Mariella ist seit über 10 Jahren freiberufliche Musikerin, Songwriterin und Mutter von zwei Kindern. Vor der Pandemie und der Geburt ihres ersten Kindes war sie als Live-Musikerin, Violinpädagogin, Studiomusikerin und Arrangeurin tätig, seit 2020 hat sie ihr Berufsfeld stark eingegrenzt und den größten Teil der Care-Arbeit übernommen. In ihrer wenigen freien Zeit legt sie den Fokus auf ihr Soloprojekt ELLA FALL. Abends wenn die Kinder schlafen, wird sie aktiv, schreibt und produziert ihre Songs oder übt schlichtweg Violine. Außerdem ist sie weiterhin im Hintergrund der Klangkantine Studios in Darmstadt tätig, die sie mit ihrem Mann zusammen führt.

Aktuell ist Mariella noch in Elternzeit, plant aber bereits ihren Wiedereinstieg auf die Live-Bühne – eine Herausforderung, nicht zuletzt wegen fehlender Betreuung im nahen Umfeld. Ihr Antrieb: die Sichtbarkeit von Musikerinnen und Müttern, der Austausch mit anderen Music Moms und der Wunsch, nicht länger allein zwischen Kunst und Care-Arbeit zu stehen.

 

Du bist Mutter zweier Kinder und weiter als Musikerin tätig. Warst Du mit Deinen Kindern bereits on tour? Wie ist es Euch ergangen?

Ich bin mittlerweile Mama von zwei Kindern. Bei meinem ersten Kind kamen mehrere Faktoren zusammen, warum mein Wiedereinstieg holpriger war als geplant war. Zum einen die Pandemie, zum anderen eine Geburt, an der ich sehr lange zu knabbern hatte und die Betreuungssituation. Aber mir war es auf jeden Fall wichtig, das erste Jahr für mein Kind da zu sein. Sobald es dann Abend war und das Kind geschlafen hat, habe ich mich in mein Musikzimmer zurückgezogen und Songs geschrieben, gesungen und Geige geübt. Immerhin konnte ich regional den einen oder anderen Gig nach eineinhalb Jahren spielen, wenn es die Betreuungssituation zuließ. Gigs, an denen ich mehrere Tage am Stück unterwegs gewesen wäre, hatte ich vorerst für mich ausgeschlossen.

 

Haben sich Veranstaltende bereits darauf eingestellt, dass manche Musiker*innen mit Kindern anreisen?

Bei den „Brotjobgigs“ bin ich des Öfteren auf sehr traditionelle Strukturen gestoßen. Zum Beispiel habe ich, bevor ich Mutter wurde, mehrmals für die TU Darmstadt bei Preisverleihungen das Programm mit Musik untermalt. Bei meinem letzten Auftrag wollte ich mein Baby mit Begleitperson mitbringen, denn wir waren noch nie getrennt und ich wollte es nicht plötzlich fünf Stunden bei jemanden „parken“. Ich hatte mir schon einen guten Plan ausgedacht, wie es hätte klappen können, als mir gesagt wurde, dass ich mich entscheiden müsse: Ich könnte den Gig spielen, wenn ich alleine komme, ansonsten müssten sie mir absagen. Ich habe mich für mein Kind entschieden und den Gig abgesagt. Bei den kleineren Clubgigs oder Festivals mit meinem Künstlerprojekt ELLA FALL war es kein Problem, dass das Kind Backstage mitkonnte. Und dadurch, dass ich ohnehin erstmal nur regional auftrat und nach dem Gig wieder heimfahren konnte, erübrigten sich Mehrkosten wie Übernachtungen für mehrere Personen durch den Veranstalter.

 

Würdest Du es wieder machen oder lieber eine längere Auszeit in Kauf nehmen?

Dass ich mir bewusst die Zeit gegeben habe, als Mutter anzukommen, meinen Platz zu finden und mein Kind in Ruhe kennenzulernen, war sehr wichtig für meine mentale Gesundheit. Da ich die erste Geburt schlecht weggesteckt habe, brauchte ich schlichtweg die Zeit zur Regeneration – die physischen als auch die mentalen Narben mussten erstmal heilen. Ich betrachte es als Luxus, dass ich mir das rausgenommen habe. Bei meinem zweiten Kind habe ich mir auch ein Jahr Elternzeit genommen, nur dass mein erstes Konzert schon früher sein wird, worauf ich mich sehr freue.

 

In der Regel arbeiten Schwangere in den letzten Wochen vor der Geburt nicht mehr und gehen in den Mutterschutz. Viele Musikerinnen* können sich das gar nicht leisten oder fühlen sich so fit, dass sie weiter auf der Bühne stehen. Wie war das bei Dir?

Bei meinem ersten Kind waren noch Gigs bis weit in den Mutterschutz geplant, aber durch Corona war ich Monate vorher schon alle meine Jobs und Gigs los. Ich habe dann von meinen Rücklagen gelebt, bis ich offiziell in den Mutterschutz ging. Beim zweiten Kind waren aus gesundheitlichen Gründen keine Konzerte kurz vorher mehr geplant. Da mein Mann und ich ein Tonstudio führen, war dort noch genug bis vor der Geburt zu erledigen, sodass ich bei beiden Kindern bis zwei Wochen vor ET gearbeitet habe.

 

Konntest Du Deine Projekte so planen, dass Du beruhigt eine Auszeit nehmen konntest? Und wie hast Du das finanziell hinbekommen, Du bekommst ja wahrscheinlich kein Gehalt?

Bei meinem ersten Kind ist mir das nicht gut gelungen und so wollte ich es beim zweiten besser machen. Zum Beispiel habe ich bei meinem Soloprojekt „Ella Fall“ viel vorgearbeitet und meine Parts für die Aufnahmen abgeschlossen, sodass ich während der Elternzeit Musik zum Veröffentlichen habe. Aber wie schon beschrieben, ist es ein laufender Prozess und abends ist meine Zeit zum Produzieren und Musizieren.

Während der Elternzeit haben wir Elterngeld erhalten. Danach haben mein Mann und ich uns hingesetzt und abgewogen, wie es für uns finanziell leichter ist. Wegen Corona war ich sowieso erstmal arbeitslos; als die Regelungen sich lockerten, kamen auch wieder Anfragen rein, aber erstmal bei weitem nicht mehr so viele wie vor Corona. Ich hätte uns damit nicht ernähren können. Da wir mit dem Unternehmen neben Musik noch weitere Dienstleistungen abdecken (während der Pandemie waren Hörbücher, Hörspiele und Podcasts sehr gefragt), konnten wir als kleine Familie gut davon leben. Ich hatte on top noch die Gigs, die mit unserem Betreuungsmodell zu vereinbaren waren und auf die ich Lust hatte.

 

Ist der Beruf als selbstständige Musikerin manchmal auch ein Vorteil, wenn frau eine Familie gründen will?

