Ein Anlass des Abends war es, das neue Hessen Ländernetzwerk von Music Women* Germany vorzustellen. Der Verband setzt sich seit 2019 für eine Musikkultur und -wirtschaft ein, die vielfältig, divers, digital und vernetzt gestaltet ist. Er bietet eine bundesweite Datenbank von 400 weiblich gelesenen Akteurinnen* der Musikbranche, vernetzt, unterstützt und berät kostenfrei bei der Karriereplanung und veranstaltet Tagungen, Workshops und Konzerte und betreibt viel Lobbyarbeit. Mittlerweile gibt es 16 Ländernetzwerke und seit 2023 auch eine Initiative, ein Hessen-Ländernetzwerk zu gründen. Sabrina Theisen-Steiz und Francesca Herget vom Wiesbadener Schlachthof brachten den Stein ins Rollen und bekamen die Zusage für eine Infrastukturförderung durch die Initiative Musik, um Strukturen für die Gruppe aufzubauen.

Talkrunde von li nach re: Lisa-Anna, AINIE, Jenne, Mane Stelzer (Moderation) (Foto: Tsvetelina Topalova)

Als Talkgäste von MusicHeWomen*Germany begrüßten wir die Musikerin, Produzentin und Songwriterin AINIE aus Frankfurt am Main. AINIE ist der Künstlerinnenname von Nadine Demetrio, seit 2023 ist sie Teil des Female* Producer Collectives und Mitgründerin von MusicHeWomen*Germany. Ebenfalls dabei war die Frankfurter DJ Jenne Schöning, die seit 2021 als Resident DJ und Bookerin im Frankfurter Künstler*innen-Kollektiv saasfee* aktiv ist und seit neuestem auch im Vorstand von MusicHeWomen*Germany ist. Eine weitere Perspektive kam von unserer dritten Talkgästin, der Multiinstrumentalistin, Musiklehrerin, Songwriterin und Chorleiterin Lisa-Anna von ELL. ELL ist ihr Krachpop-Duo mit dem Schlagzeuger Lennart, das beim Ladys&Ladies Label unter Vertrag ist und im Herbst das Debüt-Album veröffentlicht.

Wie kam es zu MusicHEwomen*?

Die Frankfurter DJ Jenne hatte das Fehlen eines Ländernetzwerks in Hessen schon länger verfolgt und wurde zufällig als DJ zur Gründungsveranstaltung des hessischen Ländernetzwerks in den Wiesbadener Schlachthof eingeladen. So lernte sie die Gründer-Crew kennen. „Hessen ist ziemlich hinterher deutschlandweit mit der Förderung von weiblich* gelesenen Personen. Es gibt in anderen Bundesländern schon viel, viel Weiteres, auch zum Thema Awareness. Auch wenn ich mir Frankfurts Clubszene angucke, es gibt da ein paar Pionier*innen, z.B. im FREUD Club gibt es schon von Anfang an ein Awareness-Team, aber in Berlin gibt es das sehr viel mehr. Da ist auf jeden Fall Nachholbedarf“, erzählt sie beim Talk.

Producerin AINIE ergänzt, dass sie beim Reeperbahnfestival auf die Wiesbadenerinnen getroffen ist und danach schon die ersten gemeinsamen Calls begannen. Nach den Zielen des Hessen-Netzwerks gefragt, sagte sie: „In Frankfurt gibt es für uns eine Menge zu tun. Wir haben ja noch nicht mal ein Popbüro oder irgendwas, was Künstlerinnen allgemein fördert. (…) Auf unserer Agenda steht natürlich, dass wir FLINTA* Personen, weiblich gelesene Personen oder auch Personen, die sich jenseits des binären Systems verorten, fördern, dass sie Veranstaltungen haben, wo die Leute networken können. Wir nehmen beratende Tätigkeiten ein, wir wollen auch selbst Veranstaltungen machen wie Songwriting-Workshops oder auch Artists auftreten lassen, dass man zusammenkommen kann, dass man eine Bühne hat, eine Plattform, wo man gesehen wird, aber auch sehen kann“. Zur Zeit ist das Netzwerk noch Frankfurt- und Wiesbaden-based, aber es ist geplant, in Hessen „überall unsere kleinen Zellen“ aufzubauen.

