Lampenfieber: zwischen Bühnenangst und Hirndoping

Ein Gespräch mit der Therapeutin Do Deckinger

Der Puls rast, die Hände zittern, der Mund wird trocken – viele MusikerInnen haben das schon einmal vor einem Auftritt erlebt. Adrenalin und Cortisol tun ihre Arbeit und jetzt wäre der Betroffene zu Flucht oder Kampf bereit, aber was tun damit im Orchestergraben oder auf der Clubbühne? Glückliche schwören darauf, dass es ihren Auftritten zu Brillianz verhilft, andere leiden so sehr darunter, dass sie nicht mehr arbeiten können. Und obwohl es nach Schätzungen jede/n zweite/n Musiker/in betrifft, ist es nach wie vor, vor allem im Klassikbereich, ein Tabuthema.

1858 tauchte der Begriff „Lampenfieber“ erstmals in der Theaterwelt auf. Es beschreibt einen Zustand mehr oder weniger starker Erregung, eine akute Stresssituation, die bei jedem verschieden ausfallen kann. Im Idealfall verhilft die verstärkte Adrenalin- und Cortisolausschüttung zu einer höheren Leistung, zu einem hochwertigeren, künstlerischen Ausdruck (wofür es aber keine wissenschaftlichen Belege gibt). Der Mensch ist wach und konzentriert und kann „seine“ Musik perfekt abrufen, das Lampenfieber wirkt „positiv“.
Was für die einen eine Art Hirndoping ist, weil es sie zu künstlerischen Höchstleistungen antreibt, ist für die anderen ein Zustand, der bis zur Todesangst führen kann. Konzerte werden abgesagt, Vorspieltermine gemieden, und im schlimmsten Fall geht diese Angststörung dann soweit, dass die MusikerInnen berufsunfähig werden. Dabei liegt der Angst oft noch nicht mal ein reales Erlebnis, etwa ein verpatzter Auftritt zugrunde. Bei vielen, auch prominenten MusikerInnen manifestiert sich diese Angst denn auch so stark, dass sie nur noch mit Betablockern und Alkohol auf die Bühne gehen können. Déirdre Mahkorn, Oberärztin für Psychiatrie und Psychotherapie an der Uni-Klinik in Bonn und Gründerin der bundesweit ersten Lampenfieber-Ambulanz, die seit Ende 2010 MusikerInnen mit Lampenfieber behandelt, weiß aus Erfahrung, dass gerade in der klassischen Musik viele unter Panikattacken leiden. Genaue Zahlen darüber gebe es zwar nicht, aber ihrer Einschätzung nach kämpfe fast jede/r zweite Musiker/in mit pathologischem Lampenfieber. Dabei ist es behandel- bzw. heilbar, wie uns auch die Therapeutin Do Deckinger versichert. Selbst Musikerin, hat sie sich in Frankfurt auf das Coaching von MusikerInnen spezialisiert. Wir sprachen mit ihr über Lampenfieber, wachsenden Leistungsdruck, Existenzangst und typische Musikerprobleme.

Wie kam es, dass Du Dich auf das Coaching von MusikerInnen spezialisiert hast?

Bei meiner therapeutischen Arbeit ergab es sich zufällig, dass bei mir öfter (professionelle) Pianistinnen auftauchten, und da ich semiprofessionell immer viel Musik gemacht habe – als Rockmusikerin, bei Theaterprojekten und als Sängerin in verschiedenen Jazzchören, konnte ich mich immer besonders gut in die spezifischen Probleme dieses Metiers einfühlen. Durch ein einjähriges Studium am Konservatorium habe ich viele angehende Profis kennengelernt und deren Stress – schon in der Ausbildung – mitbekommen.
 
Welche MusikerInnen kommen zu Dir, sind das eher klassische OrchestermusikerInnen oder auch ProfimusikerInnen aus dem Popularmusikbereich? Eher InstrumentalistInnen oder SängerInnen?

Zu mir kommen MusikerInnen aus allen Sparten von Oper bis Pop, sowohl SängerInnen als auch InstrumentalistInnen, wobei die meisten Leute mehrere Instrumente spielen bzw. singen und ein Instrument spielen. Aus dem Profibereich waren und sind alles Frauen. Einige Männer, die ich coache, sind eher aus dem semiprofessionellen Bereich aus meinem Bekanntenkreis.
 
Mit welchen Motiven kommen die MusikerInnen zu Dir?