Im Grunde vielleicht schon, weil man viel Gestaltungsfreiheit hat. Setzt voraus, dass die Schwangerschaften und Geburten auch reibungslos ablaufen. Bei mir war nichts planbar, ich habe die Kinder genommen, die ich wortwörtlich „kriegen“ konnte. Ich hatte viele Schwangerschaften, die frühzeitig zu Ende gingen. Das war sowohl eine psychische als auch eine körperliche Belastung. Das ist aber eher die Ausnahme, von daher denke ich, dass man generell als Selbstständige durchaus Vorteile in der Planung hat.

 

Stichwort Kinderbetreuung: viele Kitas haben zu, wenn Musikerinnen* arbeiten, nämlich abends und am Wochenende. Wie hast Du das geregelt?

Aktuell bin ich noch in Elternzeit, was bedeutet, dass ich nur arbeiten kann, wenn die Kinder schlafen. Wenn ich Violine übe, Songs oder Arrangements schreibe usw., dann mache ich das abends/nachts im Musikzimmer – das Babyphone neben mir. Bei Gigs am Wochenende oder Abend war entweder mein Mann mit Kind dabei oder sie blieben zu Hause. Da mein Mann aber selbst viel arbeitet und spät abends heimkommt, sprang die Oma auch mal ein, was eine große Hilfe ist. Und wenn es nicht anders ging und ich niemanden zur Betreuung gefunden habe, habe ich Gigs auch abgesagt. Auch gebe ich nachmittags keinen Violinunterricht mehr, da ich dann mit den Kindern bin. Aufnahmen als Studiomusikerin versuche ich vormittags unterzukriegen, wenn das große Kind im Kindergarten ist. Das Kleine kommt mit einer zweiten Person mit ins Studio. Das muss dann auch gut geplant werden.

 

Wo sind die kritischen Knackpunkte, wo es schwierig wird? Was braucht es, um den Spagat gut hinzukriegen? Was müsste sich verändern?

Kritisch wird es, wenn jemand krank wird. Egal ob‘s die Kinder, mein Mann oder die Oma ist. Da gibt’s dann keinen Plan B. Neuerdings habe ich noch eine weitere Person gefunden, die gelegentlich zum Babysitten kommt. Das entspannt mich zu wissen, dass ggf. noch jemanden fragen kann, der einspringt, wenn‘s eng wird. Das muss ich dann aber finanziell gut abwägen. Die Versorgung für unser großes Kind an einer öffentlichen Betreuungseinrichtung ist zwar gegeben, aber wegen Personalmangels in der Kita nicht so lange und flexibel wie eigentlich angedacht und vereinbart. Zudem fühlt sich unser Kind dort nicht immer wohl aufgrund der Überlastung– was mich dazu veranlasst, ihn ab und zu früher abzuholen oder zuhause zu lassen. Generell sollte der Beruf der Erzieher*innen mehr gewürdigt werden, sodass auch der Anreiz besteht, den Beruf auszuüben. Ich sehe, was die Erzieher*innen leisten müssen. Das steht in keinem Verhältnis zu der Bezahlung.

 


„Es ist schön zu sehen, dass der Trend zu Konzerten am Nachmittag oder familienfreundliche Festivals zunimmt. Das dürfte für die Backstage Moms gerne mehr werden“.


 

Was musstest Du an Deiner Lebens- und Arbeitsweise ändern, um alles unter einen Hut zu bekommen?

Ich musste mich erstmal sehr daran gewöhnen, dass sich mein Leben komplett ändert. Früher habe ich am Tag 10-12 Stunden gearbeitet. Jetzt ist nur noch der Abend zum Arbeiten da. Zum einen musste ich Prioritäten setzen. Alles konnte ich nicht mehr machen und habe z.B. aufgehört zu unterrichten. Auch habe ich Jobs nicht mehr angenommen, die weniger gut vergütet waren. Das hat auch was damit zu tun, dass man sich bewusst wird, dass man nur begrenzt Energie hat. Und die Energie, die man besitzt, sollte man auch nur effizient verwenden. Als Selbstständige muss man sich ohnehin strukturieren und mit Kindern nochmal mehr. Vieles plane ich nun weiter im Voraus, oder plane auch mehr Zeit ein. Ich habe mich mehr oder weniger daran gewöhnt, dass ich vorübergehend nicht mehr so spontan sein kann.

 

Wie sind Deine Pläne für die nahe Zukunft?

Auf lange Sicht möchte ich gerne wieder live spielen und arbeite darauf hin. Allerdings nicht mehr in dem Ausmaß, wie ich es in der Zeit vor meinen Kindern gemacht habe, sondern so, dass es mir und meinen Kindern gut damit geht. Bis dahin lege ich mein Augenmerk auf die offenen Produktionen und Kollaborationen, die ich dieses Jahr noch abschließen und zeitnah veröffentlichen möchte. Zudem habe ich begonnen, mir mit einem Kollegen ein kleines Akustikset meiner Songs zusammenzustellen und zu proben. Das ist ziemlich viel, wie ich finde, nach einem 12-Stunden Tag voller Care-Arbeit. Am 25.7. erfolgt der Release von „Bloom“, eine Kollaboration mit meinem Kollegen fÄst, worauf ich mich sehr freue.

 

Gibt es Tipps & Tricks, die Du weitergeben möchtest?

Ich hatte am Anfang meiner Mutterschaft sehr Bedenken, dass ich nun als Künstlerin nicht mehr „da“ bin (eine Art Identitätskrise) und nicht mehr so wahrgenommen werde, dass ich „draußen“ bin. Und ja, das bin ich auch, und ich habe lange gebraucht um mir einzugestehen, dass dies auch etwas Schönes ist: Schließlich habe ich zwei gesunde absolute Wunschkinder nach vielen Höhen und Tiefen und bin sehr glücklich darüber – und in dem ganzen Diskurs über Vereinbarkeit von Frauen mit Mutterschaft und Berufstätigkeit geht oft unter, dass eine Mutter zu sein (neben der krassen Arbeitslast) auch eine zauberhafte Zeit sein kann.

 


„Elternschaft und Care-Arbeit sind absolut wichtig, ich finde ihr gehört mehr gesellschaftlich Wertschätzung entgegengebracht und auch unsere volle Aufmerksamkeit, da wir im wahrsten Sinne die Zukunft gestalten“.


 

Wir als Familie und insbesondere ich habe mich bewusst dazu entschlossen, dieser Aufgabe mit Zeit und voller Aufmerksamkeit nachgehen zu wollen. Da unser Unternehmen uns gut ernähren konnte und man als freiberufliche Künstlerin finanziell deutlich unsicherer aufgestellt ist (und oft schlecht verdient) ist hauptsächlich der Grund, warum ich mich entschlossen habe, den Großteil der Care-Arbeit zu leisten. Alles andere hätte dazu geführt, dass wir beide weniger Zeit als Familie verbringen können.

