Es ist kein Spagat – es ist mein Leben

Backstage Mom #11: Alin Coen

Alin Coen gehört zu den prägenden deutschsprachigen Singer-/Songwriterinnen. Ihre Musik ist poetisch, direkt und von besonderer erzählerischer Kraft. Mit ihrer gleichnamigen Band hat sie 2010 ihr Debütalbum „Wer bist du?“ veröffentlicht und wurde kurz darauf mit dem Deutschen Musikautor*innenpreis ausgezeichnet. Mehrere Studio- und ein Livealbum, zahlreiche Tourneen, Festivalauftritte und Kooperationen mit anderen Künstler*innen sowie dem Sinfonieorchester STÜBAphilharmonie folgten. Mit ihrem Freund und Bandkollegen und zwei Kindern ist die Musikerin häufig auf Tour. Wie sie und ihr Team es schaffen, dass alles gut funktioniert, erzählt sie im folgenden Interview.

In ihren Liedern erzählt Alin Coen von zwischenmenschlicher Nähe und Distanz, vom Erinnern und Loslassen – immer mit feinem Gespür für Sprache und Emotion. Die Westdeutsche Allgemeine Zeitung beschreibt ihre Stimme als „eine warme Decke“, die Frankfurter Neue Presse nennt ihre Songs „zum Niedersinken schön“

Geboren 1982 in Hamburg als Tochter einer deutschen Ärztin und eines mexikanischen Künstlers, wächst sie zweisprachig auf. Schon früh entdeckt sie das Reisen für sich: Indien, Kanada, Australien, Osttimor – mit 19 Jahren zieht es sie nach Schweden, wo sie erstmals bei einer offenen Bühne eigene Lieder spielt. 2003 beginnt sie das Studium Infrastruktur und Umwelt in Weimar. Dort gründet sie 2007 die Alin Coen Band, mit der sie 2010 ihr Debütalbum „Wer bist du?“ veröffentlicht. Ihre klare künstlerische Handschrift und außergewöhnliche Bühnenpräsenz bescheren ihr schnell überregionale Aufmerksamkeit.

2011 erscheint die EP „Einer will immer mehr“ und Coen wird mit dem Deutschen Musikautor*innenpreis in der Kategorie „Nachwuchsförderung“ ausgezeichnet. Zwei Jahre später erscheint ihre zweite LP „We’re Not the Ones We Thought We Were“, das überwiegend englischsprachige Texte mit atmosphärischem Sound verbindet. Es folgen zahlreiche Tourneen, Festivalauftritte und Kooperationen mit Künstler*innen. 

2015 beginnt sie ein Masterstudium im Bereich Wasserressourcen-Management – Zwei Seelen wohnen, ach! in ihrer Brust – Musik und Umweltschutz. 2016 erscheint das Live-Album „Alles was ich hab“. 2020 folgt ihr erstes Album unter eigenem Namen „Nah“. Es folgt die Zusammenarbeit mit dem Sinfonieorchester STÜBAphilharmonie und das gemeinsame Orchesteralbum Alin Coen & STÜBAphilharmonie im Jahr 2022 sowie eine gemeinsame Tournee 2023/24. Aktuell arbeitet Alin Coen an neuen Songs für ihr Album, das im Frühjahr 2026 erscheinen wird. Ihre Lieder bleiben dabei das Zentrum: persönlich, ehrlich und nahbar. 

 

Du bist Mutter zweier Kinder und weiter als Musikerin tätig. Warst Du mit Deinen Kindern bereits on tour?

Ja. Mit dem ersten habe ich, als er 2 Monate alt war, die ersten Konzerte als Musikerin bei Philipp Poisel gespielt. Meine Mutter und mein Freund haben sich abgewechselt, wer mich bei den Konzerten begleitet, um ihn zu betreuen. Mein zweites Kind war 3 Monate alt, als er zum ersten Mal auf Tour mit uns gekommen ist. Wir hatten eine richtig tolle Babysitterin für ihn, die ihn viel in der Trage herumgetragen hat, während wir Eltern beide auf der Bühne waren.


Wie ist es Euch ergangen?

