Electronic Ladyland

Von Female Machos und anderen Besonderheiten...

(Die Kult-Janes: Kemistry & Storm)

Techno versprach einst die Auflösung tradierter Geschlechterverhältnisse. Die Realität ist ernüchternd!


You never walk alone!

Mit diesem Versprechen fordert die Wiener DJ und Techno-Produzentin Electric Indigo Frauen dazu auf, sich in die von ihr initiierte Mailingliste „Female Pressure“ einzutragen.
Electric Indigo möchte „unsere“ Szene und „unser“ Netzwerk damit stärken und der unübersehbaren Herrschaft der Männer im Bereich der elektronischen Musik etwas entgegensetzen und deutlich machen: „Wir“ sind auch da!

Dabei bleibt die Frage berechtigt: Wo sind sie, die Frauen im Techno?

An den Plattenspielern der großen Clubs, an den Laptops? In dem Standardwerk „Techno“, das 1995 herausgegen wurde, lässt sich bei den Portraits über einflussreiche Persönlichkeiten in der Techno-Szene mit Miss Djax gerade mal eine Frau gegenüber acht Männern finden. Verhältnis eins zu acht. Haben Frauen hier echt kaum etwas zu melden?
Auch die Popjournalistin Heike Blümner beschwert sich in ihrem Beitrag zum neuen Suhrkamp-Reader „Sound Signatures“: „Bei den Popstars im Teeniesegment ist das Geschlechterverhältnis wesentlich ausgeglichener als zum Beispiel bei DJs und Produzenten“. Und weist gleichzeitig darauf hin, dass den Frauen einfach die Netzwerke fehlen würden, um daran etwas ändern zu können.

(Chicks on speed)

Dass die ganze Popbranche ein verkrustetes System ist, in dem an den entscheidenden Stellen Männer die Popdiskurse regeln, Medienhypes gewähren oder blockieren können und für das Programm der Clubs zuständig sind, ist alt bekannt. Doch dass ausgerechnet im Bereich der elektronischen Musik, von dem man sich einmal die Auflösung fixierter Geschlechteridentitäten erhoffte und der – auch durch den Konsum der weich machenden Droge Ecstasy – das Ende des Machos auf dem Dancefloor herbei sehnen ließ, die Strukturen patriarchalisch wie eh und je geregelt sind, ist einigermaßen ernüchternd. Die Kulturwissenschaftlerin Angela McRobbie ist der Meinung, dass Techno längst nicht mehr eine utopistische Subkultur mit eigenen Regeln ist, sondern sich den Verhältnissen im gesellschaftlichen Mainstream angepasst hat. Die Organisatoren von Raves seien meist alte Säcke, die eine Karriere als DJs im subkulturellen Bereich hinter sich haben, während ihre Freundinnen an der Kasse aushelfen, hinter der Bar stehen oder ein par Flyer verteilen dürfen. „Die Ravekultur-Industrie reproduziert somit die geschlechtsspezifische Aufteilung von Arbeit, welche nicht nur in der Popmusik-Industrie besteht, sondern auch in den meisten anderen Arten von Arbeit und Beschäftigung.“

Der Sektor Dancemusik, der immer damit hausieren ging, die Zukunft ins Jetzt zu holen – und von der Zukunft versprechen wir uns ja die Auflösung tradierter Geschlechterrollen – ist also weit weniger progressiv, als immer wieder angenommen wurde. In einem Interview mit dem englischen Kulturwissenschaftler Jeremy Gilbert, der in seinem letzten Buch „Discographics“ unter anderem die Zusammenhänge von Dance, Gender und Sexualität untersucht hat, lässt dieser sogar die Befürchtung eines Backlashs anklingen: „Insgesamt bleibe ich optimistisch, dass der breite Trend zur Dekonstruktion patriarchaler Strukturen anhalten wird, aber wie sich das genau auf die Dance Culture auswirken wird, ist schwer zu sagen.“ Und schliesst daraus: „Wäre ich heute ein/e 18jährige FeministIn, so würde mich die Dance-Kultur vermutlich stark anöden und ich würde mir wahrscheinlich alte Bikini Kill-Platten raussuchen.“

(Hanin Elias)

Die Annahme, dass es im elektronischen Sektor weniger sexistisch und genderspezifisch egalitärer zugehen würde als bei der Rockfraktion, beruht vor allem darauf, dass Techno immer schon den Anspruch hatte, niemanden auszuschließen außer den Ausschluss. Anders als in der Rockmusik gibt es in der meist textlosen elektronischen Musik keinen eindeutig identifizierbaren Sender, keine männliche oder weibliche Stimme, die bereits schon wieder ein Ausschlussmechanismus sein kann, keine Möglichkeiten für „hate speech“.
Thomas Meinecke wirft in seinem Roman „Tomboy“ sogar die Frage auf, ob die Musik des Elektroniklabels Source die am wenigsten phallische Musik überhaupt sei, weil androgyn, weil sanft klingend. Dabei wird jedoch verkannt, dass bereits die Rrrriot-Grrrls-Bewegung vorführte, dass man sich auch den übelsten Cock- und Schweinerock aneignen und umcodieren kann und weniger die Frage, wen spricht die Musik an, sondern wer macht die Musik, virulent ist.

