Mayte Martín & Belén Maya (Barcelona)

Flamenco & Leidenschaft

Ihre gemeinsamen Auftritte sind ein intensives Erlebnis voller Leidenschaft, Zärtlichkeit, Eleganz, Perfektion und tiefer Emotionen wie Hoffnung, Liebe und dem allgegenwärtigen Schmerz, der im Flamenco und seinen oft wehmütigen Liedern großen Raum einnimmt.

Der ursprünglich aus Andalusien stammende Flamenco wird derzeit von vielen jungen MusikerInnen modernisiert und teilweise regelrecht verpoppt. Nicht so von Mayte Martín. Ihre Interpretation der Flamencogesänge ist puristisch und folgt traditionellen Vorstellungen. Dennoch ist allein die Tatsache, dass eine Frau den Flamenco singt, ungewöhnlich.

Im dunklen Anzug hält sie sich auf der Bühne im Hintergrund und singt die peteneras, alegrías und boleros, während ihre 36jährige Lebensgefährtin Belén Maya das Publikum mit ihrer ausdrucksstarken Tanzkunst fesselt und mitreißt.

1994 erschien Mayte Martíns erstes Flamenco-Album „Muy frágil“. Mit umjubelten Auftritten in ganz Europa festigte die heute 37jährige Katalanin ihren Ruf als die beste Flamenco-Sängerin der jüngeren Generation. Neben dem Flamenco gilt ihre Leidenschaft den boleros.

Sie sind ein musikalisches Traumpaar:
Die Flamenco-Sängerin (cantaora) Mayte Martín und die Flamenco-Tänzerin (bailaora) Belén Maya.
Nach dem letztjährigen Flamenco-Album „Querencia“ erschien mit „Tiempo de amar“ ein Album mit sanften Liebesballaden, zwei davon mit der legendären Omara Portuondo eingesungen.
Diese Album präsentiert eine ganz andere Mayte Martin.

Das Interview:

Wie seid ihr beide zum Flamenco gekommen?

Belén: Ich komme aus einer Familie von bailaores, mein Vater und meine Mutter waren Flamencotänzer, aber mich interessierte es erstmal nicht. Zu Hause sah ich sie immer tanzen, aber erst mit 18 fing ich an, Interesse dafür zu entwickeln und es selbst auszuprobieren. Ziemlich spät eigentlich. Davor hatte ich gar nichts in der Richtung gemacht.

Mayte: Ich lernte Flamenco durch die Schallplatten meines Vaters kennen. Flamenco war die erste Musik, die ich hörte, oder wenigstens die erste, die mir gefiel. Als kleines Mädchen sang ich nach, was ich hörte. Durchs Nachahmen lernte ich alles, was zum Flamenco gehörte, zum Beispiel den Aufbau der palos (die unterschiedlichen Rhythmen im Flamenco, A. der Üin). Ich hatte mir nie vorgenommen, eine professionelle Flamenco-Sängerin zu werden, das kam nach und nach, auf sehr natürliche und logische Weise, nachdem ich schon lange mein Leben dem Flamenco gewidmet hatte.

Also hattest du gar keine Lehrer oder Lehrerinnen?

Mayte: Nee, Flamenco ist immer autodidaktisch, da gibt es niemanden, der dir erklärt, wie es geht. Na ja, die Schallplatten zeigen dir natürlich, was Flamenco ist. Aber gelernt wird Flamenco durch Zuhören und Nachmachen.

Wie habt ihr beide euch dann kennen gelernt?

Belén: Wie wir uns kennen gelernt haben? Erzähl du es, du kannst es so schön!

