Dr. Bettina Plesch / Nürnberg
"Eine feministische Musikjournalistin erster Stunde ist gestorben"
Tine Plesch ist am Freitag, den 5. November 2004, im Alter von 45 Jahren in Folge eines septischen Schocks gestorben.
Wir trauern um eine kompetente, engagierte und feministische Musik-journalistin. Sie war u.a. Mitherausgeberin von TESTCARD und freie Mitarbeiterin beim „Radio Z“ in Nürnberg.
Gerade haben wir durch Zufall vom Tod einer sehr engagierten Musikjournalistin erfahren: Tine Plesch aus Nürnberg. Sie war seit 1999 auch aktiv für die Melodiva tätig und überließ uns von da an unterstützenderweise einige ihrer Artikel über Musikerinnen. Es hat mich sehr geschockt, so durch ihren Tod zu erfahren. Ich habe eine Zeit lang häufig zu ihr Kontakt gehabt, viel von ihr gelernt und lange Zeit mit ihr gearbeitet. Ihre Zuverlässigkeit und Kompetenz hat auch unsere Arbeit hier in der Frauen Musik Redaktion befruchtet. Das Team des Frauen Musik Büros und die Redaktion der MELODIVA trauert um Tine Plesch mit allen, die sie gekannt haben.
Folgenden Nachruf eines befreundeten Kollegen von Tine, Martin Büsser, haben wir im Netz gefunden.
Tine Plesch ist tot.
Dieser Satz klingt unglaublich, ganz gleich, ob ich ihn schreibe oder laut vor mich hinspreche. Er klingt so unglaublich, weil Tine wie kein anderer mir bekannter Mensch ganz im Leben stand, voller Tatendrang war, der auch auf andere ansteckend wirkte. Ich habe sie das letzte Mal „live“ während der Buchmesse in Frankfurt gesehen. Tine hatte mich für ein paar Tage besucht und uns, dem „Ventil Verlag“, beim Messestand ausgeholfen.
Wir redeten an diesen Abenden bis in die Morgenstunden, vergaßen die Zeit und das frühe Aufstehen am nächsten Tag. Gespräche mit Tine waren anregend, lebhaft, auf ungemein bereichernde Weise impulsiv. Keine Minute davon hätte ich missen wollen.
Diese nur ein paar Wochen zurückliegenden Abende habe ich gerade während dem Schreiben vor Augen. Sie machen das Unglaubliche noch unglaublicher. Sie sind so fern von allem, was man mit Tod in Verbindung bringt. In ihrer Helligkeit, in dem ungebrochenen Einsatz für ein Besseres als das, was diese Gesellschaft ist, in ihrem moralischen Rigorismus und in ihrem gleichzeitigem Interesse, alles nur Erdenkliche aufzunehmen, sich für andere Menschen zu interessieren und die Welt geradezu in sich aufzusaugen, war Tine in diesen Stunden einmal wieder das genaue Gegenteil dieser Sattheit und Resignation, die so viele in unserem Alter ergriffen und gelähmt hat. Tine war ein vitaler Mensch, hatte an jedem Thema Interesse und war zugleich von einer Bescheidenheit, wie man sie selten findet. Ihre Menschlichkeit war bestechend, jede Form von Falschheit war ihr fremd.
Seit der im Jahr 2000 erschienenen „Gender“-Ausgabe war Tine Plesch Mitherausgerberin der „testcard“-Buchreihe.
Wir hatten uns nach einer meiner Lesungen in Nürnberg kennen gelernt und bereits an jenem Abend heiß diskutiert. Tine stellte die berechtigte Frage, warum der Musikjournalismus fast ausschließlich in Männerhand ist und daher auch Musikerinnen in der Berichterstattung fast immer zu kurz kommen. Ein Vorwurf, den sich damals auch „testcard“ gefallen lassen musste. Was lag da näher, als Tine zu bitten, Teil der Redaktion zu werden und uns zu helfen, diese Schieflage zu korrigieren? Seither hat Tine nicht einfach nur geholfen, sondern mit ihrer Arbeit, also ihren eigenen Beiträgen und den Autorinnen, die sie zum Schreiben motivierte, einen Beitrag zur „Genderisierung“ des Popjournalismus geleistet, der im deutschsprachigen Raum einzigartig ist.