Verschieden. Wir haben inzwischen zig Konzerte mit Kindern in unserer Reisegruppe gespielt. Es hängt halt davon ab, wie kindgerecht es sich gestalten lässt oder auch, wie kindgerecht die Veranstalter*innen denken. Doof ist, wenn man mit einem Baby im Winter als Backstage ein nicht heizbares, verrauchtes Büro mit Betonboden in 300 m Entfernung zur Bühne zugewiesen bekommt. Aber es gibt auch manchmal richtig liebevoll vorbereitete Räume. Das E-Werk in Erlangen habe ich als besonders kinderfreundlich in Erinnerung. Dort war ein Raum ganz gemütlich mit Teppich, Schaukelpferd und Spiel- und Bastelsachen hergerichtet worden. An der Tür hing ein Schild auf dem „Kinderbackstage“ stand. Unser damals 5-jähriger Sohn hat das laminierte Schild mitgenommen und sich für den Rest der Tour immer ein Backstage-Zimmer ausgesucht, dass er dank seines Schildes als Kinderbackstage markieren konnte.

 

Du warst ja mit der STÜBAPhilharmonie auf Tour, da hatten mehrere ihre Kinder dabei, richtig?

Ja, es waren um die 10 Kinder. Die Eltern sind zum Teil Pärchen, die sich in der STÜBAphilharmonie kennengelernt haben. Es war mal ein studentisches Spaß-Orchester. Auch ein alleinerziehender Papa ist dabei, der sein Kind mit auf Tour nimmt. Die Kinder können von zwei Betreuer*innen betreut werden, die mit der Gruppe auch Ausflüge unternehmen. Die Kinder kennen sich schon von klein auf.


Haben sich Veranstaltende bereits darauf eingestellt, dass manche Musiker*innen mit Kindern anreisen?

Ich muss sagen, dass das mit Erlangen wirklich eher eine Ausnahme war. Die Konzerte-Welt hat vielleicht noch nicht so das Bewusstsein dafür, wie es möglich ist, Musiker*innen mit Kindern dabei zu unterstützen auf Tour zu sein. Ich glaube, dass manche Leute im Live-Bereich vielleicht selber auch noch so jung sind und die Bedürfnisse von Familien nicht so kennen. Aber ich hab gehört, dass es immer häufiger passiert, dass Künstler*innen ihre Familien auf Tour mitnehmen.


„Je selbstverständlicher das wird, desto selbstverständlicher wird wahrscheinlich auch,
dass Kinder in der Veranstaltungs-Planung berücksichtigt werden“.   


Würdest Du es wieder machen oder lieber eine längere Auszeit in Kauf nehmen?

Nein, eine längere Auszeit halte ich nicht für nötig. Aber wir waren zu dem Zeitpunkt, als unsere Kinder auf die Welt kamen, auch schon so etabliert, dass wir an Orten spielen konnten, die rauchfrei waren, genug Platz im Backstage hatten, wir konnten uns die Bezahlung von Babysitterinnen leisten und wir wurden ja sogar mit einem Nightliner von Ort zu Ort gefahren. Wenn wir ganz am Anfang unserer Karriere gestanden hätten, wo wir noch selber mit dem Auto zu den Locations gefahren sind und der einzige Rückzugsort, um sich z.B. umzuziehen, das Klo war, dann wäre das mit Kind bestimmt herausfordernder gewesen.

 

In der Regel arbeiten Schwangere in den letzten Wochen vor der Geburt nicht mehr und gehen in den Mutterschutz. Viele Musikerinnen* können sich das gar nicht leisten oder fühlen sich so fit, dass sie weiter auf der Bühne stehen. Wie war das bei Dir?

Ich war beim ersten Kind so fit, dass ich bis in den 9. Monat mit Philipp Poisel auf der Bühne gestanden habe. Ich war im 7. Monat sogar noch auf Mexiko-Tour. Beim ersten hab ich alles mitgenommen, was ich mitnehmen konnte an Abenteuern! Ich glaube, es hat dem Kind im Bauch nicht geschadet. Ich hab mich nicht so beeinträchtigt gefühlt bei der ersten Schwangerschaft.

Es wurde auch sehr viel Rücksicht auf meine Bedürfnisse genommen, muss ich sagen. Philipp hatte extra einen Sitzsack für mich besorgt, damit ich es hinter der Bühne gemütlich hatte. Jemand hatte ein Klapprad dabei, das ich nutzen konnte, weil ich keine langen Strecken mehr laufen konnte. Das waren damals sehr große Venues, wo wir gespielt haben. Aber es ist wahrscheinlich auch dem Genre geschuldet, dass alle um mich herum so umsichtig, fürsorglich und liebevoll damit umgehen.