Was ich damit sagen möchte: Ich habe mir anfangs selbst viel Stress gemacht, dass ich alles gleichzeitig machen muss: Die Mutter zu sein, die ich sein möchte und gleichzeitig meinen Weg als eigenständige Künstlerin zu gehen. Natürlich war da auch ein Teil (und ist manchmal immer noch) in mir traurig und voller Sehnsucht. Mittlerweile kann ich aber sagen: Es ist ein Luxus, zeitweise „Backstage-Musikerin“ zu sein und nicht selbst im Rampenlicht stehen zu müssen, sondern die Zeit mit meinen Kindern verbringen zu dürfen. Ich bin dankbar, dass es im Hintergrund mit ELLA FALL weiter geht, ich den Luxus habe, ein professionelles Tonstudio zu haben, um meine Lieder aufnehmen zu können. Ich bin nämlich sehr gerne Studiomusikerin und treffe mich dort regelmäßig mit meinen Musikerkollegen. Das gibt mir das nötige Durchhaltevermögen. Es klingt abgedroschen, aber es ist wahr: Diese Zeit, wenn die Kinder so klein sind, kommt nicht wieder, sie ist schnell vorbei. Doch wieder mehr Zeit auf Bühnen verbringen zu dürfen, kommt sicherlich wieder – und man ist nicht „gescheitert“, wenn man ein paar Jahre andere Prioritäten gesetzt hat! Und irgendwann werde ich all die gesammelten Werken aus dieser Zeit live spielen.

 

Vielen Dank, liebe Mariella, für das Gespräch!

 

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Fotos: Hey Frau Anika

Nicole Johänntgen hat Saxophon, Komposition und Arrangement in Mannheim an der staatlichen Hochschule für Musik und darstellenden Kunst studiert. Seit 2005 lebt sie mit ihrer Familie in der Schweiz. Nicole tourt weltweit und hat bereits mit Stars wie Daniel Powter (Bad day), Roger Cicero, Eric Harland, Aaron Parks, Nils Landgren, Cæcilie Norby und Piet Klocke gespielt. Derzeit ist sie vor allem mit ihren neuen Programmen „Labyrinth II“ und „Robin“ unterwegs. Für ihr künstlerisches Schaffen erhielt sie zahlreiche internationale und nationale Auszeichnungen. Sie hat 29 Alben veröffentlicht und ihr eigenes Label Selmabird Records gegründet, ist aber auch eine begeisterte Mentorin: alle zwei Jahre organisiert sie den Musikbusiness-Workshop SOFIA Support Of Female Improvising Artists in Zürich. Bei diesem Workshop geht es darum, Selbstmanagement und Networking unter Musikerinnen zu lernen. Ihr Ziel ist es, mehr Jazzmusikerinnen auf die Bühne zu bringen. Desweiteren leitet sie den „Kids Jazz Club“, der Kindern einen leichten Zugang zur Musik verschafft. Nicole ist Saxophon-Influencerin in den sozialen Medien und gibt tolle Tipps zu Saxophon-Spieltechniken, Improvisation und Equipment. 

Du bist inzwischen auch Mutter eines Kindes und weiter als Musikerin tätig. Warst Du mit Deinem Kind bereits on tour?
Ich bin Mama eines Kindergartenkindes und war noch nicht auf Tour mit meinem Nachwuchs. Meine Familie unterstützt mich sehr.

Wie ist es Euch ergangen?
Ich war mit zwei jungen Müttern und Kindern auf Tour im Alter zwischen 3 und 9 Monaten. Die Väter waren jeweils dabei. Sie sind selbst auch Musiker. Mit Kleinkindern auf Tournee zu sein ist absolut möglich. Wir konnten in dieser Zeit sehr viele Erfahrungen sammeln. Wir hatten große wie auch kleine Bühnen mit und ohne Backstage. Das war in mancher Hinsicht immer mal wieder herausfordernd bezüglich der Ruhe und Privatsphäre. Man braucht als stillende Mutter einen gemütlichen schallgedämmten Raum, der in der Nähe der Bühne ist. Es braucht Privatsphäre. Frisches und gutes Essen.

Haben sich Veranstaltende bereits darauf eingestellt, dass manche Musiker*innen mit Kindern anreisen?
Ja, es gibt Veranstaltende, die Babysitter anbieten.

Würdest Du es wieder machen oder lieber eine längere Auszeit in Kauf nehmen?
Ich würde es wieder machen. Meine Maximaltourzeit ist derzeit 3-4 Tage, mit Ausnahmen auch mehr.

In der Regel arbeiten Schwangere in den letzten Wochen vor der Geburt nicht mehr und gehen in den Mutterschutz. Viele Musikerinnen* können sich das gar nicht leisten oder fühlen sich so fit, dass sie weiter auf der Bühne stehen. Wie war das bei Dir?
Ich habe nach dem 6. Monat nur noch lokal Aufträge angenommen und ab der 15. Woche nach der Geburt wieder Konzerte gespielt.

Konntest Du Deine Projekte so planen, dass Du beruhigt eine Auszeit nehmen konntest?
In der Schweiz gibt es 14 Wochen „Mutterschaftsurlaub“ [einen Ländervergleich findet ihr am Ende des Artikels, Anm. der Red.]. Ich liebe Musik und mein Kind und drum wollte und will ich beides unter einen Hut bringen.

Und wie hast Du das finanziell hinbekommen, Du bekommst ja wahrscheinlich kein Gehalt?
Ich hatte dazumal 2 kleine Pensen an Musikschulen und habe dadurch Geld erhalten.

Ist der Beruf als selbstständige Musikerin manchmal auch ein Vorteil, wenn frau eine Familie gründen will?
Für mich hilft Musik, insbesondere die Improvisation, im Alltag flexibel zu bleiben. Ich verbringe viel Zeit mit meinem Kind, aber auch mit meiner Musik. Ich mag es sehr!

Stichwort Kinderbetreuung: viele Kitas haben zu, wenn Musikerinnen* arbeiten, nämlich abends und am Wochenende. Wie hast Du das geregelt?
Meine Familie und Freunde helfen mir sehr. Darüber bin ich sehr dankbar!

Wo sind die kritischen Knackpunkte, wo es schwierig wird?
Schwierig wird es, wenn plötzlich alle krank sind und man niemanden findet zum Hüten. Die Situation hatten wir noch nicht.

Was braucht es, um den Spagat gut hinzukriegen?
Man braucht auf jeden Fall Vertrauen, Geduld mit sich und den anderen und Gelassenheit, dass alles gut kommt.

Was müsste sich verändern?
Ich fände es schön, dass es noch mehr Vorbilder diesbezüglich geben wird. Mama Musikerin auf Tour.