Ein Teil ihrer menschlichen Größte bestand darin, stets genau zu differenzieren, feministischen Floskeln und Ausgrenzungsmechanismen zu misstrauen und damit „Gender“ als Infragestellung männlicher wie weiblicher Geschlechterrollen zu betrachten. „Mann“ und „Frau“ waren für sie nie essenzialistische Kategorien. Sie waren abhängig von gesellschaftlichen Gegebenheiten und jener Bequemlichkeit von Rollen, in die sich Tine selbst nie gefügt hat. Einer ihrer letzten veröffentlichten Texte, die „junge Welt“-Kritik zu Annie Sprinkles Buch „Hardcore von Herzen“ zeugt davon: Tine hat stets eine Lanze für jene gebrochen, egal of Frauen oder Männer, die sich nicht in bequeme Rollen gefügt haben, sondern aus Liebe zum Leben etwas Besseres, ja Intensiveres als das bequeme Festgefügstein suchten. Menschen, die auf der Suche waren, für die Leben kein abgeschlossener Prozess war, sondern ein Abenteuer mit offenem Ausgang. Das Gegenteil von Tod.
Hinzu kamen ihre Arbeit für „Radio Z“, ihre Beiträge als Journalistin, ihre Lesungen und Vorträge, unter anderem im Rahmen der „Ladyfeste“. Und all dies hatte Tine nebenher erledigt, neben ihrer Arbeit in der Apotheke – aber nicht nebenher im Sinne von beiläufig, sondern immer mit der für sie typischen Leidenschaft, auf andere Menschen zuzugehen, mit ihnen zu debattieren und ihnen Dinge nahe zu bringen, für die sich Tine selbst begeisterte. Diesbezüglich war Tine eine Kämpfernatur, wie man sie in unserer Zeit kaum mehr findet.
Viele Leute, die über Pop schreiben oder Kulturjournalismus im weitesten Sinne betreiben sind abgebrüht, unreflektiert hedonistisch, desillusioniert oder an Karriere interessiert. Nichts von dem traf auf Tine zu. Sie hätte sicher eine der gefragtesten deutschen Musikjournalistinnen werden können, doch sie behielt ganz bewusst den Job in der Apotheke, denn das ersparte ihr den Sprung ins Haifischbecken, über das sie distanziert lachen konnte. Lieber führte sie in ihren Texten und während ihrer Vorträge das Gegenteil von Einzelkämpfertum vor: Sie zeigte auf herzliche und einnehmende Weise, dass es noch möglich ist, aus Freude an der Sache zu arbeiten – eine Sache, die Tine immer auch politisch begriffen hat: Der feministische Kampf, darunter auch der Kampf für mehr Anerkennung von Musikerinnen, ist noch lange nicht zu Ende! Und sie führte ihn auf eine ebenso herzliche wie überzeugend entwaffnende Weise, die so manchem „Indie-Kavalier“ die Augen geöffnet hat – die ihn also seine eigene enge Männerwelt ein wenig in Frage hat stellen lassen. Bloße Rhetorik war nie Tines Sache. Ihr ging es um Veränderung, um das konkret Machbare. Etwa darum, Netzwerke unter Musikerinnen und Journalistinnen aufzubauen. Tine Plesch war damit Wegbereiterin dessen, was in den „Ladyfesten“ eine Form finden sollte. Und sie wusste, dass Veränderungen nicht einfach auf dem Papier möglich sind, sondern dass sie bessere Menschen voraussetzen. Tine war ein solch besserer Mensch.