Die Motive sind sehr unterschiedlich. In der Regel kommen Musikerinnen zu mir, denen es psychisch und damit oft auch körperlich nicht gut geht, die überprüfen wollen, ob sie berufsmäßig auf dem richtigen Weg sind, wie sie besser mit dem Stress und dem Konkurrendruck umgehen können und natürlich auch mit dem Lamperfieber vor Prüfungen oder bei Auftritten.

Was sind z.B. häufige Probleme von MusikerInnen?

Bei den Studierenden gibt es häufig Probleme mit den Profs. In einer belastenden Beziehung ist ein gutes Vorankommen manchmal kaum noch möglich; die Frage „Abbrechen oder Augen zu und durch“ kommt auf. Es werden dann keine anderen Lösungsmöglichkeiten gesehen, nur noch Extreme.
 
Hat sich Deiner Meinung nach die Berufssituation von MusikerInnen in den letzten Jahren verändert?

Soweit ich das beurteilen kann, ist der Konkurrenzdruck größer geworden. Das hat mit Einsparungen im Kultursektor zu tun und auch damit, dass durch die Globalisierung in letzter Zeit viele MusikerInnen aus den asiatischen Ländern (China, Korea und Japan) auf den deutschen Markt drängen. Die gut ausgebildete Konkurrenz aus Russland gibt es schon länger.
 
Gibt es Unterschiede bei den Geschlechtern, den Genres oder zwischen InstrumentalistInnen und SängerInnen?

In der „Hochkultur“, also Orchester und Oper, sind die Auswahlverfahren richtig hart. Männer wie Frauen stehen unter Druck. Der Beruf soll ja die Person ernähren, weil man nebenbei nichts anderes arbeiten kann. Im Popularbereich geht man ja meistens nicht gleich davon aus, daß man groß rauskommt, d.h. man muß auch noch etwas anderes arbeiten und bleibt somit auch oft besser geerdet.
 

Semperoper mit Orchestergraben

Lampenfieber ist ein Thema, das Dir oft bei Deiner Arbeit begegnet, es wird aber in der Regel öffentlich tabuisiert: keine/r will zugeben, dass er/sie darunter leidet. Woher kommt das?

Das Thema Lampenfieber ist in der Hochkultur ein Dauerbrenner und ruiniert viele hervorragende KünstlerInnen, da jeder kleine Fehler das Aus für eine Karriere bedeuten kann. Das halten nicht viele Leute durch und das Heer der MusiklehrerInnen setzt sich zu einem großen Teil aus Menschen zusammen, die diesem Druck nicht oder nicht mehr gewachsen sind, die Angstzustände und psychosomatische Beschwerden entwickeln – oft auch chronisch. Manche halten sich dann ein Leben lang für Versager.

Über diese Problematik wird in der Regel nicht untereinander gesprochen – man „behilft“ sich mit Alkohol, Betablockern oder anderen Drogen, die bei Sängern die Stimme nicht zittern und bei Streichern den Bogen nicht zittern lässt. In der Bonner Lampenfieberambulanz werden die Termine so vergeben, dass hintereinander kommende MusikerInnen sich nicht begegnen. In unserer Leistungsgesellschaft sind ähnliche Probleme aus der Politik, der Wirtschaft und dem Sport bekannt.
 
Was steckt hinter dieser Versagensangst?

Ein öffentlicher Auftritt ist ja eine Extremsituation. Man setzt sich schutzlos einem kritischen Publikum aus, was in der Regel Geld bezahlt hat, um eine perfekte Darbietung zu genießen. Wer da nicht besonders exhibitionistisch und narzistisch veranlagt ist, hat es schwer, weil er oder sie den Auftritt dann nicht genießen kann. Man will es dann nur hinter sich bringen – völlig klar, dass dann der künstlerische Ausdruck darunter leidet.
Die Angst, vor aller Augen und Ohren zu versagen, wird als vernichtend phantasiert und auf die Person als Ganzes bezogen. Das Publikum repräsentiert meistens Elterninstanzen, vor deren Ansprüchen man nicht genügt, also abgelehnt und nicht geliebt wird. In vielen Interviews mit MusikerInnen hört man immer wieder, dass sie sich vom Publikum geliebt fühlen wollen, deshalb bieten sie in der Rockmusik immer den Satz „We love you“ an,der ja keinen Sinn macht, da man ein anonymes Massenpublikum nicht lieben kann. Der Satz beschwört die Fans, den/die Interpreten/in bitte zu lieben. Wem nicht klar ist, dass Fans nur kurzfristig wie im Rausch ihre Wünsche und Sehnsüchte auf den Künstler projizieren, wird sicher früher oder später daran leiden.