Was musstest Du an Deiner Lebens- und Arbeitsweise ändern, um alles unter einen Hut zu bekommen?
Für mich ist der Schlaf sehr wichtig. Ich muss genug Schlaf bekommen, um ausgeglichen zu sein. Das heißt, ich kann nicht bis in alle Ewigkeit nach den Konzerten wach bleiben. Mir ist auch wichtig genug Ruhephasen zwischen den Konzertblöcken zu haben. Und on top gutes und frisches Essen.

Wie sind Deine Pläne für die nahe Zukunft?
Spielen, spielen, spielen! In jeder Hinsicht.

Gibt es Tipps & Tricks, die Du weitergeben möchtest?
Nicht stressen lassen von anderen. Wir wollen noch ganz lange Musik machen. Standhaft bleiben und immer wieder dran denken: wir machen Musik, weil wir Musik lieben.

Wir danken Dir, liebe Nicole, für das Gespräch!

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Titelbild: Daniel Bernet

Mutterschutz & Elternzeit im Länder-Vergleich

In der Schweiz ist der Mutterschutz durch das Bundesgesetz über den Mutterschaftsurlaub und die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) geregelt. Die im Gesetz festgelegte Dauer des Mutterschaftsurlaub beträgt 14 Wochen, während der die Mutter 80% ihres Einkommens erhält. Der Mutterschaftsurlaub beginnt am Tag der Geburt, es gibt keine flexiblen Tage, die vor der Geburt genommen werden können. Zusätzlich können Arbeitnehmer*innen in der Schweiz unbezahlte Elternzeit in Anspruch nehmen, die Länge variiert jedoch je nach Arbeitgeber*in.

Im Vergleich dazu ist der Mutterschutz und Elternzeit in Deutschland durch das Mutterschutzgesetz (MuSchG) und das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) festgelegt. In Deutschland fängt der Mutterschutz sechs Wochen vor der Geburt an. Mütter haben Anspruch auf 14 Wochen Mutterschutz, bei Mehrlings- und Frühgeburten verlängert sich die Dauer auf 18 Wochen. Während dieser Zeit erhalten sie eine Entschädigung in Höhe von 100% ihres Einkommens. Im Anschluss daran haben beide Elternteile das Recht auf Elternzeit, die bis zum dritten Lebensjahr des Kindes beantragt werden kann und während der sie Elterngeld in Höhe von 65-100% des Einkommens erhalten können. Quelle

Ein Anlass des Abends war es, das neue Hessen Ländernetzwerk von Music Women* Germany vorzustellen. Der Verband setzt sich seit 2019 für eine Musikkultur und -wirtschaft ein, die vielfältig, divers, digital und vernetzt gestaltet ist. Er bietet eine bundesweite Datenbank von 400 weiblich gelesenen Akteurinnen* der Musikbranche, vernetzt, unterstützt und berät kostenfrei bei der Karriereplanung und veranstaltet Tagungen, Workshops und Konzerte und betreibt viel Lobbyarbeit. Mittlerweile gibt es 16 Ländernetzwerke und seit 2023 auch eine Initiative, ein Hessen-Ländernetzwerk zu gründen. Sabrina Theisen-Steiz und Francesca Herget vom Wiesbadener Schlachthof brachten den Stein ins Rollen und bekamen die Zusage für eine Infrastukturförderung durch die Initiative Musik, um Strukturen für die Gruppe aufzubauen.

Talkrunde von li nach re: Lisa-Anna, AINIE, Jenne, Mane Stelzer (Moderation) (Foto: Tsvetelina Topalova)

Als Talkgäste von MusicHeWomen*Germany begrüßten wir die Musikerin, Produzentin und Songwriterin AINIE aus Frankfurt am Main. AINIE ist der Künstlerinnenname von Nadine Demetrio, seit 2023 ist sie Teil des Female* Producer Collectives und Mitgründerin von MusicHeWomen*Germany. Ebenfalls dabei war die Frankfurter DJ Jenne Schöning, die seit 2021 als Resident DJ und Bookerin im Frankfurter Künstler*innen-Kollektiv saasfee* aktiv ist und seit neuestem auch im Vorstand von MusicHeWomen*Germany ist. Eine weitere Perspektive kam von unserer dritten Talkgästin, der Multiinstrumentalistin, Musiklehrerin, Songwriterin und Chorleiterin Lisa-Anna von ELL. ELL ist ihr Krachpop-Duo mit dem Schlagzeuger Lennart, das beim Ladys&Ladies Label unter Vertrag ist und im Herbst das Debüt-Album veröffentlicht.

Wie kam es zu MusicHEwomen*?

Die Frankfurter DJ Jenne hatte das Fehlen eines Ländernetzwerks in Hessen schon länger verfolgt und wurde zufällig als DJ zur Gründungsveranstaltung des hessischen Ländernetzwerks in den Wiesbadener Schlachthof eingeladen. So lernte sie die Gründer-Crew kennen. „Hessen ist ziemlich hinterher deutschlandweit mit der Förderung von weiblich* gelesenen Personen. Es gibt in anderen Bundesländern schon viel, viel Weiteres, auch zum Thema Awareness. Auch wenn ich mir Frankfurts Clubszene angucke, es gibt da ein paar Pionier*innen, z.B. im FREUD Club gibt es schon von Anfang an ein Awareness-Team, aber in Berlin gibt es das sehr viel mehr. Da ist auf jeden Fall Nachholbedarf“, erzählt sie beim Talk.

Producerin AINIE ergänzt, dass sie beim Reeperbahnfestival auf die Wiesbadenerinnen getroffen ist und danach schon die ersten gemeinsamen Calls begannen. Nach den Zielen des Hessen-Netzwerks gefragt, sagte sie: „In Frankfurt gibt es für uns eine Menge zu tun. Wir haben ja noch nicht mal ein Popbüro oder irgendwas, was Künstlerinnen allgemein fördert. (…) Auf unserer Agenda steht natürlich, dass wir FLINTA* Personen, weiblich gelesene Personen oder auch Personen, die sich jenseits des binären Systems verorten, fördern, dass sie Veranstaltungen haben, wo die Leute networken können. Wir nehmen beratende Tätigkeiten ein, wir wollen auch selbst Veranstaltungen machen wie Songwriting-Workshops oder auch Artists auftreten lassen, dass man zusammenkommen kann, dass man eine Bühne hat, eine Plattform, wo man gesehen wird, aber auch sehen kann“. Zur Zeit ist das Netzwerk noch Frankfurt- und Wiesbaden-based, aber es ist geplant, in Hessen „überall unsere kleinen Zellen“ aufzubauen.

Role Models

Für sie sei das eine ganz neue Erfahrung gewesen, andere DJs auch als Role Models zu erleben, sagt Jenne. „Ich bin nie auf die Idee gekommen, selbst DJ zu werden, weil ich nie eine weiblich gelesene Person gesehen hab, die hinter dem DJ-Pult steht. Einer meiner größten Inspirationen war Helena Hauff, das ist eine ganz tolle DJ mittlerweile, superbekannt, aber die hat genau meinen Sound gespielt, und ich war so: ‚Oh mein Gott, das ist eine Göttin, das möchte ich auch!‘ Ich konnte mich so krass mit ihr identifizieren und danach dachte ich: ‚Ich kann das ja eigentlich!‘. Dann hab ich damit erst so richtig angefangen (…) und gemerkt, Repräsentation ist einfach sehr wichtig“.

