Le Tigre / New York, USA

"RRRIOT GRRLS" & "electro-pop-punk"

Die LE TIGRE-Welle & die Folgen:
Keine andere Band hat meine Welt so erschüttert wie Le Tigre. Auf einmal gab es drei Frauen, die in ihrem Schaffen ganz selbstverständlich all das wahr gemacht haben, was meine FreundInnen und ich uns an popkulturellem Output immer so brennend und fast verzweifelt gewünscht hatten. Da waren sie plötzlich und haben nicht nur unsere dringlichsten Träume aus der Isohaft erlöst, sondern uns mit unerwarteten Issues immer weiter gepusht.

Eine Gruppe von drei supercoolen Chicks mit Wohnort New York, die ihre Wurzeln in dem so wichtigen Riot Grrrl Movement haben, jetzt aber mit den für uns mittlerweile spannenderen elektronischen Mitteln aufpeitschende Tracks mit Punk-Ethos erzeugen. Ein feministisches Kollektiv, das ohne Angst vor Ablehnung das F-Wort ganz plakativ an die große Glocke hängt und allen dabei kämpferisch deutlich macht, dass Feminismus eine soziale Bewegung ist, bei der es um die Befreiung aller geht.

Ein extrem integres und politisch engagiertes Trio, das in unglaublich stylishen Outfits die besten und ergreifendsten Lifeshows über die Bühne krachen lässt, die ich je gesehen habe. Und meine FreundInnen und ich sind ganz offensichtlich nicht alleine mit diesem Gefühl: Bei einer Show im Londoner Astoria fiel die drängelnde Masse der vor Begeisterung fast hysterischen jungen Mädchen in der ersten Reihe beim Anblick von Kathleen Hanna in eine ehrfürchtige Ohnmacht, und ein Bekannter erzählte mir letzthin, er müsse auch zwei Jahre nach dem Wiener Konzert immer noch fast heulen, wenn er an die Live-Versionen von Le Tigres überlebensgroßen Feminismus-Hymnen „F.Y.R.“ und „Hot Topic“ zurückdenke.

THE SHORT-STORY: Le Tigre in der Nussschale

Auf dem Feminist-Label Mr. Lady erschien 1999 das erste Album „Le Tigre“ mit Videokünstlerin Sadie Benning, deren Platz beim nächsten Album „Feminist Sweepstakes“ Tourtechnikerin JD Samson einnahm. 2001 wurden die EP „From The Desk Of Mr. Lady“ und das zweite Album „Feminist Sweepstakes“ veröffentlicht. 2002 folgte ein Remix-Album, das u. a. den Song „Deceptacon“ im DFA-Remix „feature-te“. Auf Le Tigres drittem Longplayer „This Island“ gibt es eine fantastische Coverversion des Pointer-Sister-Songs „I’m So Excited“, die bei weitem nicht der einzige Hit des Albums ist, wie einige vorschnell urteilten. Weitere total Knock-outs: „This Island“, „Nanny Nanny Boo Boo“ und natürlich „TKO“.

Seit der Veröffentlichung von „Feminist Sweepstakes“, dem zweiten Longplayer nach dem selbstbetitelten Debüt, sind mehr als drei Jahre vergangen. Einiges, meinte man vorzufühlen, habe sich mit „This Island“ geändert. Alarmiert nahmen viele Fans zur Kenntnis, dass ihre Indie-Darlings jetzt bei einem Major-Subsidiary unter Vertrag sind, und befürchteten Ausverkauf auf ganzer Linie. In Wirklichkeit jedoch lassen sich die Veränderungen auf eine immer weiter nach vorne strebende Entwicklung reduzieren, die auch eine größere Öffentlichkeit und damit breitere Rezeption beinhaltet: Nach dem Tod ihres feministisch-queeren Heimatlabels Mr. Lady haben Le Tigre nach einem zweijährigen zähen Label-Abcheck-Marathon bei Strummer, einem Sublabel von Universal, bei dem auch The Rapture und Mars Volta zu Hause sind, unterschrieben. Die 13 neuen Songs haben noch mehr unübersehbares Hitpotenzial und sind aufwändiger, teilweise mit Hilfe von Nick »Sonic-Youth-Producerlegende« Sansano und Ric »The Cars« Ocasek, produziert, und noch mehr Menschen werden zu ihren Konzerten kommen, aber abseits davon: alles beim Alten.