Bei der zweiten Schwangerschaft hatte ich Frühgeburtsbestrebungen, deshalb war ich ab dem 7. Monat raus. Ich konnte nichts mehr machen außer wochenlang im Bett zu liegen und hab alles abgesagt, was in der Zeit gewesen wäre – aber es war zum Glück nicht so viel. Mein Freund hat sich um den Großen gekümmert.

 

Wie hast Du das finanziell hinbekommen, Du bekommst ja wahrscheinlich kein Gehalt?

Es hat vom Timing zufälligerweise gut gepasst. Coronabedingt wurde unsere Tour zweimal verschoben. Eigentlich hätte sie im November 2020 stattfinden sollen, dann wurde sie um ein Jahr verschoben und dann war nach einem halben Jahr klar, dass wir auch im November 2021 noch nicht spielen können. So sind wir erst im Mai 2022 auf die Tour gegangen. Im Februar ist mein Kind auf die Welt gekommen und im Mai waren wir auf Tour. Die Auszeit haben wir mit unseren Rücklagen überbrückt.

 

Ist der Beruf als selbstständige Musikerin manchmal auch ein Vorteil, wenn frau eine Familie gründen will?

Für mich schon. Ich kann mir nichts Anderes vorstellen als Musikerin zu sein, das ist einfach mein Ding. Wir haben ein Netzwerk, welches uns ermöglicht diesen Beruf auszuüben und haben auch entsprechende Vorbilder in unserer Familie gehabt. Sowohl die Mutter meines Freundes als auch meine Mutter waren arbeitende Frauen. 


„Ich glaube, es hat auch mit Glaubenssätzen zu tun, ob man es für machbar hält
oder ob man denkt, das schafft man nicht“.


Stichwort Kinderbetreuung: viele Kitas haben zu, wenn Musikerinnen* arbeiten, nämlich abends und am Wochenende. Wie hast Du das geregelt?

Bei Studiophasen haben wir bis jetzt immer die Großeltern involviert und die Arbeitszeiten zum großen Teil so gelegt, dass wir besonders früh angefangen haben. Wir haben z.B. Zeiten von 10-16 Uhr vereinbart, um die Kita- und Schulzeit mitzunehmen. Aber zusätzlich ist meine Mutter für dieses Album zu uns nach Berlin gekommen, um am Nachmittag das Kind von der Kita abzuholen, wenn wir noch nicht zurück waren. Meine Mutter ist auch bei sehr, sehr vielen Touren dabei gewesen. Und wir konnten uns durch die Größe unserer Konzerte leisten, Babysitter*innen dazuzuholen. 

 

Wo sind die kritischen Knackpunkte, wo es schwierig wird?

Wir hatten das einmal auf Tour, dass ein Kind so krank geworden ist, dass wir die Tour abbrechen mussten. Das waren drei kleinere Konzerte, die wir verschieben konnten, sodass es kein so großer Schaden war, den wir davon getragen haben. Aber ich habe das große Glück, dass meine Mutter Kinderärztin ist, und wir hatten damals meine Mutter dabei. Das heißt, wir hatten immer die beste Betreuung. 

 

Was braucht es, um den Spagat gut hinzukriegen?

Im empfinde es nicht als Spagat. Ich empfinde es einfach als mein Leben! Der Große ist acht und braucht ganz viel Bewegung, wenn wir auf Tour sind. Wenn gutes Wetter ist, gehen wir auf den Spielplatz und hopsen da rum.  Aber diesmal gab‘s viel Regen. Wir haben unserer Babysitterin manchmal rausgesucht, wo die nächste Boulderhalle ist und dann konnten sie auf unserer Tour mehrmals bouldern gehen. Man muss Räume finden, mit denen man den Kindern gerecht werden kann, damit sie nicht zu kurz kommen. Der Kleine will eigentlich jedes Konzert sehen, aber hat nach dem dritten Konzert auf dieser Tour gesagt: „Warum spielt ihr immer nur Lieder, die ich schon kenne?“ – dem wurde nach dem dritten Konzert ein bisschen langweilig.

 

Was müsste sich verändern?

Gute Frage. Ich glaube, es hat was mit der Verfügbarkeit von Netzwerken zu tun. Wir waren z.B. mal unterwegs und unser Babysitter hat Corona bekommen und so waren wir plötzlich ohne Babysitter*in. Wir hatten aber das Glück, dass unsere Bookerin irgendwen kannte, die irgendwen kannte, so haben wir last minute eine Babysitterin gefunden. Bei einem anderen Konzert hatte der Veranstalter eine Nichte, die aufpassen konnte. Für solche Situationen würde es total helfen, wenn Veranstalter*innen ein Netzwerk hätten, mit dem sie unterstützen können. Vorausgesetzt, die Kinder sind bereit da mitzumachen. Unser Großer ist da voll entspannt gewesen. Mit dem Kleinen hätten wir das nicht machen können.

