Maryam Akhondy wurde in Teheran geboren und lebt seit 1986 in Köln. Seit der Grundschule hat sie vor allem klassische Musik gesungen, war bei Schulfesten als Sängerin dabei. Nach dem Abitur studierte sie Theaterwissenschaften und Gesang in Teheran. Kurz bevor sie nach ihrem Abschluss ihre künstlerische Karriere starten wollte, begann die Islamische Revolution. Um öffentlich auftreten und ihren Beruf ausüben zu können, blieb ihr nichts anderes übrig, als 1986 nach Köln zu fliehen. Dort begann sie mit iranischen Musikerkollegen zusammen zu arbeiten; die wohl bekannteste war die Weltmusikband Shäl Sick Brass Band, mit der sie zwei mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnete Alben aufnahm.

Dass Akhondy ihre Heimat verließ, hat ihr zu großer künstlerischer Freiheit verholfen, die sie in Ensembles wie der Band Paaz nutzt oder dem Chor Banu, der wahrscheinlich einzigen iranischen Frauen-A Capella Gruppe weltweit. Bis zu 25 Sängerinnen zwischen 25-65 Jahren kommen donnerstags zur Probe, aber bei Konzerten stehen meist nur 7 von ihnen auf der Bühne. Eine Unmöglichkeit in ihrer Heimat, denn Frauen ist dort das öffentliche Musizieren und Singen nur ganz eingeschränkt möglich: vor weiblichem Publikum dürfen sie solistisch öffentlich auftreten, vor gemischtem Publikum aber nur, wenn ihr Gesang von männlichen Gesangsstimmen überdeckt wird. Wie sie die Islamische Revolution und den Umzug nach Deutschland erlebt hat und was ihren Chor so besonders macht, erzählt sie uns in folgendem Interview.

Du bist in Teheran geboren, hast Deine Kindheit und Jugend dort verbracht und Theaterwissenschaften und Gesang studiert. Dann kam die Islamische Revolution und mit ihr wurden die Frauenrechte massiv eingeschränkt. Wie hast Du diese Zeit erlebt?

Anfangs glaubten wir nicht, dass die damals neu verordneten Regeln und Verbote – die Musik und den Frauengesang betreffend – von Dauer sein würden. Erst als die ersten Musik- und Kunstschulen schließen mussten, wurde uns das ganze Maß der Veränderungen und die Schwierigkeiten, in denen wir nun steckten, bewusst. Natürlich haben wir Studentinnen und Studenten zusammen mit unseren Lehrern versucht, die Verbote zu umgehen, z.B. damit, dass der Unterricht nicht mehr in der Schule, sondern im Haus des Ostads stattfand (persisch für „Meister“). Auf einen gewissen öffentlichen Druck hin durften die Musikschulen dann nach einiger Zeit wieder öffnen. Allerdings wurden die bisherigen Klassen geteilt und Männer und Frauen getrennt unterrichtet – von einer Lehrkraft des gleichen Geschlechts. In der Öffentlichkeit zu singen, wurde Mädchen und Frauen gänzlich verboten. Das galt natürlich erst recht für die Bühnen- und Radioauftritte professioneller Sängerinnen.

Welche Auswirkungen hatte die islamische Revolution 1979 auf Dich und Deine Musik? Wie haben sich Dein Leben und Dein Alltag verändert?

Das Gesangsverbot für Frauen habe ich ja schon erwähnt. Es betraf auch mich, weil ich zu der Zeit meine ersten kleinen Auftritte im Radio hatte. Die Veränderungen im Land wirkten sich natürlich auch auf den privaten Bereich und das Berufsleben aus. Ein Beispiel: Neben meiner Gesangsausbildung arbeitete ich als Lehrerin in einer Grundschule. Anfangs trug ich, wie alle jungen Leute, während des Unterrichts Blue Jeans und eine Bluse. Nach der Revolution war daran natürlich nicht mehr zu denken. Eine lange, mantelähnliche Jacke und das Tragen eines Kopftuchs wurden zur Pflicht – in der Schule ebenso wie im Alltag außerhalb der eigenen vier Wände.

In der Folge durften Sängerinnen nicht mehr öffentlich auftreten. War das für Dich der Hauptgrund, dass Du 1986 nach Köln gezogen bist?

