechtliche Wahrnehmung.

Angela Mißlbeck:
Gibt es denn Möglichkeiten für Musikerinnen, auf der Bühne außerhalb von Rollenerwartungen zu agieren?

Monika Bloss:
Solange die Rollen noch so präsent sind, ist es unmöglich. Zuviel ist abgeleitet von Geschlechterpolaritäten. Jedes behauptete „Außerhalb“ ist immer nur scheinbar außerhalb. Wenn ich beispielsweise die erwartete Rolle verneine, verschweige oder verhülle, ist das immer auch eine Auseinandersetzung mit ihr und damit ein Operieren innerhalb von Rollenbedeutungen.

Angela Mißlbeck:
Wie reagiert das Publikum auf überraschende Frauenrollen?

Monika Bloss:
Man kann sagen, dass das weibliche Publikum den Bruch von Erwartungshaltungen eher als befreiend empfindet, während junge Männer dadurch eher verunsichert werden. Im Detail erfordert diese Betrachtung aber einen wesentlich differenzierten Umgang. Dabei müssten die Kontexte berücksichtigt werden, also Ort und Musikstil und so fort.

Angela Mißlbeck:
In welchen Sparten sind Musikerinnen erfolgreich, ohne dass sie den Rollenerwartungen entsprechen oder explizit widersprechen?

Monika Bloss:
Die Rollenerwartung hat immer damit zu tun, ob es mehr um die Musik oder um die Performance geht. Pop ist zum Beispiel ein extrem performancebetonter Bereich, da kommt es zu einem Bruch zwischen Identität und Performance und in der Performance werden Rollenerwartungen reproduziert.
In der eher konservativen Country Music wird dagegen die Authentizität des Musizierens betont, also die Einheit von Künstlerin und Person. Doch selbst da gab es mit Dolly Parton schon quasi eine Parodie des Rollenklischees.
Im Jazz spielt die Performance kaum eine Rolle, da steht die Musik im Vordergrund und entsprechend oft sind hier auch ganz »natürlich« erscheinende Musikerinnen anzutreffen.

Angela Mißlbeck:
Welche Entwicklungen hinsichtlich der Gender-Thematik im Popmusikbereich erwarten Sie für die Zukunft?

Monika Bloss:
Meine Vision wäre, dass ein Interview, wie wir es hier führen, gar nicht mehr nötig ist. Dass man sich nicht mehr über Frauen in der Musik unterhält, sondern nur noch über die faszinierendsten Acts, Sounds oder Songs, egal ob sie von einem Mann oder einer Frau kommen.

Dieser Artikel erschien bereits im FREITAG. Danke für die Unterstützung an die Redaktion des FREITAG, Berlin.

Weitere Texte und Beiträge zum Thema Frauen/Musik-Forschung:
http://www.querelles-net.de/2002-6/links.html#musik

Monika Bloss – Kurzbiographie

Meine musikalische Ausbildung begann zunächst im Fach Klavier an der Spezialschule für Musik der Franz-Liszt-Hochschule Weimar, der sich ein kultur- und musikwissenschaftliches Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin anschloss. Nach einigen Jahren Praxiserfahrung im Kultur- und Wissenschaftsmanagement kehrte ich in den akademischen Betrieb zurück und promovierte 1990 am Forschungszentrum populäre Musik der HU über „Popularität“ als konstitutivem Funktions- und Wirkungszusammenhang populärer Musik. In den 90er Jahren widmete ich mich verschiedenen Aspekten von Geschlechterkonstruktionen in Musik, u.a. mit Veröffentlichungen zu Arrangements der Geschlechter: Konzeptualisierungen von Männlichkeit und Weiblichkeit in populärer Musik“ (1997), Geschlecht als musikkulturelle Performance? – Androgyne Images von PopmusikerInnen und das Spiel mit der ´sexuellen Differenz‘ (1998), The Making of Boys and Girls: The Boy Group Phenomenon (1998) und Musik(fern)sehen und Geschlecht hören? Zu möglichen (und unmöglichen) Verhältnissen von Musik und Geschlecht. Oder: Geschlechterkonstruktionen im Videoclip (2001).

Wer einen komprimierten Einblick in den Diskussionsstand der musikalischen Geschlechterforschungen sucht, kann meinen Beitrag zur Musikwissenschaft in dem von C. v. Braun und I. Stephan herausgegebenen Einführungsbuch Gender Studien (2000) nachlesen.

Im SS 2001 wurde ich als Gastdozentin mit den Schwerpunkten Populäre Musik und Gender Studies an die Fakultät Musik der HdK Berlin verpflichtet.

Copyricht: Redaktion Melodiva

30.06.2002