Apropos Kinderbetreuung… 2019 hatte ich bei der Initiative Musik eine Bewerbung für die Künstler*innenförderung hingeschickt und die Babysitter-Kosten reingepackt. Die haben das damals abgelehnt. Meine Betreuerin, die für mich zuständig war, hat das Thema dann aber im Team auf den Tisch gebracht. Inzwischen können Kosten für Kinderbetreuung geltend gemacht werden, wenn sie für die Durchführung des Projekts notwendig sind. 


„Das ist auf jeden Fall schon mal ein Anfang,
aber es sollte Standard auch bei anderen Förderprogrammen sein“.


Gibt es Tipps & Tricks, die Du weitergeben möchtest?

Für mich selbst ist relevant, dass ich mir vor einem Konzert Raum für meine Vorbereitung nehme und nicht bis zum Beginn des Konzerts Zeit mit meinen Kindern verbringe. Ich sollte mich schon eine Stunde vorher aufs Konzert einstellen, weil ich sonst auf der Bühne richtig viel Chaos mache.

Es ist auch echt von Vorteil, eine Unterkunft in fußläufiger Nähe zu haben, so dass man nach dem Konzert, wenn man schnell zu seinem Kind will, nicht noch auf ein Taxi oder den fertig gepackten Bandbus warten muss.

Und was mir bei dieser letzten Tour aufgefallen ist: Wenn es Catering gibt, sollte man im Tourrider ausdrücklich angeben, dass das Essen kindgerecht sein soll. Also z.B. nichts Scharfes oder wild Gewürztes.

Mich hat als junge Musikerin total bestärkt, dass ich z.B. von Dota wusste, dass sie mit Kind auf Tour gegangen ist. Wenn ich bei anderen sehe, dass etwas machbar ist, kann ich mir das leichter vorstellen, es auch so zu machen. Es wird selbstverständlicher. Man kriegt es nicht allein gestemmt, aber es ist machbar, wenn man sich Unterstützung, liebevolle, kinderfreundliche Leute ins Team holt, wenn alle im Team ein Auge mit draufhaben. Aber man braucht natürlich auch Leute, die explizit dafür zuständig sind, dass es den Kindern gut geht.

 

Da ist wahrscheinlich auch entscheidend, ob Du in einem Genre unterwegs bist, wo mehr FLINTA* Personen aktiv sind?

In Bezug auf die Möglichkeit Vorbilder zu haben ja. Allerdings war in meiner Familie schon immer mein Vater derjenige, der zu Hause geblieben ist und sich um uns Kinder gekümmert hat. Mein Partner ist ebenfalls ein sehr engagierter Vater, der stundenlang mit den Kindern spielt und sich mit großer Geduld um alles kümmert. 


„Deshalb finde ich die Vorstellung, dass Kinderfreundlichkeit automatisch etwas nicht-Männliches sei, ziemlich überholt“.


Auf Tour waren wir ein gemischtes Team: zwei Babysitterinnen, eine Person für Merch und Social Media, unsere Tourmanagerin, Support-Künstlerin und ich – also sechs FLINTA* – sowie ein Tontechniker, zwei Musiker, ein technischer Assistent und natürlich die beiden Kinder. Auch unser Busfahrer hatte einen guten Draht zu den Kindern. Insgesamt war das Miteinander echt umsichtig und unterstützend – unabhängig vom Geschlecht.

 

Wie sind Deine Pläne für die nahe Zukunft?

Nächstes Frühjahr möchte ich ein Album rausbringen, und dafür sind tatsächlich schon drei Touren in Planung. Zum Album-Release wird es zwei Konzerte in Berlin und Hamburg geben. In den Sommerferien werden wir dann einige Open-Air-Konzerte spielen, bevor es dann in den nächsten Herbstferien wieder auf Club-Tour geht. Am 14.03.2026 spiele ich übrigens mit Ben Mwanga und Johanna Amelie ein familienfreundliches Konzert im Bi Nuu in Berlin (ab 15 Uhr). 

Vielen lieben Dank, liebe Alin, für das Gespräch!

 

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Titelbild & Porträt: David Dollmann, Livebild schwarz-weiß: Sebastian Husum

12.11.2025