Man muss einfach feststellen, dass das System Elektronik- und Dancemusik unter dauernder Produktion von Ausschlussmechanismen ein Level erreicht hat, das nach einer Logik funktioniert, die weniger denn je Zugang für Frauen bietet.
Die Rede muss gar nicht mal vom offenen Sexismus im verbrämten Ironiemäntelchen bei Gabba-Acts wie Sperminator sein, die mit Tracks wie „No Woman Allowed“ recht deutlich werden. Mit Typen wie Aphex Twin und der Bewegung der Laptop-Elektroniker mit Musikhochschul-Diplom wurde das Bild des tüftelnden Nerds – dahinter steckt eigentlich immer ein Junge – und sogar so etwas wie Geniekult wieder etabliert. Und das nach Punk und nachdem vor Jahren von den demokratischen Zugangsmöglichkeiten in das System Techno gefaselt wurde.

Gegen was der Feminismus schon seit je her eingetreten ist, ist Geniekult. Somit auch in der elektronischen Musik. Die Popjournalistin Elisabet Vincentelli ist der Meinung: „Auch die einsame Techno-Verklemmtheit, die so ein Computer ausstrahlt, scheint für Jungs nicht so unangenehm zu sein wie für Mädchen – ein Mädchen wird vielleicht in die Magersucht getrieben vor lauter Selbstzweifel und Einsamkeit, während ein Typ zum brillianten Einsiedler wird.“ So ist es bezeichnend, dass im Bereich der hyperkomplexen Electronica sich keine Frau einen ähnlich wohl klingenden Namen wie etwa Autechre erobern konnte. Es gibt so gut wie keine Platten von Frauen in diesem Bereich, außer vielleicht die bezeichnenderweise ziemlich ignorierte „Sharing The Sunhat“ von Susanne Brokesch. Doch so überraschend wie diese vor ein paar Jahren erschienen ist, so wenig überraschend ist es, dass man von ihr seitdem nie wieder etwas gehört hat.

„Frauen müssen erst Mal ein Selbstvertrauen im Bereich der elektronischen Musik entwickeln, bevor sie sich selbst respektieren können. Die haben da einiges nach zu holen“ meint Hanin Elias, die zusammen mit Nic Endo und Alec Empire Atari Teenage Riot bildet und vor kurzem mit Fatal ein Label gegründet hat „für Männer und Frauen, die eine Nische für sich haben wollen. Ohne Techniksprache und Spezialistengeschwafel.“ Hanin Elias ist eine der wenigen Frauen, die es geschafft haben, in der elektronischen Musik als eigenständig arbeitende Künstlerin wahr genommen zu werden. Sie hat dieses Selbstvertauen, dass sonst hauptsächlich Jungs dazu befähigt, sich in diesem Bereich erfolgreich durchzuschlagen. „Bei den meisten Frauen ist der Wunsch gar nicht da, nach oben zu kommen. Man kriegt ja auch immer gleich was auf den Deckel. Bleib du mal lieber Sängerin, heißt es dann.“

Sängerin. Als solche lassen sich genügend Frauen in der elektronischen Musik finden. Paula, Goldfrapp, Portishead, Moloko, alles paritätisch strukturierte Elektronikpop-Duos. Doch die geschlechtstypische Aufteilung gibt es auch hier: Er ist der soundfummelnde Superchecker im Hintergrund, sie die Chanteuse mit Schmelzstimme und zuständig für die gelungene Pose vor der Kamera.
Das Berliner Duo Laub, bei dem Antye Greie-Fuchs (Ex-Autorin bei Melodiva) singt und beide für das Sounddesign zuständig sind, bleibt da die Ausnahme.

Dass es im DJ-Business nur wenige Frauen mit den sogenannten großen Namen gibt, die sich dann als Selbstläufer für die Bookingagenturen erweisen, liegt an dem gendertypischen fehlenden Willen zur Macht und der Ordnung des Wissens, die das ganze System regelt. Ausserdem an der ständigen Kollision mit den eingefahrenen Strukturen.