Litt heftig an Lampenfieber: Joan Baez

Vielen MusikerInnen kann es vielleicht ein Trost sein, dass – wie heute langsam bekannt wird – viele Weltstars wie Joan Baez, Martha Argerich, Robbie Williams, Barbara Streisand und unzählige andere vor und teilweise sogar während des Konzertes entsetzlich unter Übelkeit, Angstattacken, Schweißausbrüchen und ähnlichen vegetativen Beschwerden litten bzw. leiden. Eine gewisse Leidensfähigkeit muss man schon mitbringen, wenn man sich diesen Beurteilungssituationen oft aussetzt.

Manche behelfen sich mit Talismännern oder kleinen Ritualen vor einem Auftritt, andere treten nur betrunken auf oder nehmen Betablocker. Wie geht’s Du in Deiner Coachingarbeit mit Lampenfieber um?

Es gibt viele Ansätze, wie man sich dem Lampenfieber stellen kann. Die meisten kommen aus dem Bereich der Verhaltenstherapie und arbeiten mit unterschiedlichen Entspannungsmethoden, mit der Entwicklung von Ritualen vor dem Auftritt und mit der Überprüfung von verinnerlichten Glaubenssätzen z.B. „Wenn ich das nicht gut mache, ist alles aus. Wie stehe ich dann vor meinen Eltern usw. da…“

Ich arbeite eher psychoanalytisch mit den Klientinnen d.h.ich erkunde mit den KlientInnen ihre Biographie in Bezug auf das Instrument oder die Stimme.Wie sind sie zu diesem Instrument gekommen? Wer wollte das? Wer in der Familie war auch MusikerIn? Wie hoch war/ist der Erwartungdruck? War/ist Liebe an Leistung gebunden? Wie ist ihre Beziehung zu ihrem Instrument? Gibt es einen offenen oder verdeckten Familienauftrag für diesen Lebensweg?

Ich arbeite mit den MusikerInnen auch an der Bühnenpräsenz, manchmal auch an der Programmgestaltung, an den Beziehungen mit den MitmusikerInnen, was ich für sehr wichtig halte. Auch die Kleidung ist nicht unwichtig. Wenn die KünstlerInnen selbst komponieren, kann daran gearbeitet werden, manchmal sind die Stücke zu lang oder die Dynamik stimmt nicht – oft wird der Text nicht angemessen in der Musik umgesetzt. Die alles entscheidene Frage ist: fühlt sich die MusikerIn wohl mit dem, was sie tut und wie sie es tut?

Was sind für Dich typische Warnsignale, dass man/frau professionelle Hilfe in Anspruch nehmen sollte?

Die „normale“ Erregung vor einem Auftritt ist nicht behandlungsbedürftig, da das Adrenalin und das Cortisol dem Köper auch Power geben, so dass „was rüberkommt“ und der eigene Ehrgeiz befriedigt werden, man dann auch stolz auf sich sein kann. Coaching kann jedoch immer hilfreich sein, wenn man sich als MusikerIn als Person und als KünstlerIn weiterentwickeln will – ich gehe sogar soweit zu sagen, dass man Coaching präventiv in Anspruch nehmen sollte, um gar nicht erst in unangenehme Zustände zu geraten, die, einmal angelernt, wieder schwieriger zu bearbeiten sind. Meist jedoch kommen die Leute erst, wenn sie einen massiven Leidensdruck haben.

Weitere Infos & Kontakt:
Lampenfieber-Ambulanz, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Universitätsklinikum Bonn, Sigmund-Freud-Straße 25, 53105 Bonn, Kontakt: Dr. Déirdre Mahkorn, Tel: 0228-28719316, E-Mail: ed.nn1722051099ob-in1722051099u.bku1722051099@nrok1722051099haM.e1722051099rdrie1722051099D1722051099, http://www.ukb.uni-bonn.de/42256BC8002AF3E7/vwWebPagesByID/FA24CF0241672349C12577E7003B4084

Do Deckinger, ed.xm1722051099g@reg1722051099nikce1722051099d.od1722051099, Tel.: 069/637602

Autorin: Mane Stelzer

01.08.2011