Auch Lisa-Anna (ELL) hatte vor allem Sängerinnen als Vorbilder. „Ich fand es immer schwierig, ein Vorbild zu finden, die Instrumentalistin ist. Ich hatte am Anfang Struggles mit meiner Stimme, weil ich sie selber nicht so schön fand. Dann dachte ich immer ‚Scheiße, ich würd so gern in ’ner Band sein und gern auf der Bühne stehen, aber ich kann nicht Sängerin sein, und ich kann aber dann auch nichts Anderes sein, denn das Andere sind Männer!‘ (…) Erst mit 17 dachte ich ‚ich lern jetzt einfach Bass‘ (…) und hab dann die richtige Freundin getroffen, mit der ich das dann durchgezogen habe. Aber klar, als Sängerin war Avril Lavigne ein großes Vorbild für mich und Wallis Bird auch“.

Strukturen: Räume, Awareness & Gatekeeper*innen

Ainie ist Teil des Female* Producer Collectives, auf das sich in der letzten Runde 131 Musikerinnen* beworben hatten. „Weiblich gelesene Produzentinnen sind noch sehr unterrepräsentiert. Ziel ist es, dass man diese Leute aufbaut, wenn sie noch nicht so weit sind. Dass man sie coacht. Die Leute bekommen Workshops, sie bekommen die Möglichkeit, andere Leute zu produzieren, zu networken. Man kriegt wichtige Kontakte in die Industrie, zu Sony usw. Mir persönlich hat das sehr viel gebracht, ich war supergrün hinter den Ohren, und nach dem F*PC wusste ich einfach, wie das ‚Game‘ funktioniert“. Wer einmal drin ist, kommt über das Netzwerk an Jobangebote.

Wir sprechen über Übungsspaces für DJ, die es laut Jenne früher an der Uni gab und z.B. in der Raumstation in Rödelheim immer noch gibt. Spaces für FLINTA*, in denen frau* das Auflegen gut üben kann, ohne direkt vors Publikum zu gehen. Jennes Künstler*innenkollektiv saasfee* veranstaltet im Satellit direkt am Bürgergarten und open air die Tiny Bar, zu der DJs auflegen. Leider gibt es aber viele Lärmbeschwerden gerade, weswegen das Format ausgesetzt wurde.

Jenne merkt auf jeden Fall einen Wandel seit sie 2017 angefangen hat. Seit der Pandemie gäbe es viele weiblich gelesene Personen, die angefangen hätten aufzulegen, viele neue Partykollektive und es würde mehr bemängelt, wenn irgendwo ein all male LineUp ist. „Ich hab [als DJ in der Clubszene] schon viele dumme Sprüche eingesteckt. (…) Da müssen wir einfach gucken, dass wir uns besser vernetzen.“ Wenn mal eine Frau im LineUp sei, mache sie meist das Opening, auch die Artist Care oder das Personal an der Bar im Club seien oft FLINTA* Personen. Im Booking und bei den Clubbesitzer*innen seien es dagegen fast immer männlich gelesene Personen. „Deshalb müssen wir versuchen, dass diese wichtigeren Positionen von FLINTAS besetzt werden, weil dann gibt es einen ganz anderen Umgang damit“.

Jenne sagt zum Thema Awareness & safe spaces: „Es gibt ja jetzt den Begriff von ’nem safer space, weil einen safe space kann man nie generieren. Aber man kann versuchen, dass sich Menschen wohlfühlen. Das ist eine sehr wichtige Angelegenheit, aber sehr schwer umzusetzen, weil man ja gleichzeitig auch niemanden diskriminieren will. Zum Beispiel bei einer Selektion an der Tür fängts ja irgendwie schon an. Wenn man eine queere Party machen will, dann versucht man ein gewisses Publikum zu generieren, gleichzeitig möchte man aber auch niemanden diskriminieren. Man möchte nicht assumen, was die Person für eine Einstellung oder sexuelle Orientierung hat. (…) Aber Awareness fängt vor allem von innen an, es ist wichtig, patriarchale Strukturen zu durchbrechen bei den Clubbesitzern, dass man bei sich anfängt, bevor man fünf Leute beschäftigt, die kriegen fünf Euro die Stunde und sagen ‚wir machen jetzt Awareness‘ und haben eine Schärpe um, damit ist es halt nicht getan, sondern es fängt vor allen Dingen erstmal bei Team an“.

AINIE ergänzt: „Es ist zur Zeit ein Modebegriff und alle wollen sich die Plakette auf die Stirn kleben und sagen ‚wir machen Awareness und wir haben hier ein Team‘, aber da hängt halt superviel damit zusammen und es muss funktionieren mit der Türpolitik und dass die Leute eine Art Schulung durchlaufen haben. (…) Bei Music Women* Germany sind wir bei dem Thema so verhalten, weil wir uns darüber bewusst sind, dass man sich das erst wirklich auf die Fahnen schreiben kann, wenn man sich damit eine ganze Weile auseinander gesetzt und da auch Erfahrungen gesammelt hat. Wir wollen das sehr behutsam und mit Respekt angehen“.

Stichwort Gatekeeper*innen: Nach den Meilensteinen in ihrem Werdegang gefragt, erzählt Lisa-Anna von ELL, dass entscheidend gewesen sei, dass sie während der Pandemie bei Kurt Ebelhäuser aufnehmen konnten und dass sie Johanna Bauhus vom Ladies&Ladys Label kennengelernt hätten, die sie unter Vertrag nahm und seitdem sehr unterstützt hat. Durch sie hätten sie ihren jetzigen Produzenten kennengelernt, der sie an Das Lumpenpack vermittelt hätte, mit denen sie auf einer ausgedehnten Konzerttour waren. Dadurch haben sie ihren jetzigen Booker kennengelernt, der ihre Herbst-Tour bereits gebucht hat.

Lisa-Anna und Lennart kommen eigentlich aus Lindenfels in Hessen, haben sich aber Anfang diesen Jahres für Chemnitz als Wohnort entschieden, weil sie dort „Platz für uns als Band“ hatten und es dort bezahlbaren Wohnraum gibt. Dort gibt es außerdem ein Bandbüro, das über ein Gebäude verfügt, wo viele Proberäume sind, wo es ein Studio gibt und wo eine Videofirma sitzt; auch der Verein Music X, für den sie die Kinderband betreut, ist dort.