Role Models

Für sie sei das eine ganz neue Erfahrung gewesen, andere DJs auch als Role Models zu erleben, sagt Jenne. „Ich bin nie auf die Idee gekommen, selbst DJ zu werden, weil ich nie eine weiblich gelesene Person gesehen hab, die hinter dem DJ-Pult steht. Einer meiner größten Inspirationen war Helena Hauff, das ist eine ganz tolle DJ mittlerweile, superbekannt, aber die hat genau meinen Sound gespielt, und ich war so: ‚Oh mein Gott, das ist eine Göttin, das möchte ich auch!‘ Ich konnte mich so krass mit ihr identifizieren und danach dachte ich: ‚Ich kann das ja eigentlich!‘. Dann hab ich damit erst so richtig angefangen (…) und gemerkt, Repräsentation ist einfach sehr wichtig“.

Auch Lisa-Anna (ELL) hatte vor allem Sängerinnen als Vorbilder. „Ich fand es immer schwierig, ein Vorbild zu finden, die Instrumentalistin ist. Ich hatte am Anfang Struggles mit meiner Stimme, weil ich sie selber nicht so schön fand. Dann dachte ich immer ‚Scheiße, ich würd so gern in ’ner Band sein und gern auf der Bühne stehen, aber ich kann nicht Sängerin sein, und ich kann aber dann auch nichts Anderes sein, denn das Andere sind Männer!‘ (…) Erst mit 17 dachte ich ‚ich lern jetzt einfach Bass‘ (…) und hab dann die richtige Freundin getroffen, mit der ich das dann durchgezogen habe. Aber klar, als Sängerin war Avril Lavigne ein großes Vorbild für mich und Wallis Bird auch“.

Strukturen: Räume, Awareness & Gatekeeper*innen

Ainie ist Teil des Female* Producer Collectives, auf das sich in der letzten Runde 131 Musikerinnen* beworben hatten. „Weiblich gelesene Produzentinnen sind noch sehr unterrepräsentiert. Ziel ist es, dass man diese Leute aufbaut, wenn sie noch nicht so weit sind. Dass man sie coacht. Die Leute bekommen Workshops, sie bekommen die Möglichkeit, andere Leute zu produzieren, zu networken. Man kriegt wichtige Kontakte in die Industrie, zu Sony usw. Mir persönlich hat das sehr viel gebracht, ich war supergrün hinter den Ohren, und nach dem F*PC wusste ich einfach, wie das ‚Game‘ funktioniert“. Wer einmal drin ist, kommt über das Netzwerk an Jobangebote.

Wir sprechen über Übungsspaces für DJ, die es laut Jenne früher an der Uni gab und z.B. in der Raumstation in Rödelheim immer noch gibt. Spaces für FLINTA*, in denen frau* das Auflegen gut üben kann, ohne direkt vors Publikum zu gehen. Jennes Künstler*innenkollektiv saasfee* veranstaltet im Satellit direkt am Bürgergarten und open air die Tiny Bar, zu der DJs auflegen. Leider gibt es aber viele Lärmbeschwerden gerade, weswegen das Format ausgesetzt wurde.

Jenne merkt auf jeden Fall einen Wandel seit sie 2017 angefangen hat. Seit der Pandemie gäbe es viele weiblich gelesene Personen, die angefangen hätten aufzulegen, viele neue Partykollektive und es würde mehr bemängelt, wenn irgendwo ein all male LineUp ist. „Ich hab [als DJ in der Clubszene] schon viele dumme Sprüche eingesteckt. (…) Da müssen wir einfach gucken, dass wir uns besser vernetzen.“ Wenn mal eine Frau im LineUp sei, mache sie meist das Opening, auch die Artist Care oder das Personal an der Bar im Club seien oft FLINTA* Personen. Im Booking und bei den Clubbesitzer*innen seien es dagegen fast immer männlich gelesene Personen. „Deshalb müssen wir versuchen, dass diese wichtigeren Positionen von FLINTAS besetzt werden, weil dann gibt es einen ganz anderen Umgang damit“.