Luka Skywalker, Bassistin der Hamburger Band Brüllen und DJ, schreibt in einem Beitrag für die Gender-Ausgabe der Zeitschrift „Testcard“ ein paar Gründe auf, die es einem als Frau nicht gerade leichter machen. Unter anderem: „Du gestaltest mit einem Kollegen einen Clubabend, und am Ende realisierst du, dass er doppelt soviel Gage bekommt wie du.“ Und: „Du versuchst deine Party in der lokalen Szenezeitung anzukündigen, ein Tagestip wird mit der Begründung abgelehnt, dass diesen Monat schon eine Veranstaltung läuft, auf der Frauen auflegen.“

Der DJ gilt als jemand, der unglaublich viel über Musik wissen sollte und dieses mit Können an den Plattenspielern verarbeitet. Spätestens seit „High Fidelty“ weiss man, dass das Wissen über Musik als Männerding gesehen wird und die beiden Drum & Bass-DJs Kemistry & Storm (s. Foto ganz oben) meinten in einem Interview, sie müssten doppelt so gut sein wie ihre männlichen Kollegen, um akzeptiert zu werden.
Das DJ-Business ist ein Geschäft, in dem man sich hoch arbeiten muss, Frauen müssen jedoch zusätzlich noch eine Mauer der Ignoranz durchbrechen. Diejenigen, die es im großen Stil geschafft haben, DJs wie Monika Kruse, Ellen Allien (s. Foto oben) oder eben Electric Indigo, bleiben Ausnahmen.

Networking bleibt da eine der wenigen Möglichkeiten, mehr für Frauen im elektronischen Bereich zu tun. Gudrun Gut betreibt mit ihrem Label Monika eine Plattform für Electronic-Popbands, bei denen möglichst „mindestens eine Frau mit dabei sein sollte“, Monika Kruse gibt in einem Interview mit der Zeitschrift für elektronische Musik De:Bug an, informelle Hilfestellung für verkannte DJs zu leisten, „indem ich, wenn ich mal krank bin oder nicht kann, sage: Nehmt doch die Bianca von der Houseattack, die legt super auf.“

Im Produktionsbereich von elektronischer Musik fällt auf, dass hier vor allem Frauen erfolgreich sind, die einen anderen Umgang mit der Technik als ihre männlichen Kollgen pflegen.

Hanin Elias meint dazu: „Ich lese mir nie die Anleitungen für die Geräte durch, ich lasse mir lieber etwas zeigen. Nicht von Nerds, sondern von Freunden. Ich will mit den Dingern arbeiten, und zwar sofort.“
Die Chicks On Speed, die mit „Kaltes Klares Wasser“ gerade einen überraschenden Chart-Hit landen konnten, haben nie einen Hehl daraus gemacht, sich ihre Tracks von befreundeten (männlichen) Produzenten zusammen schustern zu lassen, zu denen sie dann aber performen und die sie sich dadurch aneignen. Auch Ellen Allien hat für ihren ersten Longplayer „Stadtkind“ nicht erst zusätzliche Übungsstunden im Studio genommen, sondern die gesamte Platte einfach zusammen mit befreundeten Toningenieuren erbastelt. Trotzdem steht die Platte als lupenreine Ellen Allien-Platte in den Läden. Dieser Praxis bedienen sich auch DJ-Ikonen wie Sven Väth, die vielleicht sogar Probleme haben, den An-Knopf am Computer zu finden. Doch darüber wird in der nachträglichen Rezeption meist lieber bloß gemunkelt, könnte ja Majestätsbeleidigung sein.

Zwar gibt es auch erklärte Selbsttüftel-Produzentinnen wie Lektrogirl, Kelly Hand oder Leila und die Plattenfirma Law & Auder hat sogar eine Doppel-CD „Female Of The Species“ ausschließlich mit Tracks von Produzentinnen (die jedoch kaum jemand kennt) voll gepackt, doch zumindest, so lange es keine weiblichen Pendants zu Techno-Superstars wie Carl Craig oder Luke Vibert gibt, erscheint eine Kritik von Nerd- und Geniekult in der elektronischen Musik die wirksamere Strategie zur Sichtbarwerdung von Frauen in diesem Bereich zu sein. Und ansonsten: Einfach ran an die Plattenspieler. Findet auch Hanin Elias: „Eine Freundin von mir legt super auf und die ganzen Leute im Techno-Bereich haben ihr das nie zugetraut. Dann durfte sie einmal die Platten drehen und alle fanden es super.

Sie nennt sich übrigens FEMALE MACHO.“

Text: Andreas Hartman – Berlin

Links zumArtikel:
www.femalepressure.net/
www.indigo-inc.at
www.indigo-inc.at/electrici.html
www.bpitchcontrol.de
www.laut.de/wortlaut/artists/k/kemistry_storm

Quelle: „TAZ“, April 2001

Wir bedanken uns bei der TAZ-Redaktion für die gute Zusammenarbeit und die Abdruckgenehimung für diesen Artikel.

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30.06.2002