Mariella ist seit über 10 Jahren freiberufliche Musikerin, Songwriterin und Mutter von zwei Kindern. Vor der Pandemie und der Geburt ihres ersten Kindes war sie als Live-Musikerin, Violinpädagogin, Studiomusikerin und Arrangeurin tätig, seit 2020 hat sie ihr Berufsfeld stark eingegrenzt und den größten Teil der Care-Arbeit übernommen. In ihrer wenigen freien Zeit legt sie den Fokus auf ihr Soloprojekt ELLA FALL. Abends wenn die Kinder schlafen, wird sie aktiv, schreibt und produziert ihre Songs oder übt schlichtweg Violine. Außerdem ist sie weiterhin im Hintergrund der Klangkantine Studios in Darmstadt tätig, die sie mit ihrem Mann zusammen führt.
Aktuell ist Mariella noch in Elternzeit, plant aber bereits ihren Wiedereinstieg auf die Live-Bühne – eine Herausforderung, nicht zuletzt wegen fehlender Betreuung im nahen Umfeld. Ihr Antrieb: die Sichtbarkeit von Musikerinnen und Müttern, der Austausch mit anderen Music Moms und der Wunsch, nicht länger allein zwischen Kunst und Care-Arbeit zu stehen.
Du bist Mutter zweier Kinder und weiter als Musikerin tätig. Warst Du mit Deinen Kindern bereits on tour? Wie ist es Euch ergangen?
Ich bin mittlerweile Mama von zwei Kindern. Bei meinem ersten Kind kamen mehrere Faktoren zusammen, warum mein Wiedereinstieg holpriger war als geplant war. Zum einen die Pandemie, zum anderen eine Geburt, an der ich sehr lange zu knabbern hatte und die Betreuungssituation. Aber mir war es auf jeden Fall wichtig, das erste Jahr für mein Kind da zu sein. Sobald es dann Abend war und das Kind geschlafen hat, habe ich mich in mein Musikzimmer zurückgezogen und Songs geschrieben, gesungen und Geige geübt. Immerhin konnte ich regional den einen oder anderen Gig nach eineinhalb Jahren spielen, wenn es die Betreuungssituation zuließ. Gigs, an denen ich mehrere Tage am Stück unterwegs gewesen wäre, hatte ich vorerst für mich ausgeschlossen.
Haben sich Veranstaltende bereits darauf eingestellt, dass manche Musiker*innen mit Kindern anreisen?
Bei den „Brotjobgigs“ bin ich des Öfteren auf sehr traditionelle Strukturen gestoßen. Zum Beispiel habe ich, bevor ich Mutter wurde, mehrmals für die TU Darmstadt bei Preisverleihungen das Programm mit Musik untermalt. Bei meinem letzten Auftrag wollte ich mein Baby mit Begleitperson mitbringen, denn wir waren noch nie getrennt und ich wollte es nicht plötzlich fünf Stunden bei jemanden „parken“. Ich hatte mir schon einen guten Plan ausgedacht, wie es hätte klappen können, als mir gesagt wurde, dass ich mich entscheiden müsse: Ich könnte den Gig spielen, wenn ich alleine komme, ansonsten müssten sie mir absagen. Ich habe mich für mein Kind entschieden und den Gig abgesagt. Bei den kleineren Clubgigs oder Festivals mit meinem Künstlerprojekt ELLA FALL war es kein Problem, dass das Kind Backstage mitkonnte. Und dadurch, dass ich ohnehin erstmal nur regional auftrat und nach dem Gig wieder heimfahren konnte, erübrigten sich Mehrkosten wie Übernachtungen für mehrere Personen durch den Veranstalter.
Würdest Du es wieder machen oder lieber eine längere Auszeit in Kauf nehmen?
Dass ich mir bewusst die Zeit gegeben habe, als Mutter anzukommen, meinen Platz zu finden und mein Kind in Ruhe kennenzulernen, war sehr wichtig für meine mentale Gesundheit. Da ich die erste Geburt schlecht weggesteckt habe, brauchte ich schlichtweg die Zeit zur Regeneration – die physischen als auch die mentalen Narben mussten erstmal heilen. Ich betrachte es als Luxus, dass ich mir das rausgenommen habe. Bei meinem zweiten Kind habe ich mir auch ein Jahr Elternzeit genommen, nur dass mein erstes Konzert schon früher sein wird, worauf ich mich sehr freue.
In der Regel arbeiten Schwangere in den letzten Wochen vor der Geburt nicht mehr und gehen in den Mutterschutz. Viele Musikerinnen* können sich das gar nicht leisten oder fühlen sich so fit, dass sie weiter auf der Bühne stehen. Wie war das bei Dir?
Bei meinem ersten Kind waren noch Gigs bis weit in den Mutterschutz geplant, aber durch Corona war ich Monate vorher schon alle meine Jobs und Gigs los. Ich habe dann von meinen Rücklagen gelebt, bis ich offiziell in den Mutterschutz ging. Beim zweiten Kind waren aus gesundheitlichen Gründen keine Konzerte kurz vorher mehr geplant. Da mein Mann und ich ein Tonstudio führen, war dort noch genug bis vor der Geburt zu erledigen, sodass ich bei beiden Kindern bis zwei Wochen vor ET gearbeitet habe.
