Nicole Johänntgen hat Saxophon, Komposition und Arrangement in Mannheim an der staatlichen Hochschule für Musik und darstellenden Kunst studiert. Seit 2005 lebt sie mit ihrer Familie in der Schweiz. Nicole tourt weltweit und hat bereits mit Stars wie Daniel Powter (Bad day), Roger Cicero, Eric Harland, Aaron Parks, Nils Landgren, Cæcilie Norby und Piet Klocke gespielt. Derzeit ist sie vor allem mit ihren neuen Programmen „Labyrinth II“ und „Robin“ unterwegs. Für ihr künstlerisches Schaffen erhielt sie zahlreiche internationale und nationale Auszeichnungen. Sie hat 29 Alben veröffentlicht und ihr eigenes Label Selmabird Records gegründet, ist aber auch eine begeisterte Mentorin: alle zwei Jahre organisiert sie den Musikbusiness-Workshop SOFIA Support Of Female Improvising Artists in Zürich. Bei diesem Workshop geht es darum, Selbstmanagement und Networking unter Musikerinnen zu lernen. Ihr Ziel ist es, mehr Jazzmusikerinnen auf die Bühne zu bringen. Desweiteren leitet sie den „Kids Jazz Club“, der Kindern einen leichten Zugang zur Musik verschafft. Nicole ist Saxophon-Influencerin in den sozialen Medien und gibt tolle Tipps zu Saxophon-Spieltechniken, Improvisation und Equipment.
Du bist inzwischen auch Mutter eines Kindes und weiter als Musikerin tätig. Warst Du mit Deinem Kind bereits on tour?
Ich bin Mama eines Kindergartenkindes und war noch nicht auf Tour mit meinem Nachwuchs. Meine Familie unterstützt mich sehr.
Wie ist es Euch ergangen?
Ich war mit zwei jungen Müttern und Kindern auf Tour im Alter zwischen 3 und 9 Monaten. Die Väter waren jeweils dabei. Sie sind selbst auch Musiker. Mit Kleinkindern auf Tournee zu sein ist absolut möglich. Wir konnten in dieser Zeit sehr viele Erfahrungen sammeln. Wir hatten große wie auch kleine Bühnen mit und ohne Backstage. Das war in mancher Hinsicht immer mal wieder herausfordernd bezüglich der Ruhe und Privatsphäre. Man braucht als stillende Mutter einen gemütlichen schallgedämmten Raum, der in der Nähe der Bühne ist. Es braucht Privatsphäre. Frisches und gutes Essen.
Haben sich Veranstaltende bereits darauf eingestellt, dass manche Musiker*innen mit Kindern anreisen?
Ja, es gibt Veranstaltende, die Babysitter anbieten.
Würdest Du es wieder machen oder lieber eine längere Auszeit in Kauf nehmen?
Ich würde es wieder machen. Meine Maximaltourzeit ist derzeit 3-4 Tage, mit Ausnahmen auch mehr.
In der Regel arbeiten Schwangere in den letzten Wochen vor der Geburt nicht mehr und gehen in den Mutterschutz. Viele Musikerinnen* können sich das gar nicht leisten oder fühlen sich so fit, dass sie weiter auf der Bühne stehen. Wie war das bei Dir?
Ich habe nach dem 6. Monat nur noch lokal Aufträge angenommen und ab der 15. Woche nach der Geburt wieder Konzerte gespielt.
Konntest Du Deine Projekte so planen, dass Du beruhigt eine Auszeit nehmen konntest?
In der Schweiz gibt es 14 Wochen „Mutterschaftsurlaub“ [einen Ländervergleich findet ihr am Ende des Artikels, Anm. der Red.]. Ich liebe Musik und mein Kind und drum wollte und will ich beides unter einen Hut bringen.
Und wie hast Du das finanziell hinbekommen, Du bekommst ja wahrscheinlich kein Gehalt?
Ich hatte dazumal 2 kleine Pensen an Musikschulen und habe dadurch Geld erhalten.
Ist der Beruf als selbstständige Musikerin manchmal auch ein Vorteil, wenn frau eine Familie gründen will?
Für mich hilft Musik, insbesondere die Improvisation, im Alltag flexibel zu bleiben. Ich verbringe viel Zeit mit meinem Kind, aber auch mit meiner Musik. Ich mag es sehr!
Stichwort Kinderbetreuung: viele Kitas haben zu, wenn Musikerinnen* arbeiten, nämlich abends und am Wochenende. Wie hast Du das geregelt?
Meine Familie und Freunde helfen mir sehr. Darüber bin ich sehr dankbar!
Wo sind die kritischen Knackpunkte, wo es schwierig wird?
Schwierig wird es, wenn plötzlich alle krank sind und man niemanden findet zum Hüten. Die Situation hatten wir noch nicht.
Was braucht es, um den Spagat gut hinzukriegen?
Man braucht auf jeden Fall Vertrauen, Geduld mit sich und den anderen und Gelassenheit, dass alles gut kommt.
Was müsste sich verändern?
Ich fände es schön, dass es noch mehr Vorbilder diesbezüglich geben wird. Mama Musikerin auf Tour.
Was musstest Du an Deiner Lebens- und Arbeitsweise ändern, um alles unter einen Hut zu bekommen?
Für mich ist der Schlaf sehr wichtig. Ich muss genug Schlaf bekommen, um ausgeglichen zu sein. Das heißt, ich kann nicht bis in alle Ewigkeit nach den Konzerten wach bleiben. Mir ist auch wichtig genug Ruhephasen zwischen den Konzertblöcken zu haben. Und on top gutes und frisches Essen.
Wie sind Deine Pläne für die nahe Zukunft?
Spielen, spielen, spielen! In jeder Hinsicht.
Gibt es Tipps & Tricks, die Du weitergeben möchtest?
Nicht stressen lassen von anderen. Wir wollen noch ganz lange Musik machen. Standhaft bleiben und immer wieder dran denken: wir machen Musik, weil wir Musik lieben.
Wir danken Dir, liebe Nicole, für das Gespräch!
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Titelbild: Daniel Bernet
Mutterschutz & Elternzeit im Länder-Vergleich
In der Schweiz ist der Mutterschutz durch das Bundesgesetz über den Mutterschaftsurlaub und die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) geregelt. Die im Gesetz festgelegte Dauer des Mutterschaftsurlaub beträgt 14 Wochen, während der die Mutter 80% ihres Einkommens erhält. Der Mutterschaftsurlaub beginnt am Tag der Geburt, es gibt keine flexiblen Tage, die vor der Geburt genommen werden können. Zusätzlich können Arbeitnehmer*innen in der Schweiz unbezahlte Elternzeit in Anspruch nehmen, die Länge variiert jedoch je nach Arbeitgeber*in.
Im Vergleich dazu ist der Mutterschutz und Elternzeit in Deutschland durch das Mutterschutzgesetz (MuSchG) und das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) festgelegt. In Deutschland fängt der Mutterschutz sechs Wochen vor der Geburt an. Mütter haben Anspruch auf 14 Wochen Mutterschutz, bei Mehrlings- und Frühgeburten verlängert sich die Dauer auf 18 Wochen. Während dieser Zeit erhalten sie eine Entschädigung in Höhe von 100% ihres Einkommens. Im Anschluss daran haben beide Elternteile das Recht auf Elternzeit, die bis zum dritten Lebensjahr des Kindes beantragt werden kann und während der sie Elterngeld in Höhe von 65-100% des Einkommens erhalten können. Quelle