„Turnus“ (2015) hieß das erste Album der 1984 geborenen Kölner Jazzbassistin und Komponistin und ihres gleichnamigen Quartetts, 2017 folgte „Pivot“. Die Presse war begeistert, die Zeitschrift Jazzthing lobte Entzians Kompositionen, weil sie „die Balance zwischen improvisierender Offenheit und rahmender Struktur wahren“, das österreichische Musikmagazin Concerto entdeckte „nuancierte Eleganz“ und „pointierte, songhaft prägnant verdichtete musikalische Intelligenz“. Parallel zu ihrer Arbeit mit dem Quartett begann Entzian, Kontakte zu bekannten Großformationen zu vertiefen und für Bigbands zu komponieren (WDR-Bigband, Metropole Orkest). 2018 wurde sie mit dem WDR Jazzpreis in der Sparte Komposition ausgezeichnet und stellte, mit Blick auf die nächste geplante CD-Produktion, ihr eigenes Traum-Ensemble Hendrika Entzian+ zusammen.

 

Den Kern der 17köpfigen Bigband bilden ihre Quartett-Partner Matthew Halpin (sax), Simon Seidl (p) und Fabian Arends (dr). Hinzu kommen Sandra Hempel, mit der sie bereits die erste CD aufnahm, Shannon Barnett, Heidi Bayer, Theresia Philipp und weitere Musiker. Im Dezember 2018 versammelte sich die Bigband schließlich im Kölner Loft-Studio, um die Musik für das Album „Marble“ (Marmor) aufzunehmen. Was sie an der Großformation reizt, erzählt sie uns im folgenden Interview.

Frühere CD-Produktionen hast Du mit Deinem Quartett aufgenommen, „Marble“ ist jetzt das erste Album von Hendrika Entzian+ – einer Großformation von 17 Musiker*innen. Gleich mal vorneweg: wie ist die Idee dazu entstanden?

Ich schreibe schon seit langem für große Besetzungen und auch Bigband und so hat sich über die Jahre Material angesammelt, was ich unbedingt mit einer eigens dafür zusammengestellten Band aufnehmen wollte. Einfach um diese Musik festzuhalten und auch musikalisch Platz für Neues zu schaffen.

Wie hast Du 2018 die Musiker*innen für das Projekt gewonnen, waren das alles Bandkolleg*innen aus anderen Projekten?

Mit allen Bandmitgliedern verbindet mich eine musikalische Vergangenheit, sei es, dass man sich in anderen Projekten begegnet ist oder auch einfach mal zusammen gejammt hat. Es fühlt sich sehr gut an, mit diesen Musiker*innen auf der Bühne zu stehen und ich freue mich sehr darauf, endlich wieder mit der Band spielen zu können.

Foto: Josef Leitner

Das Quartett ist ja quasi wie ein 4er, eine kleines und wendiges Ruderboot, die Bigband eher behäbig wie ein großes Schiff. Was reizt Dich an der Bigband im Gegensatz zum kleinen Ensemble?

Mich fasziniert das Schreiben, was natürlich in einem großen Ensemble einen viel größeren Anteil hat als in einem Quartett. Mit einer Bigband kann man eine riesige Bandbreite an Klangfarben erzeugen und muss immer die Gesamtdramaturgie im Blick behalten. Das Schreiben ist ein sehr langwieriger Prozess, gleichzeitig aber auch sehr befriedigend, wenn die Musik live gespielt wird.

Einige Stücke auf dem Album sind Werke aus Deinem Quartett-Repertoire. Wie bist Du da rangegangen: hast Du die Stücke ganz neu auskomponiert oder viel der Phantasie Deiner Bandkolleg*innen überlassen? Ich stelle mir das schwierig vor, Improvisation in so einer großen Band Raum zu geben?

Man kann es sich vielleicht so vorstellen, dass die Stücke im Kern sie selbst geblieben sind, aber für die große Besetzung noch einmal komplett auseinandergenommen und wieder neu zusammengesetzt worden sind. Manche Aspekte aus der Kernkomposition habe ich ausgeweitet, anderes ist verschwunden und es gibt auch ganz neue Wendungen. Für die Improvisatoren habe ich Räume geschaffen und versucht, Komposition und Improvisation organisch ineinander übergehen zu lassen.