Konntest Du Deine Projekte so planen, dass Du beruhigt eine Auszeit nehmen konntest? Und wie hast Du das finanziell hinbekommen, Du bekommst ja wahrscheinlich kein Gehalt?
Bei meinem ersten Kind ist mir das nicht gut gelungen und so wollte ich es beim zweiten besser machen. Zum Beispiel habe ich bei meinem Soloprojekt „Ella Fall“ viel vorgearbeitet und meine Parts für die Aufnahmen abgeschlossen, sodass ich während der Elternzeit Musik zum Veröffentlichen habe. Aber wie schon beschrieben, ist es ein laufender Prozess und abends ist meine Zeit zum Produzieren und Musizieren.
Während der Elternzeit haben wir Elterngeld erhalten. Danach haben mein Mann und ich uns hingesetzt und abgewogen, wie es für uns finanziell leichter ist. Wegen Corona war ich sowieso erstmal arbeitslos; als die Regelungen sich lockerten, kamen auch wieder Anfragen rein, aber erstmal bei weitem nicht mehr so viele wie vor Corona. Ich hätte uns damit nicht ernähren können. Da wir mit dem Unternehmen neben Musik noch weitere Dienstleistungen abdecken (während der Pandemie waren Hörbücher, Hörspiele und Podcasts sehr gefragt), konnten wir als kleine Familie gut davon leben. Ich hatte on top noch die Gigs, die mit unserem Betreuungsmodell zu vereinbaren waren und auf die ich Lust hatte.
Ist der Beruf als selbstständige Musikerin manchmal auch ein Vorteil, wenn frau eine Familie gründen will?
Im Grunde vielleicht schon, weil man viel Gestaltungsfreiheit hat. Setzt voraus, dass die Schwangerschaften und Geburten auch reibungslos ablaufen. Bei mir war nichts planbar, ich habe die Kinder genommen, die ich wortwörtlich „kriegen“ konnte. Ich hatte viele Schwangerschaften, die frühzeitig zu Ende gingen. Das war sowohl eine psychische als auch eine körperliche Belastung. Das ist aber eher die Ausnahme, von daher denke ich, dass man generell als Selbstständige durchaus Vorteile in der Planung hat.
Stichwort Kinderbetreuung: viele Kitas haben zu, wenn Musikerinnen* arbeiten, nämlich abends und am Wochenende. Wie hast Du das geregelt?
Aktuell bin ich noch in Elternzeit, was bedeutet, dass ich nur arbeiten kann, wenn die Kinder schlafen. Wenn ich Violine übe, Songs oder Arrangements schreibe usw., dann mache ich das abends/nachts im Musikzimmer – das Babyphone neben mir. Bei Gigs am Wochenende oder Abend war entweder mein Mann mit Kind dabei oder sie blieben zu Hause. Da mein Mann aber selbst viel arbeitet und spät abends heimkommt, sprang die Oma auch mal ein, was eine große Hilfe ist. Und wenn es nicht anders ging und ich niemanden zur Betreuung gefunden habe, habe ich Gigs auch abgesagt. Auch gebe ich nachmittags keinen Violinunterricht mehr, da ich dann mit den Kindern bin. Aufnahmen als Studiomusikerin versuche ich vormittags unterzukriegen, wenn das große Kind im Kindergarten ist. Das Kleine kommt mit einer zweiten Person mit ins Studio. Das muss dann auch gut geplant werden.
Wo sind die kritischen Knackpunkte, wo es schwierig wird? Was braucht es, um den Spagat gut hinzukriegen? Was müsste sich verändern?
Kritisch wird es, wenn jemand krank wird. Egal ob‘s die Kinder, mein Mann oder die Oma ist. Da gibt’s dann keinen Plan B. Neuerdings habe ich noch eine weitere Person gefunden, die gelegentlich zum Babysitten kommt. Das entspannt mich zu wissen, dass ggf. noch jemanden fragen kann, der einspringt, wenn‘s eng wird. Das muss ich dann aber finanziell gut abwägen. Die Versorgung für unser großes Kind an einer öffentlichen Betreuungseinrichtung ist zwar gegeben, aber wegen Personalmangels in der Kita nicht so lange und flexibel wie eigentlich angedacht und vereinbart. Zudem fühlt sich unser Kind dort nicht immer wohl aufgrund der Überlastung– was mich dazu veranlasst, ihn ab und zu früher abzuholen oder zuhause zu lassen. Generell sollte der Beruf der Erzieher*innen mehr gewürdigt werden, sodass auch der Anreiz besteht, den Beruf auszuüben. Ich sehe, was die Erzieher*innen leisten müssen. Das steht in keinem Verhältnis zu der Bezahlung.
„Es ist schön zu sehen, dass der Trend zu Konzerten am Nachmittag oder familienfreundliche Festivals zunimmt. Das dürfte für die Backstage Moms gerne mehr werden“.
Was musstest Du an Deiner Lebens- und Arbeitsweise ändern, um alles unter einen Hut zu bekommen?
