Man muss lernen abzugeben

Backstage Mom #3: Elsa Johanna Mohr

Wie geht es Musikerinnen* mit Kindern in der heutigen Zeit und was müsste sich in Gesellschaft und Politik ändern, um die Vereinbarkeit von Familie & Beruf zu erleichtern, damit sich niemand für das eine oder andere entscheiden muss? Das fragen wir in unserer Interviewreihe „Backstage Mom“. In unserem dritten Interview kommt die Musikerin, Sängerin, Songwriterin und Gesangslehrerin Elsa Johanna Mohr aus Köln zu Wort.

Elsa Johanna Mohr wurde 1990 in Düsseldorf geboren. Sie schrieb schon als Jugendliche eigene Songs auf Deutsch und Englisch und sang in eigenen Bands. Ein Austauschjahr in Foz do Iguaçu im Bundesstaat Paraná/Brasilien und ein Praktikum beim Goethe-Institut in Salvador-Bahia nach dem Abitur waren wegweisend, bis heute verwebt sie brasilianische Einflüsse in ihren Songs. Ihr Bachelor-Studium in München und Montpellier schloss sie mit dem Schwerpunkt portugiesische und brasilianische Literaturwissenschaft ab. Danach studierte sie Jazzgesang am Institut für Musik der Hochschule Osnabrück bei Simin Tander, Tobias Christl, Efrat Alony u.a.

Neben ihrer Arbeit im Duo mit den brasilianischen Gitarristen Flávio Nunes und Alex de Macedo ist sie Mitglied im Quartett ANTIGUA, für das sie mit lateinamerikanischen Rhythmen und Gypsy-Jazz komponiert und Texte auf Portugiesisch, Englisch, Französisch, Spanisch und Deutsch schreibt. Seit 2017 bildet sie mit Lena-Larissa Senge und Ula Martyn-Ellis das Trio LUAH (Foto: Ferry Mohr), mit dem sie 2019 das Publikumsvoting beim JazzTube-Festival gewann. In ihrer Musik mischen die drei Elemente aus Jazz-/Singer-Songwriter/Pop- und brasilianischer Musik zu einem ganz eigenen zauberhaften Style. Zum 5-jährigen Bestehen der Band erschien das neue Album „MO VI MENTO“ im März 2022 auf dem Label Ladies & Ladys, mit dem LUAH den Deutschen Jazzpreis 2023 in der Kategorie „Vokal Album des Jahres“ gewann. 2020 war Mohr Nachwuchs-Stipendiatin der Norbert Janssen Stiftung. Als freischaffende Sängerin lehrt sie Gesang und ist Mitglied im KUS-Kollektiv, das deutschlandweit Workshops für Körper und Stimme anbietet.

 

Du bist seit einiger Zeit Mutter. Warst Du auf Deiner letzten Tour mit Deinem Kind unterwegs? Wie ist es Euch ergangen?

Mein Kind ist 4 Wochen nach der Geburt schon mit beim ersten Konzert gewesen, da ich zu dem Zeitpunkt noch gestillt habe. Bei meiner letzten Tour ist meine Tochter mit meinem Mann zu Hause geblieben, da ich nun nicht mehr stille und etwas unabhängiger bin. Mit Milch abpumpen hätte sie natürlich auch schon in der Anfangszeit zu Hause bleiben können, aber ich wollte nicht eine Nacht getrennt von ihr sein.  Bei der letzten kurzen Tour waren es zwei Abende, an denen ich aber auch wieder nach dem Gig nach Hause gekommen bin. Es ist sowohl für mich als auch für meine Tochter inzwischen entspannter, wenn es die Möglichkeit gibt, sie zu Hause zu lassen. Ich kann mich dann besser auf meinen Job konzentrieren und kann meinen Job mehr genießen und sie kann im vertrauten Raum zu Bett gehen.

 

Würdest Du es wieder machen oder lieber eine längere Auszeit in Kauf nehmen?

Trotzdem sind meine Tochter und ich sehr erprobt, zusammen mit einer Begleitperson zu Konzerten zu fahren. Das klappt eigentlich immer gut. Wenn ich mehr als eine Nacht unterwegs sein sollte auf Tour, würde ich sie zum jetzigen Zeitpunkt, versuchen mitzunehmen, da wir noch nicht mehr als eine Nacht getrennt waren. Mit all meinen Projekten spiele ich derzeit vor allem Konzerte im Raum NRW, Nähe Köln und daher bin ich wenn, nur für eine Nacht weiter weg unterwegs.