Preaching To The Unconverted

Beim Interview in Frankfurt lässt sich Kathleen Hanna aufgrund stimmlicher Probleme entschuldigen, und man hat, vermischt mit den Erfahrungsberichten anderer JournalistInnen, den Eindruck, dass damit gerne auch der personellen Verengung der Band auf die Riot-Grrrl-Ikone entgegengewirkt werden soll. Denn Kathleen, angeblich die meistabgebildete Frau in Grrrl-Zines weltweit, ist für viele aufgrund ihrer Bikini-Kill-Vergangenheit immer noch Aushängeschild und Spokesperson eines radikal punkigen Feminismus par excellence – und natürlich ganz einfach ein Star, der durch die als so aufregend empfundene Mischung aus Rebellion und Schönheit diverseste Fantasien anheizt.

Dass dieses Celebrity-Prinzip gerade eine so basisdemokratische Band nervt, verwundert nicht, und so sitzen mir Johanna Fateman – von Musiktheoretikerin Joy Press in ihrem Wire-Artikel vom Januar 2002 als »seemingly the most intellectually grounded of the three« charakterisiert – und JD Samson mit Trademark-Nerd-Stahlbrille und entzückendem Oliba-Flaum, der einen Durchbruch für Butch-Sexiness endlich auch in Heterokontexten markierte, gegenüber.

Ihr definiert euch ja als elektronisches Projekt, werdet aber von vielen, auch aufgrund eurer Riot-Grrrl- und Punk-Wurzeln, immer noch eher als Punkrock rezipiert. „This Island“ klingt mit seiner rohen, wahnsinnigen Energie, die sich gerade in den Anti-Bush-Songs wie „Seconds“ mit aggressivstem Geschrei Bahn bricht, streckenweise aber tatsächlich stark nach Rock-Ästhetik.

JD: Die Art und Weise, wie wir unsere Musik produzieren, ist elektronisch und basiert auf Sampling und Programming. Die Songs mögen nach Punk oder Rock klingen, aber das Zerstückeln beim Produzieren macht sie elektronisch. Da wir, historisch gesehen, vom Punk kommen, ist das natürlich auch mit drin, aber ich denke, wir haben von allem etwas.

Jo: Wir fällen nicht bewusst die Entscheidung, dass etwas eher elektronisch oder rockig klingen soll, sondern es ist oft der Kontext, der den Sound diktiert, das Genre, die Referenzen – da steckt nie ein fertiges Konzept dahinter.

Im Interview zu eurer XLR8R-Titelstory sprecht ihr mit Jessica Hopper sehr ausführlich darüber, dass ihr dieses Album mit Protools und identischen Set-ups gemacht habt. Wie ist das abgelaufen?
JD: Wir haben uns immer gegenseitig besucht und uns Song-Skelette mitgebracht, die wir dann vervollständigt haben – es war wie ein andauernder Remix der Ideen der jeweils anderen. Meistens haben wir einen Tag alleine gearbeitet, dann einen Tag zu zweit in wechselnden Konstellationen und dann fünf Tage zusammen. Jo: Ich war am Anfang vielleicht die Technischste von uns, aber mittlerweile lesen wir uns alle in die Bedienungsanleitungen ein und haben alle unsere Spezialitäten. Auf unserer Website gibt es unter »Gear & Stuff« ja auch die Geschichte jedes einzelnen Gerätes, das wir jemals benutzt haben, um diesen ganzen Technologie-Kosmos zu entmystifizieren und anderen Frauen die Angst davor zu nehmen. Natürlich passiert es uns mit unseren Backing-Tracks, die auf der Bühne meistens von DVD kommen, da sie mit unseren Visuals synchronisiert sind, auch noch des Öfteren, dass manche Leute glauben, wir würden die Musik nicht selbst machen, weil sie es in dem Moment einfach nicht sehen können. Das ist einfach nur dummer Sexismus.

Auf „This Island“ gibt es wieder ganz viele der für euch so typischen Call & Response-Gesangsparts, wo ihr euch auf höchstem Energie-Level Textzeilen hin- und herschreit. Seht ihr euch da in einer Tradition mit klassischen Girl Groups, für die diese Struktur ja auch sehr wichtig war?