Wie ist die Situation in Frankfurt? Hier gibt es das Problem, dass die Proberäume in den Musikbunkern nicht optimal genutzt werden, weil viele ältere Mieter*innen – meist Männer – diese Räume schon sehr lang und oftmals allein nutzen. Auch wissen viele jüngere Musiker*innen gar nicht, dass wir in Frankfurt eigentlich jede Menge Proberäume haben (fragt gern hier mal nach freien Räumen).

Welche Nachwuchsförderungen braucht es?

Lisa-Anna hat selbst auch Musik in der Schule unterrichtet und betreut jetzt eine gemischte Kinderband in Chemnitz. Sie ist überzeugt, dass die Schule geeignet ist, Kinder für Musik zu begeistern, wenn man selber davon begeistert ist. „Wenn man dafür brennt, ist es sehr einfach, die Kinder dafür zu begeistern. Gerade in der Grundschule sind die noch sehr begeisterungsfähig. Wenn es dann einen Übergang gäbe, wo die Lehrkraft die Kinder, die Bock haben und auch dafür brennen, weitervermittelt an Lehrende, die das Instrument den Kindern beibringen könnte oder wo die Kinder noch tiefer einsteigen können oder wenn es dann wirklich Angebote gäbe, die an der Schule angegliedert sind, vielleicht im Nachmittagsprogramm, wo man die Kinder direkt weiterleiten kann, das wäre ein guter Anknüpfungspunkt“. Auch unsere Erfahrungen bei den Nachwuchsworkshops decken sich mit ihrer Einschätzung: es braucht niedrigschwellige Angebote in den Schulen, wo die Kinder schon sind, damit die Hürden, sich für einen Bandworkshop anzumelden, nicht so hoch sind und um auch die Kinder mitzunehmen, die sich keinen Musikunterricht leisten können.

Fem Night Foto: Tsvetelina Topalova

Fem Night Foto: Tsvetelina Topalova

Publikumsrunde: Was ist euch wichtig?

Bei der Publikumsrunde meldete sich die Musikerin und Schauspielerin Katharina Wittenbrink aus Offenbach zum Thema Nachwuchsförderung zu Wort. Sie erzählte vom Förderprojekt „Me2You“ des Frankfurter Kulturamts, bei denen Künstler*innen verschiedener Genres (gut bezahlt) mehrere Monate lang mit Jugendlichen im Alter von 13-16 Jahren arbeiten. Katharina macht mit ihnen Musik, schreibt mit ihnen Songs und bringt ihnen die Instrumente bei, die sie lernen wollen. „Da merke ich auch, dass es noch ein riesengroßer Unterschied ist zwischen Jungen und Mädchen, was sie sich selbst zutrauen, was für ein Instrument sie lernen wollen. Und zum anderen hab ich das Gefühl, da bräuchte es eine stärkere Förderung für junge Mädchen (…) Je gemischter Bandprojekte sind, desto mehr wird es geschlechtlich stereotypisch besetzt. Je mehr Mädchen unter sich sind… ich hab durch Zufall eine komplette Mädchengruppe (…) die haben auf alles Bock“. So ein Programm müsse man speziell für junge Mädchen auflegen.

 

Weitere gute Ideen fanden sich auf unserer Leinwand wie z.B. die Forderung nach mehr Druck auf paritätische Besetzung bei Veranstalter*innen oder Radiosender mit Zeitfenstern, in denen ausschließlich FLINTA* Musik läuft, dazu mehr Workshops, Events & Stammtisch für den Austausch unter Musikerinnen*.

 

Nach dem Talk betrat die Songwriterin und Musikproduzentin Annelie Schwarz aka AUFMISCHEN die Bühne, die seit letztem Jahr ebenfalls Teil des Female* Producer Collectives ist. Sie präsentierte ihren deutschsprachigen Elektro-Art-Pop mit Rap- und Techno- Einflüssen mit viel AUFMISCHEN-Energie und nahm das Publikum charmant-ehrlich mit zu den Hintergründen ihrer Songs.

 

Foto: V. Höfele

Foto: V. Höfle

Danach kam das Krach-Pop-Duo ELL, das laut Rockband-Duden zwar personell unterbesetzt ist, sich auf der Bühne aber multipliziert und nach ganzer Band klingt. In ihren deutschsprachigen Songs geht es viel um Empowerment, safer spaces und das Spielen mit Stereotypen, vor allem aber macht ihre Musik Spaß (und eine neue Fönfrisur)!

 

Auf der Elfer-Terrasse gab es danach bei sommerlichen Temperaturen noch Zeit zum netzwerken und neue Kontakte knüpfen. Wer nicht dabei sein konnte:

Infos & Kontakt MusicHEwomen* 

Fotos: Donna Diederichs

Wir bedanken uns bei: Frauenreferat Frankfurt, Kulturamt Frankfurt, MusicHeWomen*Germany, Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien der Bundesrepublik Deutschland, Initiative Musik.

Vol. 1: MELODIVA Lesung & Talk 04.05.2022 frankfurtersalon

Jazzmusikerinnen* und all female Bands waren schon immer da, aber ihre Bedeutung wurde in der Jazzgeschichtsschreibung zu wenig gewürdigt – das ist eines der Statements, mit dem die Jazzmusikerin und Musikwissenschaftlerin Dr. Monika Herzig (Hg.) aus ihrem Beitrag zum kommenden Sammelband „Jazz & Gender“ (Routledge, VÖ: Juni 22) ins Thema einführte. Sie spannte einen Bogen von den frühen all female Bands wie The International Sweethearts of Rhythm, die während des Zweiten Weltkriegs eine Blütezeit erlebten, zur Figur des Alpha Girl im Postfeminismus der 80er und 90er Jahre: Die Frau, die sich gegen Ungerechtigkeit im patriarchalischen System aussprach, wurde als altmodische Männerhasserin dargestellt, was die Macht der Zusammenarbeit von Frauen als Gruppe negierte und so systemerhaltend wirkte. Vorherrschend war die Vorstellung, die Frauen müssten einfach beweisen, dass sie besser sind und es den Männern zeigen; jede Frau würde dann ihren Platz am „Tisch“ bekommen. Erfolgreiche Jazzmusikerinnen wie Tia Fuller, Ingrid Jensen und Terri Lyne Carrington sprachen sich in Interviews von damals noch dagegen aus, das Thema Frau-Sein in der Musik zum Thema zu machen. Heute sind sie längst selbst in Sachen Gendergerechtigkeit aktiv; Carrington gründete 2018 das The Berklee Institute of Jazz and Gender Justice und Ingrid Jensen hat eine eigene all female Supergroup Artemis gegründet.