 

In der Regel arbeiten Schwangere in den letzten Wochen vor der Geburt nicht mehr und gehen in den Mutterschutz. Viele Musikerinnen* können sich das gar nicht leisten oder fühlen sich so fit, dass sie weiter auf der Bühne stehen. Wie ist das bei Dir?

Ich stand bis vor kurz vor der Geburt noch auf der Bühne. Mein letzter Auftritt war eine Woche vor dem Entbindungstermin und ich hatte bereits Maxi Cosi und Kliniktasche mit dabei für alle Fälle, da wir in der Nähe von Stuttgart gespielt haben. Ich habe mich fit genug gefühlt, war allerdings trotzdem sehr nervös, weil ich eigentlich nicht fern von zu Hause gebären wollte. Aber zum einen war es finanziell wichtig, zum anderen wollte ich auch die Band nicht „hängen“ lassen. Sie hätten es verstanden, trotzdem fühlte es sich nicht richtig an.

 

Konntest Du Deine Projekte so planen, dass Du beruhigt eine Auszeit nehmen kannst? Und wie kriegst Du das finanziell hin, Du bekommst ja wahrscheinlich kein Gehalt?

Das Gute an all meinen Projekten ist, dass wir ein breites Repertoire haben, sodass ich in der ersten Zeit als Mutter wenig neues Material einstudieren musste und wir einfach auf der Bühne bestehendes Material spielen konnten und daher wenig Proben anstanden. Mit meiner Band LUAH war ich im Januar ’24 im Studio (da war meine Tochter ca. ein 1/2 Jahr alt), d.h. ich musste mich vorher gut vorbereiten. Das Vorbereiten/Üben dafür ging ok, allerdings mit viel weniger Zeit als vor der Geburt und nur, weil meine Band klein und leise genug ist, auch zu Hause zu proben. Oft war meine Tochter mit dabei. Was Konzerte betrifft, habe ich so gut wie gar nicht pausiert. Es kamen einige Konzertanfragen, die ich nicht ausschlagen wollte, weshalb ich 4 Wochen nach der Geburt bereits einige Konzerte mit LUAH gespielt habe. Mit ANTIGUA habe ich mir damit mehr Zeit lassen können, das konnten wir gut planen.

Rückblickend waren die Konzerte sehr anstrengend, da ich zwei Jobs gleichzeitig hatte, Kind versorgen/stillen vor und nach dem Konzert und dann als Musikerin Auf-/Abbau, Soundcheck, Konzert. In dem Moment fühlte es sich aber aufregend an, weil alles so neu war und ich neben den Konzerten sonst keine Termine hatte. Ich hätte pausieren können wegen meinem Elterngeld, der finanziellen Unterstützung meines Mannes und meinem Ersparten, jedoch wollte ich es mir vor allem künstlerisch gesehen nicht leisten, meine Projekte für einige Monate komplett zu pausieren, nachdem man so viel Zeit in den Aufbau investiert hat. Also habe ich im Jahr nach der Geburt bestimmt 30 Konzerte gespielt. Dies ging aber nur, da ich ein großes Netzwerk habe an Leuten, die mir mit Babysitting geholfen haben. Mein Mann ist ebenfalls Musiker und noch mehr unterwegs als ich. Und da ich gestillt habe, war meistens ich dann unterwegs mit unserer Tochter + Babysitter. Rückblickend würde ich wieder Konzerte spielen, aber nicht so viele und wenn dann nur die komfortableren, wirklich gut bezahlten ;). Das Musik machen und das „am Ball bleiben“ gab mir das Gefühl, neben dem Mutter Dasein, aber auch noch ich selbst zu sein.

Ist der Beruf als selbstständige Musikerin manchmal auch ein Vorteil, wenn frau eine Familie gründen will?

Jetzt, wo ich meine Jobs neben der Bühne wieder aufgebaut habe, die ich neben der Bühne zum Geld verdienen nutze (z.B. Chor, Privatschüler*innen), sehe ich schon Vorteile, da ich zeitlich viel flexibler bin unter der Woche. Wenn meine Tochter krank ist oder die Tagesmutter, dann ist es meistens kein Problem, da wir Schüler*innen leicht verschieben können, bzw. der Chor sowieso abends stattfindet und der Bühnenjob meistens am Wochenende stattfindet. Aber der Beruf ist mit viel Unsicherheit verbunden, da zumindest ich in meinem Fall nach dem Elterngeld nicht in einen fertigen Job zurückgekehrt bin.


„Zudem steht man auch in der Elternzeit ständig unter Druck, sein Business am Laufen zu halten“.


Stichwort Kinderbetreuung: viele Kitas haben zu, wenn Musikerinnen* arbeiten, nämlich abends und am Wochenende. Wie hast Du das geregelt?