Die Lücke, die ihr plötzlicher Tod reißt, lässt sich mit nichts füllen. Von der menschlichen Lücke möchte ich erst gar nicht reden, denn diese Trauer lässt sich nicht in Worte fassen. Die Lücke, die ihre Arbeit reißt – wenn sich das bei ihr überhaupt hat trennen lassen – lässt sich dagegen sehr wohl benennen: Sie ist enorm und widerspricht damit so ganz der zynischen oder desillusionierten Auffassung, dass ein Mensch in der „verwalteten Welt“ ersetzbar sei. Tine ist nicht ersetzbar. Natürlich werden andere nachrücken und Radiosendungen machen, andere Autorinnen werden für „testcard“ schreiben, doch vielleicht schon in ein oder zwei Jahren wird deutlich werden, dass Tine nicht nur als Mensch fehlt, sondern dass mit ihr auch ein einzigartiges Engagement für Künstlerinnen und deren Arbeiten weggebrochen ist. Tine Plesch, die ihre eigene Person und ihre enorme Leistung nie in den Mittelpunkt gestellt hat (nur die wenigsten wussten beispielsweise, dass sie einen Doktortitel besaß – mit so etwas zu prahlen war ihr viel zu albern), hat stets für andere gearbeitet, sich für Künstlerinnen stark gemacht. Und doch will das Klischee der Selbstlosigkeit nicht auf Tine zutreffen, denn alles, was sie tat, tat sie nie als Aufopferung, sondern immer aus Lust an der Sache. Was mit ihrem Tod weggebrochen ist, ist gar nicht zu ermessen. So hatte Tine beispielsweise geplant, ein Buch zum Thema „Popfeminismus“ herauszugeben, das in seiner umfassenden Aufarbeitung des Themas sicher ein Standardwerk geworden wäre. Alleine die ganzen Lesungen und Vorträge, die Tine diese und die kommenden Wochen hätte halten sollen, deuten darauf hin, welche Bedeutung ihre Arbeit hatte und wie sehr sie überall gemocht wurde: Obwohl sie all das nur nebenberuflich machte, häuften sich die Anfragen und machen deutlich, dass Tines Arbeit eben nichts Selbstverständliches war, sondern einzigartig.
Tine hat selbst gerne Nachworte geschrieben oder angeregt, um auf den Verlust von Künstlerinnen aufmerksam zu machen, die in dieser von Männern bestimmten Kulturlandschaft zu Lebzeiten nie die ihnen gebührende Würdigung erfahren haben – zuletzt war ein Nachwort auf die verstorbene Musikerin Lizzie Mercier Descloux für die kommende „testcard“ geplant. Niemand von uns hätte jedoch je gedacht, einen Nachruf auf Tine schreiben zu müssen. Ihn zu schreiben schmerzt mich, weil ich bemerke, wie sich menschlicher Verlust nicht in Worten ausdrücken lässt und wie sehr ein solcher Nachruf deshalb zu einer Art „Werdegang“ verkommt, als der er doch nicht gemeint sein soll.
Und doch halte ich es für angebracht, Tine ähnlich zu würdigen wie sie selbst eine der von ihr geschätzten Musikerinnen gewürdigt hätte: Als große Künstlerin, im Fall von Tine eine Künstlerin des Wortes, deren Leben und Arbeit andere Menschen bereichert hat. Tine, du warst großartig!
Link zum weiterlesen: www.distler-tontechnik.de/abschied.htm
Der intellektuelle Nachlass von Tine Plesch ist jetzt von Bernd Distler erstellt und online: http://www.distler-tontechnik.de/tine-plesch
Text: Martin Büsser
Was ist testcard? www.testcard.de
testcard, eine Anthologie zur Popgeschichte und -theorie in deutscher Sprache, erscheint halbjährlich (Broschur, je ca. 300 Seiten mit zahlreichen Abbildungen). Artikel zu Musik, Film und zeitgenössischer Kunst kreisen in jeder Ausgabe um einen wechselnden Themenschwerpunkt.
Seit der Print-Ausgabe Heft: 13/99 war Tine Plesch auch aktiv als Autorin für die Melodiva tätig.
Text: Martin Büsser (Vorwort: Anne Breick)
Erschienen: März 2005
Copyright: Redaktion Melodiva
29.03.2005