Ja. Darüber hinaus hatte ich ja Theaterwissenschaften studiert. Auch in diesem Bereich galten nach der Revolution ähnliche neue Regeln und Verbote wie in der Musik. Da traf es sich gut, dass ich in dieser Zeit zu einem asiatischen Musikfestival nach Stuttgart eingeladen wurde – als Gastsängerin einer iranischen Band aus Köln. In Deutschland traf ich meinen damaligen Mann wieder, der schon vorher aus dem Iran fliehen musste, weil er politisch verfolgt wurde. Also blieb auch ich und versuchte einen künstlerischen Neustart – ohne zu wissen, ob mir der mit meiner Musik in diesem für mich fremden Land gelingen würde.

Wie ging es Dir in Köln zu Beginn? Musstest Du ganz neu anfangen? Ist es Dir leichtgefallen, Kontakt in der Musikszene zu knüpfen?

Nein, das ist es nicht. Es war ein in jeder Hinsicht schwieriger Neuanfang für mich: in einer mir unbekannten Kultur mit einer völlig anderen Sprache und einem damals erst sechs Monate alten Kind! Der Weg in die Kölner Musikszene führte erst einmal nur in den Kreis der in Köln lebenden exiliranischen Musiker. Mit einigen von ihnen tourte ich bald durch Deutschland und Skandinavien. Später gründete ich meine eigene klassisch-iranische Musikgruppe, das Ensemble Barbad, und schrieb das Musiktheaterstück „Andaruni“, das ich wohl ein Dutzend Mal vor Exiliranern in Deutschland, Dänemark, Holland und Österreich aufführte.

Kontakt zu nicht-iranischen Musikern fand ich erst Anfang der 1990er-Jahre, als ich die Schäl Sick Brass Band und deren gänzlich andere Musik kennenlernte. Seitdem habe ich mit zahlreichen Kölner Musikerinnen und Musikern aus unterschiedlichsten Genres zusammengearbeitet. Auch deshalb empfinde ich mich heute als Teil dieser Szene.

Wann kam Dir die Idee, den Frauen-Chor Banu zu gründen? Was hat Dich daran gereizt?

Das war kurz vor dem Jahr 2000. Da bekam ich Lust, mehr über die Volksmusik meiner iranischen Heimat zu erfahren. Weil ich ja aus der traditionellen persischen Kunstmusik komme, die man vom Anspruch her vielleicht mit der klassischen europäischen Musik vergleichen könnte, wusste ich gar nicht soviel über die Volksmusik Irans. Mit einigen meiner in Köln lebenden iranischen Gesangsschülerinnen gründete ich deshalb einen kleinen Chor, der vorerst nur aus sieben Frauen und mir bestand. Reizvoll war daran auch, dass wir keine zusätzlichen Musiker brauchten – Klanghölzer und Rahmentrommeln reichten völlig aus, um unseren Gesang selbst zu begleiten.

Wie waren die Reaktionen von iranischen Musikkollegen und dem Publikum? Wurdest Du sofort akzeptiert?

Die Reaktionen waren erst einmal, wie man hier in Deutschland sagt, „sehr durchwachsen.“ Das lag zum einen daran, dass mich viele iranische Kollegen bis dahin nur als Interpretin im Genre der bereits erwähnten ernsten persischen Kunstmusik kannten. Neben dieser akademischen Musik wirkt die iranische Volksmusik sehr viel ursprünglicher, lebensfroher und manchmal sogar recht derb.

Dass ich mich, als professionelle Sängerin, gemeinsam mit meinen Schülerinnen auf die Bühne wagte, obwohl deren Stimmen unfertig klangen, sorgte ebenfalls für Unverständnis. Dabei war genau das die Absicht: Die Exiliranerinnen sollten so klingen, wie es die einfachen Frauen im Iran taten, wenn sie bei der Feldarbeit, beim Teppichknüpfen oder bei privaten Feiern gemeinsam sangen. Interessanterweise war es ein deutscher Veranstalter, Peter Schneckmann in Frankfurt, der uns erstmals für einen Auftritt buchte. Dafür bin ich ihm bis heute dankbar.

Woher nimmst Du das Repertoire? Sind es auch Lieder, die Ihr selbst geschrieben habt oder eher Volkslieder?

