Kinder haben ist nicht nur Privatsache

Backstage Mom #5: Johanna Amelie

Teil Fünf unserer Interviewreihe zur Vereinbarkeit von Familie & Musik-Beruf lässt die Berliner Songwriterin und Produzentin Johanna Amelie zu Wort kommen. Die Musikerin bringt bereits mit verschiedenen Projekten das Thema Mutterschaft in die Mitte der Popkultur: sie ist Produzentin & Kuratorin des Podcasts „Mom’s Got Talent“, hat mit anderen Mamas ein Musikprojekt in der Mache und kürzlich ihr erstes Family Concert in Hannover gespielt.

Johanna Amelie ist eine Musikerin, Songwriterin und Produzentin aus Berlin. Sie verbindet cinematischen Indie-Pop mit Gitarren, Klavier, Omnichord, Drumcomputern und mehrstimmigem Gesang in einem internationalem, zeitlosem Sound und einem klar feministischen Blick auf die Welt. Mit mehr als 400 Konzerten weltweit (u. a. Ghana, Neuseeland, Schweden, Frankreich, Island, Dänemark) sowie Support-Shows für SEEED, Nerina Pallot, Patrice und Die Höchste Eisenbahn hat sie sich eine feste Position in der alternativen Musikszene erspielt. Mit einem Bachelor in Musikproduktion, Projekten mit dem Goethe-Institut sowie Kollaborationen mit Gordon Raphael, Jocelyn B. Smith, Pola Roy und Tristan Brusch ist sie in Berlin sowie international gut vernetzt. 3 Besuche in der Robert Elms Show und regelmäßige Plays ihrer Songs im Radio BBC, sowie Workshops mit Suzie Collier und Co-Writings mit der britischen Sängerin Sobi zeigen, dass Johanna Amelie längst über Berlin hinaus Wellen schlägt. Ende letzten Jahres ist ihre EP „Horizon“ auf dem Berliner Label Listenrecords erschienen. Neben ihrer Musik engagiert sich Johanna Amelie für feministische Communityarbeit und ist eine gefragte Speakerin zum Thema Elternschaft in der Musik.

 

Du bist Mutter eines Kindes und weiter als Musikerin tätig. Warst Du mit Deinem Kind bereits on tour? Wie ist es Euch ergangen?

Ich war mit meiner Tochter auf Tour, als sie 8 Monate alt war, da habe ich noch gestillt. Mein Partner, der Papa des Kindes, war mit dabei und so war es eigentlich gut möglich. Als die Kleine 10 Monate alt war, waren wir 3 Wochen in Paris, ich war die erste Artist in Residency mit Baby im Le Plan. Organisiert wurde die Residency vom Musicboard Berlin, die mich sehr unterstützt haben.

 

Haben sich Veranstaltende bereits darauf eingestellt, dass manche Musiker*innen mit Kindern anreisen?

Ich glaube gar nicht.

 

Würdest Du es wieder machen oder lieber eine längere Auszeit in Kauf nehmen?

Ich würde es wieder machen!

 

In der Regel arbeiten Schwangere in den letzten Wochen vor der Geburt nicht mehr und gehen in den Mutterschutz. Viele Musikerinnen* können sich das gar nicht leisten oder fühlen sich so fit, dass sie weiter auf der Bühne stehen. Wie war das bei Dir?

Als ich im 7. Monat schwanger war, haben wir als Vorband von SEEED vor 17.000 Leuten gespielt. Das war ein Highlight. Ich habe auch Konzerte im 8. Monat gespielt und es ging mir eigentlich dabei meistens gut. Ich erinnere mich, dass ich sogar einmal zwei Konzerte an einem Abend gespielt habe, bis spät nach Mitternacht, aber danach war ich dann auch total fertig. Sowas würde ich wahrscheinlich nicht nochmal machen. Grundsätzlich wollte ich auch einfach alles mitnehmen, was ging, habe aber auch Grenzen gespürt.

 

Konntest Du Deine Projekte so planen, dass Du beruhigt eine Auszeit nehmen konntest? Und wie hast Du das finanziell hinbekommen, Du bekommst ja wahrscheinlich kein Gehalt?

Teils, teils würde ich sagen. Es hat sich eigentlich nicht so angefühlt, als dürfe ich „beruhigt eine Auszeit nehmen“ ehrlich gesagt. Nach drei Monaten wurde ich nervös und fing wieder an, Theatermusik zu machen und kleine Gigs zu spielen. Das war eigentlich noch zu früh. Ich habe aber prinzipiell ganz normal Elterngeld erhalten während meiner Elternzeit. Ich habe ein paar Kosten eingespart, z.B. mein Studio untervermietet, da war ich eigentlich in den ersten Monaten auch nie. Wir waren auch einen Monat auf Reisen, das war super.