Mayte: Es war ein Nachmittag im Frühling (sie lacht) im Gebüsch… Na gut. Ich habe sie zuerst kennen gelernt, sozusagen. Es war so: Ein Kollege, ein cantaor, der weiß, dass ich nur ganz selten TänzerInnen mag, sagte zu mir: du solltest mal im tablao von Carmen, in Barcelona, vorbeischauen. Da tritt für ein paar Tage eine Frau aus Madrid auf, die dir sehr gut gefallen wird. Ich ging hin, sah sie tanzen und tatsächlich, ich fand es sehr schön, sehr besonders, sehr anders und sehr attraktiv. Sofort wusste ich, dass wir etwas Gemeinsames haben, und dass es irgendwann dazu kommen würde, dass wir uns zusammenfinden würden, um es zu entwickeln.
Später sah ich sie im Film „Flamenco“ von Carlos Saura, in dem sie einen kurzen, sehr sehr schönen Auftritt hat. Das erinnerte mich wieder an sie und ich sprach ihr auf den Anrufbeantworter, dass es mir sehr gut gefallen habe.
Kurz danach, zum Festival „Grec“ in Barcelona (ein dezentrales Open-Air-Bühnenfestival, das jeden Sommer stattfindet – sehenswert! A. der Üin), gab es eine Reihe von Flamenco-Konzerten im Programm, darunter einen Abend mit mir, und „sie“ wollten, dass ich einen bailaor oder eine bailaora dazu einlade. Ich fragte Belén, und das wurde unsere erste Zusammenarbeit. Es war im Sommer 1997. Das ist fast sechs Jahre her. Da dachten wir noch an nichts anderes als an eine begrenzte Zusammenarbeit. An einen ständigen Zusammenschluss, eine Art Ensemble, dachten wir nicht. Aber diese erste Zusammenarbeit machte uns beiden richtig Spaß, wir genossen es sehr, und so, nach und nach, ohne es geplant zu haben, hatten wir weitere gemeinsame Auftritte, wir weiteten das gemeinsame Repertoire aus, und wir wurden ein Ensemble.

Mayte, hattest du vorher andere TänzerInnen, ein anderes Ensemble?

Mayte: Nein, noch nie hatte ich so ein Projekt mit jemand anderem zusammen. Ich mache meine Sachen, meine Platten, meine Projekte, und das einzige Projekt mit jemand anderem ist die Zusammenarbeit mit Belén. Mit niemandem sonst war ich künstlerisch einig genug. Gut, es gab meine Geschichte mit Tete Montoliu (berühmter katalanischer Jazzpianist, der 1997 starb. Mayte Martín hat mit ihm 1996 das Album „Free Boleros“ aufgenommen. A. der Üin), aber die war auch sehr kurz.

Wer entwickelt euer Programm? Macht ihr das gemeinsam?

Belén: Ja, so ist es. Völlig. Sie bringt die musikalischen Ideen und ich trage meine Anteile bei. Ich habe ja viel Stoff, und den bauen wir ein. Ja, wir arbeiten als Team. Jede bringt, was sie mag und kann, und wir feilen herum und passen an.

Ihr macht ja eher traditionelle Flamencomusik. Wo seht ihr eure persönliche Note?

Mayte: Ja, das Gesungene ist völlig traditionell und klassisch. Alles, was wir aufgenommen haben, entstammt dem gängigen Repertoire. Da rühren wir nichts an. Das ist unser Verständnis: an die Wurzel gehen, wissen, woher du kommst. Wenn wir uns etwas Neues ausdenken würden, dann wäre es eben etwas Neues und keine Weiterentwicklung des Klassischen. Und genauso ist es bei Belén: Sie geht von klassischen Bewegungen aus und verwandelt sie nach ihrer Art.

Belén: Man kann sagen, dass unser Nährboden der klassische Flamencotanz ist, so wie die Texte auch, und die palos. Sieh dir zum Beispiel die alegrías an, wie wir sie machen, genau in der Reihenfolge, wie sie „sein sollen“. Das gibt es recht selten heutzutage! Der Tanz hat sich sehr weiterentwickelt und kaum jemand hält sich an die klassischen Regeln. Wir schon. Und auf diese Basis setzen wir unseren Stil, der wirklich sehr persönlich ist, nicht „modern“, sondern eigen. Wir beide sind sehr persönlich, sehr eigen, und das, plus die Tradition, macht die Mischung aus.

Welche Art von persönlichen Elementen fügt ihr ein?

Belén: Im Tanz habe ich mir parallel zu dieser „Tradition“ – schon wieder dieses Wort! – andere Techniken angeeignet, die meinen Stil ausmachen. Mein Flamenco ist weder klassisch noch modern. Er ist einfach persönlich. So will ich es stehen lassen. So ist es im Tanz. Beim Gesang weiß ich es nicht…

Mayte: Doch. Es ist ein bisschen wie ein Cocktail, den du gemischt hast, und niemand kann genau herausschmecken, was drin ist, und niemand kann es dir nachmischen, weil du die einzige bist, die weiß, wie viel von jeder Zutat hineingehört.
Wir beiden sind sehr offen, sehr empfänglich gegenüber anderen Einflüssen, und entwickeln so unsere eigene Mischung.