Viele der Lieder sind mir als Iranerin bereits bekannt. Von anderen habe ich erfahren, als ich mich intensiver mit der Gesangskultur einzelner im Iran lebenden Bevölkerungsgruppen beschäftigte. Was man hier vielleicht nicht weiß: Iran ist ein Vielvölkerstaat, dessen Provinzen im Westen an Irak und die Türkei, im Norden an Aserbaidschan und Turkmenistan, im Osten an Afghanistan und Pakistan und im Süden an die arabischen Golfstaaten grenzen. Alle diese Länder haben eigene Musikkulturen, die natürlich auch auf die benachbarten Regionen im Iran ausstrahlen.

Teile dieser Musik bilden den Kern unseres Repertoires. Allerdings bearbeite ich manche Lieder so, dass ich sie mit meinen Frauen auch mehrstimmig singen kann – was in der ursprünglichen Version in der Regel nicht der Fall ist. Einmal haben wir auch ein Gedicht des bekannten iranischen Lyrikers Ahmad Shamlou vertont und dabei seinen modernen Text mit traditioneller Musik verknüpft. Und für ein von der Akademie der Künste der Welt in Köln gefördertes Projekt sangen wir von mir ausgewählte alte Frauengesänge aus dem Rheinland – zur Hälfte auf Kölsch und zur Hälfte auf Persisch!

Worum geht es in Euren Liedern?

Einiges habe ich ja schon erwähnt. Um es noch einmal zusammenzufassen: Es geht um die ursprüngliche Musik einfacher Menschen, wie sie – vor allem auf dem Land und in kleinen Dörfern – über Generationen weitergegeben wurde. Diese Musik ist ein selbstverständlicher Teil ihres Alltags und beinhaltet keinen Kunstanspruch. Deshalb klingt sie so authentisch und ehrlich. Weil Frauen offensichtlich mehr Anlässe finden, um zu singen, besteht ein großer Teil unseres Repertoires aus von Frauen gesungenen Liedern. Ein Beispiel ist das einer Nomadin, deren Gesang dem Rhythmus folgt, in dem sie den Ziegenledersack bewegt, in dem Milch zu Butter wird. Ein anderes Lied ist das von Wäscherinnen am Fluß, die ihre Metallschüsseln umdrehen und so zu Trommeln machen. Im von den Frauen weitgehend improvisierten Text kann fast alles vorkommen: Spötteleien über die jungen Männer des Dorfes, Scherze über Schwiegermütter oder gegenseitiges Sich-auf-den-Arm-nehmen.

Mit Deiner Band Paaz kombinierst Du iranische Chansons und Popsongs mit Jazz. Was reizt Dich daran?

Es ist das Eintauchen in ein weiteres mit dem Iran verbundenes Genre und noch einmal etwas wesentlich Anderes als der Schritt, den ich seinerzeit von der klassischen persischen Kunstmusik meines Ensembles Barbad hin zu den mit meinem Frauenchor Banu gesungenen Volksliedern machte. Natürlich geht es auch um schöne Erinnerungen an meine Jugend. Die meisten der Paaz-Stücke entstanden ja in den 1950er bis 1970er Jahren, in denen sich viele iranische Komponisten von populärer europäischer Musik inspirieren ließen.

Dank der wunderbaren Musiker, die ich in Köln für dieses Projekt fand, klingen die meisten der von mir ausgewählten Stücke aber nicht wie bloße Coverversionen, sondern eher wie Neuinterpretationen. Und weil die Instrumentalisten sowohl aus der Klassik als auch aus dem Jazz kommen, fließen auch diese Klangfarben in unsere Musik ein.

In Presseberichten und Radiosendungen über Paaz wurde oft hervorgehoben, dass die Musiker nicht nur aus Deutschland, Weißrussland oder Chile kämen, sondern auch aus Israel und dem Iran. Das ist aber Zufall und sagt mehr über die Vielfalt der Kölner Musikszene aus als über unsere Arbeit. Mich beschäftigt das jedenfalls weniger als die Tatsache, dass alle Paaz-Kollegen vom Alter her meine Söhne sein könnten. Mit solch jungen, aber bereits sehr erfahrenen Künstlern ein gemeinsames Gefühl für Musik entwickeln zu können, die ich sowohl mit schönen, als auch wehmütigen Erinnerungen an mein früheres Leben im Iran verbinde, ist wirklich ein Geschenk.    

Welche Auswirkungen hat die Corona-Krise für Dich beruflich? Dein Chor kann wahrscheinlich auch nicht proben?