Jenne sagt zum Thema Awareness & safe spaces: „Es gibt ja jetzt den Begriff von ’nem safer space, weil einen safe space kann man nie generieren. Aber man kann versuchen, dass sich Menschen wohlfühlen. Das ist eine sehr wichtige Angelegenheit, aber sehr schwer umzusetzen, weil man ja gleichzeitig auch niemanden diskriminieren will. Zum Beispiel bei einer Selektion an der Tür fängts ja irgendwie schon an. Wenn man eine queere Party machen will, dann versucht man ein gewisses Publikum zu generieren, gleichzeitig möchte man aber auch niemanden diskriminieren. Man möchte nicht assumen, was die Person für eine Einstellung oder sexuelle Orientierung hat. (…) Aber Awareness fängt vor allem von innen an, es ist wichtig, patriarchale Strukturen zu durchbrechen bei den Clubbesitzern, dass man bei sich anfängt, bevor man fünf Leute beschäftigt, die kriegen fünf Euro die Stunde und sagen ‚wir machen jetzt Awareness‘ und haben eine Schärpe um, damit ist es halt nicht getan, sondern es fängt vor allen Dingen erstmal bei Team an“.

AINIE ergänzt: „Es ist zur Zeit ein Modebegriff und alle wollen sich die Plakette auf die Stirn kleben und sagen ‚wir machen Awareness und wir haben hier ein Team‘, aber da hängt halt superviel damit zusammen und es muss funktionieren mit der Türpolitik und dass die Leute eine Art Schulung durchlaufen haben. (…) Bei Music Women* Germany sind wir bei dem Thema so verhalten, weil wir uns darüber bewusst sind, dass man sich das erst wirklich auf die Fahnen schreiben kann, wenn man sich damit eine ganze Weile auseinander gesetzt und da auch Erfahrungen gesammelt hat. Wir wollen das sehr behutsam und mit Respekt angehen“.

Stichwort Gatekeeper*innen: Nach den Meilensteinen in ihrem Werdegang gefragt, erzählt Lisa-Anna von ELL, dass entscheidend gewesen sei, dass sie während der Pandemie bei Kurt Ebelhäuser aufnehmen konnten und dass sie Johanna Bauhus vom Ladies&Ladys Label kennengelernt hätten, die sie unter Vertrag nahm und seitdem sehr unterstützt hat. Durch sie hätten sie ihren jetzigen Produzenten kennengelernt, der sie an Das Lumpenpack vermittelt hätte, mit denen sie auf einer ausgedehnten Konzerttour waren. Dadurch haben sie ihren jetzigen Booker kennengelernt, der ihre Herbst-Tour bereits gebucht hat.

Lisa-Anna und Lennart kommen eigentlich aus Lindenfels in Hessen, haben sich aber Anfang diesen Jahres für Chemnitz als Wohnort entschieden, weil sie dort „Platz für uns als Band“ hatten und es dort bezahlbaren Wohnraum gibt. Dort gibt es außerdem ein Bandbüro, das über ein Gebäude verfügt, wo viele Proberäume sind, wo es ein Studio gibt und wo eine Videofirma sitzt; auch der Verein Music X, für den sie die Kinderband betreut, ist dort.

Wie ist die Situation in Frankfurt? Hier gibt es das Problem, dass die Proberäume in den Musikbunkern nicht optimal genutzt werden, weil viele ältere Mieter*innen – meist Männer – diese Räume schon sehr lang und oftmals allein nutzen. Auch wissen viele jüngere Musiker*innen gar nicht, dass wir in Frankfurt eigentlich jede Menge Proberäume haben (fragt gern hier mal nach freien Räumen).

Welche Nachwuchsförderungen braucht es?