Ich musste mich erstmal sehr daran gewöhnen, dass sich mein Leben komplett ändert. Früher habe ich am Tag 10-12 Stunden gearbeitet. Jetzt ist nur noch der Abend zum Arbeiten da. Zum einen musste ich Prioritäten setzen. Alles konnte ich nicht mehr machen und habe z.B. aufgehört zu unterrichten. Auch habe ich Jobs nicht mehr angenommen, die weniger gut vergütet waren. Das hat auch was damit zu tun, dass man sich bewusst wird, dass man nur begrenzt Energie hat. Und die Energie, die man besitzt, sollte man auch nur effizient verwenden. Als Selbstständige muss man sich ohnehin strukturieren und mit Kindern nochmal mehr. Vieles plane ich nun weiter im Voraus, oder plane auch mehr Zeit ein. Ich habe mich mehr oder weniger daran gewöhnt, dass ich vorübergehend nicht mehr so spontan sein kann.
Wie sind Deine Pläne für die nahe Zukunft?
Auf lange Sicht möchte ich gerne wieder live spielen und arbeite darauf hin. Allerdings nicht mehr in dem Ausmaß, wie ich es in der Zeit vor meinen Kindern gemacht habe, sondern so, dass es mir und meinen Kindern gut damit geht. Bis dahin lege ich mein Augenmerk auf die offenen Produktionen und Kollaborationen, die ich dieses Jahr noch abschließen und zeitnah veröffentlichen möchte. Zudem habe ich begonnen, mir mit einem Kollegen ein kleines Akustikset meiner Songs zusammenzustellen und zu proben. Das ist ziemlich viel, wie ich finde, nach einem 12-Stunden Tag voller Care-Arbeit. Am 25.7. erfolgt der Release von „Bloom“, eine Kollaboration mit meinem Kollegen fÄst, worauf ich mich sehr freue.
Gibt es Tipps & Tricks, die Du weitergeben möchtest?
Ich hatte am Anfang meiner Mutterschaft sehr Bedenken, dass ich nun als Künstlerin nicht mehr „da“ bin (eine Art Identitätskrise) und nicht mehr so wahrgenommen werde, dass ich „draußen“ bin. Und ja, das bin ich auch, und ich habe lange gebraucht um mir einzugestehen, dass dies auch etwas Schönes ist: Schließlich habe ich zwei gesunde absolute Wunschkinder nach vielen Höhen und Tiefen und bin sehr glücklich darüber – und in dem ganzen Diskurs über Vereinbarkeit von Frauen mit Mutterschaft und Berufstätigkeit geht oft unter, dass eine Mutter zu sein (neben der krassen Arbeitslast) auch eine zauberhafte Zeit sein kann.
„Elternschaft und Care-Arbeit sind absolut wichtig, ich finde ihr gehört mehr gesellschaftlich Wertschätzung entgegengebracht und auch unsere volle Aufmerksamkeit, da wir im wahrsten Sinne die Zukunft gestalten“.
Wir als Familie und insbesondere ich habe mich bewusst dazu entschlossen, dieser Aufgabe mit Zeit und voller Aufmerksamkeit nachgehen zu wollen. Da unser Unternehmen uns gut ernähren konnte und man als freiberufliche Künstlerin finanziell deutlich unsicherer aufgestellt ist (und oft schlecht verdient) ist hauptsächlich der Grund, warum ich mich entschlossen habe, den Großteil der Care-Arbeit zu leisten. Alles andere hätte dazu geführt, dass wir beide weniger Zeit als Familie verbringen können.
Was ich damit sagen möchte: Ich habe mir anfangs selbst viel Stress gemacht, dass ich alles gleichzeitig machen muss: Die Mutter zu sein, die ich sein möchte und gleichzeitig meinen Weg als eigenständige Künstlerin zu gehen. Natürlich war da auch ein Teil (und ist manchmal immer noch) in mir traurig und voller Sehnsucht. Mittlerweile kann ich aber sagen: Es ist ein Luxus, zeitweise „Backstage-Musikerin“ zu sein und nicht selbst im Rampenlicht stehen zu müssen, sondern die Zeit mit meinen Kindern verbringen zu dürfen. Ich bin dankbar, dass es im Hintergrund mit ELLA FALL weiter geht, ich den Luxus habe, ein professionelles Tonstudio zu haben, um meine Lieder aufnehmen zu können. Ich bin nämlich sehr gerne Studiomusikerin und treffe mich dort regelmäßig mit meinen Musikerkollegen. Das gibt mir das nötige Durchhaltevermögen. Es klingt abgedroschen, aber es ist wahr: Diese Zeit, wenn die Kinder so klein sind, kommt nicht wieder, sie ist schnell vorbei. Doch wieder mehr Zeit auf Bühnen verbringen zu dürfen, kommt sicherlich wieder – und man ist nicht „gescheitert“, wenn man ein paar Jahre andere Prioritäten gesetzt hat! Und irgendwann werde ich all die gesammelten Werken aus dieser Zeit live spielen.
Vielen Dank, liebe Mariella, für das Gespräch!
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Fotos: Hey Frau Anika