Du stehst ja bei Hendrika Entzian+ nicht mehr am Kontrabass, sondern als Dirigentin/Bandleaderin vor dem Ensemble. Wie fühlt sich das an?

Für mich war das der richtige Schritt, da ich vor der Band anders zuhöre, als wenn ich selber Bass spiele. Auch die Probenleitung und wie man vor der Band agiert, beeinflusst ja in großem Maße den Gesamtsound, weswegen ich das gerne selber machen wollte. Mit Matthias Akeo Nowak habe ich ja einen fantastischen Bassisten in der Band, und ich könnte mir die Musik gar nicht anders vorstellen.

Der VÖ-Termin des Albums war ja für Ende April angesetzt und ihr wolltet das Album auf einer Tour im Mai vorstellen – dann kam die Corona-Pandemie. Was hat das für Euch bedeutet?

Von unseren geplanten 5 Release-Konzerten hat tatsächlich kein einziges stattfinden können, was sehr traurig war, da natürlich eine Menge Herzblut und Arbeit in diesem Projekt steckt. Ich habe mich zusätzlich auch verantwortlich für die Gagenausfälle meiner Mitmusiker gefühlt, was mir natürlich sehr leid tut. Ich hoffe sehr, dass wir die Konzerte nächstes Jahr nachholen können (so ist es jedenfalls geplant), es hängt aber neben der Pandemie-Lage auch von öffentlichen Förderungen ab, die wir für dieses Jahr zugesagt bekommen hatten, und es ist noch nicht sicher, ob man sie ins nächste Jahr rüber retten kann.

Unsere CD „Marble“ ist aber trotzdem wie geplant am 25.4 erschienen und es fühlt sich trotzdem gut und richtig an, den Release trotz allem nicht verschoben zu haben!

 

Wie bist Du/seid Ihr mit den Widrigkeiten umgegangen? Und was bedeuten die Corona-Abstandsregelungen für Eure Band? Könnt Ihr überhaupt als Großformation proben?

Proben mit großen Bands war bisher nicht möglich, wir haben während der gesamten Zeit nicht zusammengespielt. Leider kann man auch noch nicht so wirklich absehen, wann es weiter gehen kann.

Birgt diese Krise auch Chancen?

Ich denke ja. Die Kunst ist es wahrscheinlich, die Chancen zu sehen, die Zeit zu nutzen und es zu schaffen, bei allem positiv zu bleiben.

Wie geht es bei Dir weiter?

Ich schreibe schon an neuer Musik, die man hoffentlich dann spätestens nächstes Jahr hören kann. Zusätzlich arbeite ich an einer Interview-Serie für das Magazin Jazzfacts (Deutschlandfunk), wo man ab jetzt jeden Monat einen kleinen Beitrag von mir hören kann.

CD „Marble“ (VÖ: 24.04.2020), erhältlich beim Label Traumton oder auf Bandcamp

Lineup: Julian Bossert: alto saxophone, flute (lead) | Theresia Philipp: alto saxophone, clarinet | Matthew Halpin: tenor & soprano saxophone | Sebastian Gille: tenor saxophone, clarinet | Heiko Bidmon: baritone saxophone, bass clarinet | Andy Haderer: trumpet, flugelhorn (lead, except for Marble pt. 2 & Stapel) | Felix Meyer: trumpet, flugelhorn (lead on Marble pt. 2) | Bastian Stein: trumpet, flugelhorn | Heidi Bayer: trumpet, flugelhorn | Klaus Heidenreich: trombone (lead) | Shannon Barnett: trombone | Janning Trumann: trombone | Jan Schreiner: bass trombone | Simon Seidl: piano, fender rhodes | Sandra Hempel: guitar | Matthias Akeo Nowak: bass | Fabian Arends: drums as guest | Lorenzo Ludemann: lead trumpet on Stapel

Titelbild: Stefanie Marcus