Gibt es prägende Einflüsse für euch, oder habt ihr LieblingssängerInnen?

Mayte: Ich mag zum Beispiel Billie Holiday…

Belén: Oder Maria Callas.

Mayte: Genau. Obwohl ich es mit der klassischen Musik nicht so habe. Ich kann nicht sagen, ich mag die eine oder die andere Musikrichtung. Ich mag bestimmte Sachen in allen möglichen Stilrichtungen.

Flamenco ist ein männerdominiertes Terrain. Warum ist das eigentlich so?

Mayte: Dafür gibt es musikalisch gesehen keinen Grund. Früher konnten logischerweise nur wenig Frauen ihren Begabungen nachgehen. So wie das Leben aussah, hatten sie praktisch keinen Raum dafür, eine Karriere zu entwickeln – zwischen Geburten, dem Versorgen von Kindern und Ehemann, Haushalt usw. Das kann der Grund sein, dass es mehr cantaores als cantaoras gab. Heutzutage ist es nicht mehr so: ich kenne einige Frauen, im Tanz wie im Gesang.

Belén: Und ich glaube, dass es damals auch nicht wenige cantaoras gab – nur, dass sie eben hauptsächlich im Familienkreis gesungen und da wohl durchaus eine gewisse Berühmtheit erreicht haben. Der Weg zur Professionalisierung blieb ihnen aber verschlossen.

Mayte: Aus sozialen Gründen.

Und wie reagiert das Publikum heute auf eine Frau, die Flamenco singt, was ja immer noch etwas ungewöhnlich ist?

Mayte: Das Publikum hat kein Problem damit, schließlich hat es bezahlt, um genau das zu hören. Vielleicht gefällt es ihnen, vielleicht nicht, aber ihnen ist es ganz egal, ob ich Frau, Mann oder Schildkröte bin.

Es fliegen also keine Tomaten…

Mayte: Nee, es hat nie gereicht, um einen Gemüseladen zu eröffnen. (lacht)

Belén: Aber es ist schwieriger als Frau, gib es zu!

Mayte: Nicht mehr, wenn du es schon bis zur Bühne geschafft hast. Das Schwierige ist der Weg dahin. Gut, es kann auch an mir liegen. Ich bin mir so im Klaren darüber, was ich will, dass ich die Hindernisse gar nicht wahrnehme, dass ich mich nicht beeinflussen lasse. Ich weiß nicht, wie es gewesen wäre, wenn ich ein Mann wäre. Ich weiß es nicht und kann es nicht wissen. Und da mache ich mir auch keinen Kopf darüber.
Ich stehe da, wo ich hinwollte, und das ist alles.

Belén: Ich will etwas dazu sagen.

Mayte: Eigentlich solltest überhaupt du diese Frage beantworten!

Belén: Aber nicht nur für mich, für dich gilt es auch! Ich denke, dass Frauen, die eine Begabung haben, dafür einen Preis zahlen müssen. Mit ihrem Privatleben, zum Beispiel, indem sie besser nicht heiraten, besser keine Kinder kriegen sollten. Oder sie müssen wirklich hart kämpfen. Härter als ein cantaor – und ich will keine Namen nennen! – der gut singt, aber auch nicht besser als ich… Die Szene ist doch feindselig. Eine Frau muss wenigstens viermal besser sein, um da hinzukommen, wo ein lange nicht so guter Sänger schon steht; sie braucht mehr Jahre und viel mehr Hartnäckigkeit dazu. Und das ist in allen Bereichen des Lebens so. Im Tanz auch: frau muss diesen hohen Preis zahlen, oder sie muss ihr Frau-Sein anders einsetzen, auf eine manipulierte Weise, indem sie auf ihr Aussehen setzt. Sie wird gezwungen, ihr Geschlecht kommerziell auszunutzen, auf eine nicht natürliche Art. Zum Glück musste ich es nicht, aber ich kenne viele, die diesen Preis zahlen.

Dass ihr Lesben seid, ist bei euren Auftritten ziemlich offensichtlich. Aber wird das auch von denen gesehen, die nichts davon wissen?