Meine Tochter geht vormittags unter der Woche zur Tagesmutter, damit mein Mann und ich Zeit für Organisation, Üben (das fällt meistens allerdings doch hinten ab), Booking, Proben oder in meinem Fall Privatschüler*innen/Elternchorkurse haben. Für Konzerte passt entweder mein Mann auf oder meine Eltern, die in der Nähe wohnen. Auch unsere Geschwister haben mich schon zu Konzerten begleitet fürs Babysitting oder gute Freude. Aber eigentlich wäre eine Kita sinnvoll, die auch abends aufhat.

 

Wo sind die kritischen Knackpunkte, wo es schwierig wird? Was braucht es, um den Spagat gut hinzukriegen? Was müsste sich verändern?

Generell sollte es mehr Elterngeld geben, also mehr Unterstützung vom Staat. Auch sollte die Person, die sich um die Kinder kümmert und für die Carezeit nicht bezahlt wird, auch über die Elternzeit hinweg ein bisschen Geld vom Staat bekommen, um nicht in eine völlige Abhängigkeit vom Partner zu kommen und auch einfach des Respekts und des Gefühls wegen. Kitas/Tagesmütter sollten umsonst sein oder günstiger als derzeit in Köln. In Düsseldorf und Berlin ist es ja, glaube ich, zumindest schon mal ab 3 Jahren umsonst und generell viel günstiger.


„Ohne Familie, Freunde, soziales Netzwerk und/oder Partner, der am besten nicht immer dann arbeitet,
wenn man selbst arbeitet, ist es eigentlich fast unmöglich, als Musikerin weiterhin viel auf der Bühne zu stehen mit einem kleinen Baby/Kleinkind“.


Zudem ist es wirklich sehr anstrengend, beides unter einen Hut zu bekommen, wenn man selbst viel Zeit mit dem Baby verbringen möchte und es erst lernen muss, auch mal abzugeben. Mein Körper hat mir jetzt mit einem Hexenschuss/leichtem Bandscheibenvorfall vor einem Monat gezeigt, dass ich ihm seit der Geburt zu viel zugemutet habe…Equipment schleppen, Baby tragen, Projekte am Laufen halten, viel Orgakram am Laptop und wenig bis gar keine Zeit für mich selbst und für Sport.

Ebenfalls sinnvoll fände ich es, wenn der Partner/die Partnerin mindestens einen Monat auch in Elternzeit gehen sollte, (während frau wieder arbeitet), um zu sehen, was das eigentlich alles bedeutet.

 

Was musstest Du an Deiner Lebens- und Arbeitsweise ändern, um alles unter einen Hut zu bekommen?

Mit weniger Zeit, sehr konzentriert das abzuarbeiten, wofür man sonst den ganzen Tag hatte. Flexibel sein in Bezug auf das Abarbeiten von Dingen. Eine To Do-Liste führen, damit man Dinge nicht vergisst und die Ruhe haben, dass eine To Do-Liste meist nicht an einem Tag abgehakt ist. Lernen, auch mal abzugeben und nicht selbst alles kontrollieren zu wollen, denn das fällt einem dann später auf die Füße. Mein Partner macht die Dinge anders, aber das heißt ja nicht gleich dass sie falsch sind.

 

Wie sind Deine Pläne für die nahe Zukunft?

Ich möchte weiter Musik machen mit meinen Projekten, habe aber eigentlich auch den Wunsch, noch ein zweites Kind zu bekommen. Da habe ich gerade großen Respekt vor und tatsächlich habe ich die leise Befürchtung, dass ich meinen Job so wie jetzt nicht weiter ausüben werden kann mit zwei Kindern. Aber vielleicht kommt es ja dann doch anders.


„Generell ist Karriere und Kind zusammen eine sehr schwierige Sache, die meist nicht schmerzfrei zu bewältigen ist (siehe in meinem Fall mein schmerzender Rücken)“.


Gibt es Tipps & Tricks, die Du weitergeben möchtest?

– To Do Listen führen, um den Kopf frei zu bekommen

– das eigene soziale Netzwerk pflegen, damit man Menschen hat, die einen unterstützen können

– Zeit für sich selbst einräumen, am besten jeden Tag, auch wenns nur 5 Minuten sind

– Sport machen und den Körper fit halten nach der Geburt (ich hatte gerade einen leichten Bandscheibenvorfall…)

Wir danken Dir, liebe Johanna, für das Gespräch!

Website | Insta | Facebook | Youtube

Titelbild: Bertolt Mohr

03.06.2025