Lisa-Anna hat selbst auch Musik in der Schule unterrichtet und betreut jetzt eine gemischte Kinderband in Chemnitz. Sie ist überzeugt, dass die Schule geeignet ist, Kinder für Musik zu begeistern, wenn man selber davon begeistert ist. „Wenn man dafür brennt, ist es sehr einfach, die Kinder dafür zu begeistern. Gerade in der Grundschule sind die noch sehr begeisterungsfähig. Wenn es dann einen Übergang gäbe, wo die Lehrkraft die Kinder, die Bock haben und auch dafür brennen, weitervermittelt an Lehrende, die das Instrument den Kindern beibringen könnte oder wo die Kinder noch tiefer einsteigen können oder wenn es dann wirklich Angebote gäbe, die an der Schule angegliedert sind, vielleicht im Nachmittagsprogramm, wo man die Kinder direkt weiterleiten kann, das wäre ein guter Anknüpfungspunkt“. Auch unsere Erfahrungen bei den Nachwuchsworkshops decken sich mit ihrer Einschätzung: es braucht niedrigschwellige Angebote in den Schulen, wo die Kinder schon sind, damit die Hürden, sich für einen Bandworkshop anzumelden, nicht so hoch sind und um auch die Kinder mitzunehmen, die sich keinen Musikunterricht leisten können.

Fem Night Foto: Tsvetelina Topalova

Fem Night Foto: Tsvetelina Topalova

Publikumsrunde: Was ist euch wichtig?

Bei der Publikumsrunde meldete sich die Musikerin und Schauspielerin Katharina Wittenbrink aus Offenbach zum Thema Nachwuchsförderung zu Wort. Sie erzählte vom Förderprojekt „Me2You“ des Frankfurter Kulturamts, bei denen Künstler*innen verschiedener Genres (gut bezahlt) mehrere Monate lang mit Jugendlichen im Alter von 13-16 Jahren arbeiten. Katharina macht mit ihnen Musik, schreibt mit ihnen Songs und bringt ihnen die Instrumente bei, die sie lernen wollen. „Da merke ich auch, dass es noch ein riesengroßer Unterschied ist zwischen Jungen und Mädchen, was sie sich selbst zutrauen, was für ein Instrument sie lernen wollen. Und zum anderen hab ich das Gefühl, da bräuchte es eine stärkere Förderung für junge Mädchen (…) Je gemischter Bandprojekte sind, desto mehr wird es geschlechtlich stereotypisch besetzt. Je mehr Mädchen unter sich sind… ich hab durch Zufall eine komplette Mädchengruppe (…) die haben auf alles Bock“. So ein Programm müsse man speziell für junge Mädchen auflegen.

 

Weitere gute Ideen fanden sich auf unserer Leinwand wie z.B. die Forderung nach mehr Druck auf paritätische Besetzung bei Veranstalter*innen oder Radiosender mit Zeitfenstern, in denen ausschließlich FLINTA* Musik läuft, dazu mehr Workshops, Events & Stammtisch für den Austausch unter Musikerinnen*.

 

Nach dem Talk betrat die Songwriterin und Musikproduzentin Annelie Schwarz aka AUFMISCHEN die Bühne, die seit letztem Jahr ebenfalls Teil des Female* Producer Collectives ist. Sie präsentierte ihren deutschsprachigen Elektro-Art-Pop mit Rap- und Techno- Einflüssen mit viel AUFMISCHEN-Energie und nahm das Publikum charmant-ehrlich mit zu den Hintergründen ihrer Songs.

 

Foto: V. Höfele

Foto: V. Höfle

Danach kam das Krach-Pop-Duo ELL, das laut Rockband-Duden zwar personell unterbesetzt ist, sich auf der Bühne aber multipliziert und nach ganzer Band klingt. In ihren deutschsprachigen Songs geht es viel um Empowerment, safer spaces und das Spielen mit Stereotypen, vor allem aber macht ihre Musik Spaß (und eine neue Fönfrisur)!

 

Auf der Elfer-Terrasse gab es danach bei sommerlichen Temperaturen noch Zeit zum netzwerken und neue Kontakte knüpfen. Wer nicht dabei sein konnte:

Infos & Kontakt MusicHEwomen* 

Fotos: Donna Diederichs

Wir bedanken uns bei: Frauenreferat Frankfurt, Kulturamt Frankfurt, MusicHeWomen*Germany, Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien der Bundesrepublik Deutschland, Initiative Musik.