Hürden bis heute

Tokenism

Zu den Problemen, die bis heute bestehen, gehöre der sogenannte „Tokenism“: eine alibi- und symbolhafte Inklusion von unterrepräsentierten Gruppen, die echte Gleichberechtigung nicht ersetzen kann. Musikerinnen* machen immer noch die Erfahrung, dass es bei Festivals in der Vorstellung der Programmplaner*innen einen weiblichen Slot gibt, um den alle Frauen konkurrieren müssen. So wird der Wettbewerb unter den Musikerinnen* noch verstärkt und Zusammenarbeit und Solidarität werden erschwert. Häufig gibt es eine Supergroup, die auf alle Festivals eingeladen wird, anstatt eine Vielfalt von Bands mit weiblicher* Beteiligung ins Programm einzubinden.

Stereotypen

Eine weitere wichtige Ursache für die Unterrepräsentanz von Frauen im Musikbusiness sieht Herzig in den Stereotypen, die in der Gesellschaft wirken. Dazu führt sie Claude Steeles Whistling Vivaldi: How stereotypes affect us and what we can do (2011) an. Er zeigt, dass sich Leistungen je nach den Erwartungshaltungen ändern. Weibliche Probandinnen, die im Vorfeld eines Mathetests mit der Aussage konfrontiert wurden, dass Frauen nicht gut in Mathe seien, erbrachten schlechtere Leistungen aufgrund dieses negativen Stereotyps. Dieses Phänomen, auch stereotype threat genannt, führt zu Unter- oder Überperformance, nicht zu einer natürlichen Performance.

Instrumentenwahl & „Pubertätsknick“

Ähnlich wie in Deutschland gibt es in den USA laut Herzig eine hohe „Drop Out“-Rate von Mädchen an den Instrumenten: in der Middle School gibt es noch 50% Mädchen in den Bigbands, in der High School nur noch ein Drittel und im College nur sehr wenige. Zwei wichtige Ursachen dafür seien die oft gegenderte Instrumentenwahl (wie z.B. Flöte oder Geige) und die Regelung, dass das Improvisieren in der 7./8. Klasse eingeführt wird, wenn Mädchen sich in der Pubertät stark zurückziehen und eben nicht im Rampenlicht stehen und Risiken eingehen wollen. Bei diesen Chancen, das Solospiel zu üben, versteckten sich die Mädchen eher und hätten dann im Laufe der Jahre das Nachsehen. In dieser Zeit müsste man den Unterricht entsprechend danach ausrichten und z.B. safe spaces wie den „Jazz Girls Day“ anbieten sowie Methoden einbauen, die den Drop Out verhindern. Ein weitere Maßnahme könnte sein, Kinder früher ans Solospiel und die Improvisation heranzuführen, wie es eine Musikerin aus dem Publikum, die Saxofonistin Corinna Danzer empfiehlt. Sie unterrichtet Kinder bereits im Grundschulalter in Improvisation.

Jazz Girls Day in Indiana 2022

In den Staaten sei laut Herzig auch ein Problem, dass alle Jazzbigbands ihre Besten dabei haben wollten, um möglichst viele Trophäen heimzubringen. Das bringe häufig Musiker*innen nach vorn, die sich in den Vordergrund drängten. Eine „Gender In Jazz“-Studie (2019), die über 360 Musiklehrkräfte an Middle und High School Schulen in North Carolina befragte, zeigte zudem, dass Jazzmusikerinnen weniger bemerkenswertes Lob von Pädagog*innen und Kolleg*innen bekamen als ihre männlichen Mitschüler. Eventuell werden sie also weniger gefördert.

Fehlende Role Models

Ein weiteres Thema des Abends war das Fehlen von Role Models, wie es sich überall zeigt. Bis heute gibt es zum Beispiel nur eine Instrumentalprofessorin im Bereich Jazz in Deutschland, in den USA sind die Zahlen nicht viel besser. „Du musst jemanden sehen, der so aussieht wie du, damit du erkennst: ja, ich hab da einen Platz, ich kann das auch machen“, so Herzig. In diesem Kontext übernähmen die all women groups weiterhin vielfältige Funktionen: sie bieten Support und eine Gemeinschaft ohne Druck und wirken gegen gängige Stereotypen (perceptions). Mehr noch: der Anspruch des Jazz als demokratische Kunstform kann eigentlich erst verwirklicht werden, wenn alle am Schaffensprozess beteiligt werden. Herzig zitierte dazu Janiece Jaffes Ausspruch “Equality does not mean sameness” (Gleichberechtigung bedeutet nicht, dass man gleich sein muss): „Ziel des Integrationsprozesses ist ein Kulturwandel, der weg von der Stereotypisierung von Instrumenten und Fähigkeiten geht und den gemeinschaftlichen Aspekt des Musizierens im Jazz statt Männlichkeits- und Konkurrenzdenken kultiviert“.

Was noch zu tun ist…

Von links: Monika Herzig, Johanna Schneider, Nina Hacker, Maria Bätzing (Moderation)

Im anschließenden Talk mit der Frankfurter Jazzbassistin und Instrumentalpädagogin Nina Hacker wurde das Thema Nachwuchsarbeit vertieft. Hacker unterrichtet an der Musikschule Frankfurt und betreut niedrigschwellige Schuljazz- und Bandprojekte wie „Jazz und Improvisierte Musik in die Schule“, die jedes Jahr über 4000 Schüler*innen aktiv mit Jazz in Kontakt bringen. Das Dozent*innen-Team sei gemischt, um Stereotypen vorzubeugen. Der zweite Panelgast, die Sängerin, Komponistin und Gesangspädagogin Johanna Schneider aus Essen, erzählte in diesem Zusammenhang von einer befreundeten Posaunistin, die an einer Musikschule unterrichtet. Jedes Jahr würden beim Tag der Offenen Tür die verschiedenen Instrumente vorgestellt; nur wenn sie als Multiplikatorin die Vorstellung der Posaune übernahm und nicht ein Mann, meldeten sich viele Mädchen für den Posaunenunterricht an. Eine Frau aus dem Publikum erzählte von ihren Beobachtungen in einer Junior’s Bigband in Bayern, die aus 6 Jungen und 4 Mädchen im Alter von 12-15 Jahren bestand: Die Jungs wollten z.B. die Person beim Konzert Solo spielen lassen, deren Solo das beste gewesen sei oder mit einem Neuling gleich das schwerste Stück spielen, um ihn zu testen. Durch die Intervention der Mädchen wurde das unterbunden, die sich anbahnenden Konkurrenzsituationen entschärft. Das zeigt, dass eine gemischte Gruppe als Sozialgefüge ganz anders tickt.

Nina Hacker bietet auch Projekte nur für Mädchen* als safe spaces an. Sie erzählte, dass nur sehr wenige Instrumentalistinnen bei den Schülerjazz-Ensembles mitmachen würden, weil die Musiklehrer*innen eher die Jungs dafür vorschlugen. So hätte sie im letzten Herbst mit ihren Kolleg*innen entschieden, Jazzworkshops für Mädchen* anzubieten, die sehr guten Zulauf hatten.