Jo: Ich denke schon, so wie es auch eine Referenz an politische Sprechchöre ist. Ich habe aber auch das Gefühl, dass es sich auf gar nichts bezieht außer …
JD: … uns selbst.
Jo: Genau. Ohne immer eine bewusste Anspielung auf etwas zu sein, passiert uns das einfach, es ist eine Möglichkeit, gewisse Sachen auszudrücken.

Jetzt kommt der Moment, wo über Business gesprochen werden muss: ihren Major-Deal. Noch vor zweieinhalb Jahren, auf einer Panel-Diskussion in der Wiener Akademie der Bildenden Künste, verteidigten sie vehement ihre Strategie des »preaching to the converted«, die viele Fans nie so recht verstehen bzw. billigen wollten. Ihnen sei es wichtiger, so die Erklärung für ihr beharrliches Indietum, der Underground-Community, als deren Teil sie sich selbst sehen, durch ihre Musik etwas zurückzugeben, als sich von der Mainstream-Maschinerie in Form zerren zu lassen. »

Obwohl ihnen mit der „Major-DEAL-Frage“ sicherlich schon in jedem einzelnen der zahllosen Interviews vor der Nase herumgewedelt wurde, zeigen Johanna und JD keine Zeichen von Entnervtheit, sondern sind nicht nur sichtlich bemüht, ihren Schritt nachvollziehbar zu machen, sondern legen ihre Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung auch mit auf den Tisch.

JD: Es sind eine Menge Dinge passiert, die zu dieser Entscheidung geführt haben. Als wir rausgefunden haben, dass Mr. Lady keine neuen Platten mehr rausbringen wird, mussten wir uns quasi neu erfinden – das, was wir gekannt und worauf wir uns immer verlassen hatten, gab es nun nicht mehr. Wir haben zwei Jahre damit verbracht, über die Situation zu sprechen und nachzudenken und verschiedenste Labels zu treffen – Indies, Majors, Unterlabels. Nach einer Weile haben wir uns entschieden, weil wir hofften, dass die Leute jetzt bereit wären – that there were more converted people to preach to!

Jo: Wir hatten auch immer Angst, dass ein größeres Publikum bedeutet, unsere kleine Community zu verprellen. Ich persönlich habe mich immer gefragt, ob wir uns auf unseren Konzerten noch genauso wohl und zu Hause fühlen werden wie früher und ob wir noch die gleiche Energie haben können. Unser Gedanke war sicherlich, dieses Risiko als lohnendes Experiment zu betrachten, und unser direktes Umfeld hat unsere Entscheidung auch sehr unterstützt.

Hat dieser Schritt euer Leben insofern vereinfacht, als ihr jetzt weniger Zeit für Organisationstätigkeiten braucht und damit mehr Zeit für Musik habt?

JD: Puh, die Zeit der Labelsuche war definitiv die anstrengendste Zeit, die wir je hatten. Allein diese endlose Anzahl an Meetings, einen Manager zu engagieren, alles zu durchschauen, das war schon sehr quälend. Wir haben die Aufnahmen für die Platte durch ständiges Touren am Wochenende komplett selbst finanziert und wussten erst, als sie zu drei Vierteln fertig war, dass wir zu Strummer/Universal gehen würden. Jo: Wir können nicht wirklich behaupten, dass es weniger Arbeit wäre, aber jetzt haben wir mehr Leute, die uns mit der Zeitplanung helfen – es ist nicht mehr so, dass einfach jemand reingestolpert kommt, die etwas von uns will, sondern alles ist effizienter geworden.

Glaubt ihr denn, dass ihr es jetzt schafft, eure Message auch im Mainstream rüberzubringen, ohne dass alles total verzerrt wird? Was ist aus dieser Angst geworden?
Jo: Ich habe den Eindruck, dass sich die Musikmedien in den letzten zehn, fünfzehn Jahren deutlich verändert haben. Nicht dass jetzt alles perfekt und Sexismus-frei wäre, aber es gibt einfach viel mehr weibliche Journalisten und solidarische männliche Schreiber. Die Darstellung der Riot Grrrls war damals so ekelhaft sexistisch und voller Lügen und Übertreibungen ins Negativste, dass der Media Blackout die richtige Strategie war – damals dachte man auch noch viel stärker in dualistischen Punkrock-Kategorien von Mainstream vs. Underground. Wir werden heute nicht mehr so von dieser Angst umgetrieben und haben auch wirklich das Gefühl, dass sich Popkultur geändert hat. JD: Wir haben ein Interview für Entertainment Weekly gegeben, das so ungefähr das allermainstreamigste Magazin ist, das man sich vorstellen kann. Das Mädchen, das uns interviewt hat, war früher ein Riot Grrrl, das für Fanzines geschrieben hat! Viele Leute, die in den 90ern Fanzines gemacht haben, sind jetzt bei großen Magazinen, und ich finde es supertoll, diese Leute dort zu treffen und von ihnen interviewt zu werden. Sogar die Frau, die uns für Spin interviewt hat, war eine lesbische Feministin!