 

Ist der Beruf als selbstständige Musikerin manchmal auch ein Vorteil, wenn frau eine Familie gründen will?

Ich würde sagen Nein. Vielleicht kommt es aber auch wirklich drauf an, was für eine Musikerin. Ob man singt oder Geige spielt macht sicher einen großen Unterschied. Ich hatte irgendwann durch den Bauch einfach weniger Luft zur Verfügung und fand das lange Singen oder auf der Bühne Stehen (nicht Sitzen) irgendwie nicht mehr so einfach.

 

Stichwort Kinderbetreuung: viele Kitas haben zu, wenn Musikerinnen* arbeiten, nämlich abends und am Wochenende. Wie hast Du das geregelt?

Ich bin jetzt immer zu Kita Zeiten im Studio und brauche für alle anderen Aktivitäten, die außerhalb der Kita stattfinden, eine Kinderbetreuung. Das heißt, wenn eine Konzert-, Studio- oder Musikjob-Anfrage kommt, schaue ich in den Kalender und rufe dann erstmal ein paar Leute an. Am meisten unterstützten mich mein Partner, meine Schwiegermutter und meine Nachbarin.

 

Wo sind die kritischen Knackpunkte, wo es schwierig wird? Was braucht es, um den Spagat gut hinzukriegen? Was müsste sich verändern?

Ich finde die Arbeitszeiten und Zeiten, zu denen Konzerte stattfinden, schwierig und würde mir da wünschen, dass Konzerte auch mal nachmittags wären. Mir ist es wichtig, dass wir als Musiker*innen nicht die Kinderrechte und die Kinderperspektiven aus den Augen verlieren. Vereinbarkeit von Familie und Musik-Beruf sollte nicht nur für mich passen, sondern auch fürs Kind entspannt bleiben. Ich will weder die ganze Zeit weg sein, noch meine Träume liegen lassen. Der Balance fühlt sich manchmal schon nach Zerrissenheit an. Es braucht gute Organisation, gute Absprachen, und ein „Dorf, das das Kind mit einem großzieht“.

 


„Ich würde mir wünschen, dass mehr Menschen solidarisch mit Eltern sind und die „Extra-Mile“ gehen, um Dinge für Familien, Beruf und Freundschaften möglich zu machen. Kinder haben ist nicht nur Privatsache, finde ich“.


 

Was musstest Du an Deiner Lebens- und Arbeitsweise ändern, um alles unter einen Hut zu bekommen?

Ich glaube, dass ich meine Zeit viel besser nutze, effektiver und fokussierter arbeite und viel mehr Verantwortung spüre, daher auch zuverlässiger und verantwortungsbewusster geworden bin. Ich kann besser einschätzen, was möglich ist und was zu viel ist, was ich leisten kann und wo ich Unterstützung brauche und in welchem Tempo ich Projekte und Pläne umsetze. Tatsächlich gehört im Moment auch gesunde Ernährung und Sport voll in meinen Alltag, weil ich mehr Kraft und Energie brauche als früher.

 

Wie sind Deine Pläne für die nahe Zukunft?

Ich schreibe grade neue Songs für mein Musikprojekt und bin im Sommer unterwegs, um ein paar Konzerte zu spielen. Ich habe mit Anneli Bentler und Stefanie Debeurs, die ebenfalls Mamas sind, ein neues Musikprojekt namens M.O.M gegründet, davon werdet ihr bald hören! Wir möchten mit dem Projekt das Thema Mutterschaft in die Mitte der Popkultur bringen. Wir veröffentlichen außerdem mit meinem Kollektiv „KLEBRIGE HÄNDE“(bei dem viele Eltern, die Musiker*innen sind, mitmachen) bald unsere erste Kindermusik-EP. Ich träume davon, in Frankreich, in UK und USA auf Tour zu gehen und arbeite dran, dass das nächstes, oder übernächstes Jahr wahr wird. Und ich arbeite zusammen mit dem Music Family Hub an tollen Projekten wie z.B. dem Podcast MOMS GOT TALENT.

 

Gibt es Tipps & Tricks, die Du weitergeben möchtest?

Es lohnt sich, Partner wie Label, Verlag, Booking, Veranstaltende und auch Bandkolleg*innen sowie Förderinstitutionen um Unterstützung zu fragen. Oft gibt es doch überraschend vieles, was möglich gemacht werden kann, z.B. können Kinderbetreuungskosten bei der Initiative Musik abgerechnet werden, das Musicboard hat jetzt eine Residency nur für Musiker*innen, die Eltern sind, in Leben gerufen. Ich habe mit Sobi am 15.6. in Hannover die Family Concerts Reihe gespielt – ein Konzert tagsüber!

Wir danken Dir, liebe Johanna, für das Gespräch!

Website | Insta | Facebook | Youtube

Fotos: Steffi Retti

26.06.2025