Johanna Schneider, die kürzlich für den Vorstand der Deutschen Jazzunion wiedergewählt wurde und dort u.a. in der AG Gender & Diversity aktiv ist, machte am Abend die anwesenden Musiker*innen auf die Jazzstudie 2022 aufmerksam, die als Anschlussstudie zur Umfrage von 2016 deutlich erweitert ist. Die zweite Auflage will erstmals die Vielfalt der Jazzszene und mögliche Diskriminierungen in den Blick nehmen, und auch Aufschluss über das Wohlbefinden und die Auswirkungen der Coronapandemie auf die Situation der Musiker*innen bekommen. Noch kann frau daran teilnehmen.

Außerdem ist sie Co-Initiatorin des Jazzkollektivs PENG und des gleichnamigen Festivals, das auch in diesem Jahr im Herbst stattfinden wird. Sie beschrieb, dass das PENG Festival zuerst gegründet wurde, um Frauen* zu fördern und herausragende, regionale und internationale Künstler*innen auf die Bühne zu bringen. Das Organisations-Kollektiv habe bewusst einen neutralen Namen gewählt und nicht auf das Frau*-Sein hingewiesen. So schaffte es das Festival, Erwartungshaltungen und Stereotype zu verändern – eben durch eine starke und vielfältige weibliche Präsenz auf der Bühne, ohne im Vorhinein zu polarisieren. Inzwischen verfolgt das Festival einen intersektionalen Ansatz, es will „einen Rahmen schaffen, der frei ist von jeglichen Strukturen der Unterdrückung, Macht und Dominanz“ (Homepage). Auch die bewusste Wahl des Ortes soll mehr Teilhabe ermöglichen: das Festival findet im eher unterprivilegierten Norden von Essen statt.

In der Diskussion mit dem Publikum ging es schließlich auch darum, wie wichtig die Musikpädagogik in Schule und Hochschule (und die Ausstattung mit Personal) ist und was geändert werden müsste, damit eine musikalische Karriere in der Klassik & im Jazz nicht wenigen Wohlhabenden vorbehalten bleibt. Der Zugang zur Musik sei auf der einen Seite nicht einfacher geworden, auf der anderen Seite habe es aber auch nicht mehr so einen großen Stellenwert, z.B. in die Oper oder ins Jazzkonzert zu gehen wie früher – das Publikum sei durchweg relativ alt. Auch bräuchte es viele gute und engagierte Menschen in den Schulen, die in den Kindern und Jugendlichen die Liebe zur Musik wecken und pflegen. Dazu müssten aber auch die Rahmenbedingungen, vor allem die Bezahlung und Wertschätzung in der Gesellschaft, verbessert werden.

Ein weiteres Thema war die Vereinbarkeit von Karriere & Familie. Schneider erzählte, dass viele Kolleginnen ihren eigentlichen Anspruch, weiterzuarbeiten und ihre Musikkarriere mit Familie weiterzuverfolgen, gar nicht hätten durchhalten können. Konzertgagen sind häufig so niedrig, dass sie für das Babysitting draufgehen. Der Mann verdient immer noch meist mehr, sodass die Frauen dann doch wieder zuhause mit der Kinderbetreuung allein gelassen würden. Herzig führte ihre Beobachtung an, dass die meisten ihrer Kolleginnen mit Jazzmusikern verheiratet seien.

 

Vol. 2: Jazz Montez Talks & Konzert 06.05.2022 Kunstverein Familie Montez

Zwei Tage später drehte sich bei der Veranstaltung unseres Koop-Partners Jazz Montez alles um die Wechselwirkung zwischen Jazz und Demokratie. Was kann unsere Demokratie vom Jazz lernen, was macht eine gute Jazzsession aus und was ist das Faszinierende am Jazz, fragte das erste Panel mit der Sängerin Fiona Grond, dem Schlagzeuger und Dozent an der HfMdK Oli Rubow und dem DJ und Journalisten Michael Rütten. Ein häufig genannter Satz fing mit „im Idealfall…“ an: im Idealfall hörten alle Musiker*innen aufeinander, ließen sich gegenseitig Raum, erzeugten glücklich machende Musik. In der Realität gäbe es aber auch die Alpha-Menschen, die sich mit ihren Soli produzierten und für die Begegnung mit den Anderen gar nicht offen seien, was die Session schrecklich langweilig mache.

Das zweite Panel mit Johanna Schneider, dem Orchestermanager der hr-Bigband Olaf Stötzler und mir (Mane Stelzer (MELODIVA, Singer-/Songwriterin)) trug den Titel „Jazz in Deutschland – Eine elitäre Veranstaltung?“ und befasste sich vor allem mit den Zugangshürden und Ausschlüssen in der Jazzszene. Stötzler versicherte, dass ihnen bewusst sei, dass sie als rein männliche Bigband ein bisschen aus der Zeit gefallen seien. Es scheitere nicht am guten Willen, sondern daran, dass sich zu wenige Frauen bewürben und gegen die Konkurrenz durchsetzen könnten. Auf die letzte Ausschreibung hin hätten sich von insgesamt 58 Bewerber*innen nur zwei Musikerinnen beworben, deren Audiofiles dann in einer Art „Blind Audition“ angehört wurden. 12 Bewerber kamen in die Vorauswahl und wurden für eine Audition eingeladen; und obwohl darunter nicht die zwei Bewerberinnen waren, wurden diese dann trotzdem „live“ angehört. Eingestellt wurde dann aber ein Mann.

An gutem Willen fehlt es also nicht – wohl eher ein genaueres Hinschauen. Es könnte auch an der Art der Ausschreibung, der Außenwirkung und Ausrichtung der Bigband oder praktischen Gründen wie Tour- und Probezeiten usw. liegen, dass sich so wenige Musikerinnen* bewerben. Wir nehmen uns vor, dem auf den Grund zu gehen und bei den Jazzmusikerinnen* in unserem Netzwerk genauer nachzufragen. Schreibt uns gern eine Mail mit eurer Meinung und euren Erfahrungen!

Um zu zeigen, wie Kommunikation im Jazz zwischen Musiker*innen funktionieren kann, waren für die anschließende Session sechs großartige Instrumentalist*innen eingeladen, die noch nie in dieser Formation zusammengespielt hatten und den Auftrag bekamen, gemeinsam zu den Themen des Abends zu improvisieren. Neben Johanna Klein (Saxofon, Effekte), Franziska Aller (Bass) und Johanna Schneider (Vocals) waren das Darius Blair (Saxofon), Lukas Wilmsmeyer (Gitarre), Biboul Dariouche (Percussion) und Oli Rubow (Schlagzeug). Sie ließen sich von Begriffen inspirieren, die die sechs Panelgäste im Vorfeld nennen durften und die jeweils einer anderen Farbe zugeordnet wurden. Das wechselnde Scheinwerferlicht läutete so immer einen neuen Part ein und setzte Begriffe wie Ehrlichkeit, Neugier, Respekt, Aktivität, Vertrauen und Erdung musikalisch in Szene. Grandios!