Nachdem das letzte Album den Feminismus-Claim schon im Titel trug und sehr offensiv mit dem Wort und den damit verbundenen Forderungen umging, scheint „This Island“ in dieser Hinsicht zurückhaltender.

Jo: Ich denke nicht, dass das tatsächlich der Fall ist, doch es kann natürlich sein, dass das, was für uns feministische Inhalte sind, von anderen nur als Anti-Bush- oder Anti-War-Statements wahrgenommen werden. Für uns ist das allerdings Teil unserer feministischen Analyse der Welt. Dadurch, dass wir „Feminist Sweepstakes“ gemacht haben, haben wir einen Kontext für unsere Arbeit geschaffen, der jetzt Teil unserer persönlichen Geschichte ist und den wir nicht andauernd stumpf wiederholen, sondern auch mal etwas komplexer ausagieren möchten. Außerdem beschäftigen wir uns wieder stark mit Gender-Repräsentationen, z. B. im Song „Viz“ von JD, wo es um lesbische Sichtbarkeit geht und darum, dass ein stylishes Auftreten einer Butchlesbe nicht ausschließt, dass sie auch politisch auftritt, was ja – wie bei Feministinnen – ein beliebtes Vorurteil ist.

Die Stimmung bei euren Konzerten ist ja immer unglaublich – da kann man das aufgepeitschte Community-Glücksgefühl und das revolutionäre Potenzial fast mit den Händen greifen. Durch eure größere Bekanntheit werden allerdings auch immer mehr Leute zu den Konzerten kommen, die mit den Inhalten vielleicht gar nicht so viel anfangen können. Ist das ein Problem für euch, wenn stumpfe Rocktypen sinnentleert eure feministischen Refrains mitgrölen?

JD: So etwas fühlt sich definitiv seltsam an, aber wir versuchen offen für alle zu sein, die an unseren Ideen in irgendeiner Form interessiert sind. Glücklicherweise hatten wir auch noch nie schlechte Erfahrungen mit Männern im Publikum – falls doch, wäre die Hölle los, da kannst du sicher sein! Jo: Als Künstlerin muss man irgendwann einfach loslassen können – man hat seine Kunst bzw. seine Platte gemacht, und jeder, der zum Konzert kommen will, kann sich ein Ticket kaufen. Man kann niemanden kontrollieren und auch keine Gedanken lesen. Es ist unmöglich zu wissen, was der große Typ mit dem Stiernacken denkt, der begeistert zum Refrain von „F.Y.R.“ in die Luft boxt: Ist er ein großer Fan, ist er schwul, wurde er von zwei Lesben groß gezogen? Ich hoffe einfach immer das Beste. JD: Ich muss auf jeden Fall lächeln, wenn ich meine Coming-out-Hymne „Keep On Living“ ins Publikum brülle, und da steht ein Typ, der aussieht wie ein Football-Spieler, und singt aus voller Kehle mit!

Label: Strummer/Universal

Discographie:

Aktuelle CD: „This Island“ (VÖ: Herbst 2004)

CD „LE TIGRE – Remix“ (2002)

CD „Feminist Sweepstakes“ (2001)

EP „From the desk of my Lady“ (2001)

DEBUT-CD: „Le Tigre“ (1999)

Quelle: Dieser Text erschien in der November-Ausgabe des Musikmagazins INTRO
www.intro.de
Wir bedanken uns bei der Redaktion und der Autorin Sonja Eismann für die kollegiale Unterstützung.

Text/Interview: Sonja Eismann

Copyright: Redaktion Melodiva

www.letigreworld.com

29.12.2004