Belén: Lass uns realistisch sein: es ist ein Reizthema, aber es hat uns nie so direkt berührt. Es ist uns noch nie passiert, dass jemand uns offen „geraten“ hätte, dies oder das zu ändern oder wegzulassen. Aber die Flamencowelt ist eindeutig eine Männerwelt, und es hätte wirklich ein Problem werden können. Wir sind aber von Anfang an, von der ersten Zusammenarbeit an, ganz natürlich an die Sache herangegangen, hauptsächlich, weil Mayte sehr natürlich ist.

Mayte: Das ist es, was ich die ganze Zeit sage! Die Größe der Hindernisse hängt ausschließlich von deiner Bereitschaft ab, sie anzugehen, oder sie überhaupt sehen zu wollen.

Belén: Nimm das Beispiel von Jerez, das ist noch nicht lange her: Ich glaube, dass es zwei Komponenten gibt, die zu unserem Gunsten wirken. Erstens, die Natürlichkeit: Auf der Bühne haben wir immer das gebracht, was wir wollten, und nicht das, von dem wir dachten, dass die anderen es vielleicht sehen wollten. Das macht uns frei von der Meinung anderer, und das macht unsere Natürlichkeit aus, und so wird es auch empfunden, es gibt keinen Anlass zum Schockiertsein. Und zweitens: Unsere Arbeit, und unsere Beziehung, die mit drin steckt, sind sehr ehrlich und ganz klar, ganz unverkrampft. Das ist bei Mayte, die schon viele Jahre „so“ arbeitet und lebt, eindeutig. Und in Jerez also hatte ich schon Bedenken wegen der Reaktionen, nicht so sehr vom Publikum, eher von denen aus dem Beruf selbst, von der „Szene“. Aber im Gegenteil, wir bekamen nur Anerkennung, sogar ein „Boah, seid ihr mutig!“ Das haben mir viele aus dem Beruf, aus dem Tanz gesagt, wie einige bailaoras, die mich oder uns mutig und ehrlich fanden. Aber es stimmt schon: Die Flamencowelt ist eine Mackerwelt.

Mayte: Die Flamencowelt sieht nicht anders aus als die Welt, die Gesellschaft um uns herum. Und es geht zu wie bei den Hunden, die die Angst riechen. Hast du Angst vor Hunden, beißen sie dich. So ist es! (beide lachen) Aber halt, ich habe nicht gesagt, dass die Flamencos Hunde sind! (mehr Gelächter)

Mayte, was wolltest du mit dem Albumtitel „Querencia“ ausdrücken?

Mayte: „Querencia“, die Sehnsucht nach dem eigenen Platz, ist ein Begriff aus dem Stierkampf. So heißt es, wenn der Stier auf die Arena hinausgetrieben wird, eine Runde dreht und zurück in die „Boxen“ will. Damit wollte ich meine Rückkehr zum Flamenco beschreiben. Na gut, ich habe nie aufgehört, Flamenco zu singen und Konzerte zu geben. Ich bin nie weggegangen, aber ich hatte lange Zeit keine Platte mehr aufgenommen. Nachdem ich die boleros mit Tete Montoliu auf CD aufgenommen hatte, war da dann die Sehnsucht nach Ausdruck durch Flamenco.

Und noch eine Frage zum Schluss: es heißt, du hast schon recht früh den „Duende“ erreicht. Was ist das für dich?

Mayte: Na, ein Gnom! So was Kleines, Schnelles (sie grinst) mit solchen Ohren! (sie führt es vor, großes Gelächter)
Der duende ist, so glaube ich verstanden zu haben, die Erleuchtung. Es ist, was eine plötzlich auf der Bühne packt, das ist ein glückseliger, ja erleuchteter Zustand, in dem sie ihre Musik in ihrer ganz besonderen Tiefe empfindet und das auch dem Publikum weitergibt. Das ist duende, und das ist auf alles übertragbar, was mit Kunst zu tun hat; es muss nicht immer Flamenco sein.

Discographie:

CD „Tiempo de amar“ (2003) bei Tropical Music

CD „Querencia“ (2002) bei Tropical Music

CD „Free Boleros“ (1996)

CD „Muy frágil“ (1994)

Label + Vertrieb in Deutschland:
www.tropical-music.com

Quelle: Dieser Text erschien in der Juli-Ausgabe 2003 von LESPRESS.
www.lespress.de

Übersetzung: Marta Giráldez

Dank an die Redakteurin Ulrike Anhamm und die Autorin Irene Hummel
für die kollegiale Unterstützung.

Copyright: Redaktion Melodiva

www.mayte-martin.com
Autorin: Irene Hummel

30.06.2003