Den letzten Auftritt mit Paaz hatte ich im September 2020 in Mainz bei einer interkulturellen Veranstaltung. Obwohl der unter Corona-Bedingungen stattfand, fühlte es sich an wie ein Neustart – was sich als Irrtum erwies. 2020 wird mir wohl als mein „Online-Jahr“ in Erinnerung bleiben. Egal, ob Einzelunterricht oder Workshops für Gruppen: Nichts ging mehr im direkten persönlichen Kontakt. Meinen Probe- und Unterrichtsraum im Pfarrsaal einer Kölner Kirchengemeinde habe ich zuletzt im vergangenen Februar mit meinem ganzen Chor nutzen dürfen, dann nur noch in kleinen Gruppen mit ausreichendem Abstand und ab dem Frühjahr gar nicht mehr. Mehr als das hat aber geschmerzt, dass unsere ursprünglich mit Banu im Sommer 2020 geplante USA-Reise nicht stattfinden konnte. Auf unseren Auftritt bei einem großen Chorfestival in Washington DC hatten wir uns schon sehr gefreut – vor allem, weil wir dort eigentlich das 20-jähriges Bestehen unseres Chors feiern wollten!

Welche Unterstützung in dieser besonderen Situation würdest Du Dir wünschen?

Ich sag erst einmal, was mich gestört hat: Dass man die Probleme der Künstlerinnen und Künstler anfangs scheinbar nicht gesehen und ernstgenommen hat! Manche Informationen zu den Corona-Hilfen fand ich auch sehr widersprüchlich. Mein größtes Problem hatte allerdings weniger mit finanzieller Not oder mit abgesagten Konzerten zu tun, sondern damit, dass mir im Sommer der Mietvertrag meines Proberaums gekündigt wurde. Ich habe vier Monate suchen müssen, um einen vergleichbar großen Saal zu finden. Nutzen können werde ich den natürlich erst dann, wenn es die Corona-Situation wieder zulässt.

Reist Du nach wie vor in den Iran? Hast Du Kontakt zu Musiker*innen dort? Wie geht es ihnen aktuell dort?

Wenn es möglich ist, reise ich einmal im Jahr in den Iran, treffe mich dort mit alten Kolleginnen und Kollegen oder bummele in Teheran durch den Stadtteil Baharestan, in dem es besonders viele Instrumentenbauer und Musikgeschäfte gibt. Eigentlich hätte ich in diesem Jahr erstmals eine Studienreise zu den Musikkulturen Irans begleiten sollen. Dabei wäre es möglich gewesen, weitere Kontakte zu Musikern in fast allen Landesteilen zu knüpfen. Das ging natürlich wegen Corona nicht. Meine letzte Begegnung mit im Iran lebenden Musikern hatte ich deshalb beim Rudolstadt Festival 2019, bei dem Iran der Länderschwerpunkt war und zu dem auch ich mit Banu eingeladen war. An den Kolleginnen und Kollegen im Iran bewundere ich sehr, mit welcher Ausdauer und Energie sie es schaffen, sich immer wieder neu auf sich häufig verändernde Regeln einzustellen und ihre künstlerische Arbeit fortzuführen.

Was sind Deine Wünsche für 2021?

Wie alle anderen wünsche ich mir natürlich, dass es irgendwann mit dieser Corona-Pandemie zu Ende geht und wir wieder ein halbwegs normales Leben führen können. Für die Menschen im Iran wünsche ich mir bessere und menschenwürdigere Lebensbedingungen – losgelöst von allen Problemen, die durch Corona zusätzlich zu den schon so lange bestehenden hinzugekommen sind. Iran ist nämlich ein großartiges Land mit einer viele Jahrtausende alten Kultur und besonders gastfreundlichen Menschen. Ich wünsche mir sehr, dass viele Reisende aus dem Ausland beides in Zukunft wieder häufiger erleben und genießen können.

Infos: http://www.maryamakhondy.com, https://persischsingen.wordpress.com/singen-im-chor/

(Fotos: Bernd G. Schmitz)

Das ist kein pures Gerede. Leah und Chloe Smith waren noch nie einfach nur Menschen, die Musik machen, sondern Musik auch als eine Form des Aktivismus verstehen. 2006 zogen sie nach New Orleans, um die Stadtbewohner*innen nach dem Hurrikan Katrina beim Wiederaufbau zu unterstützen. Als Teil einer Grass Roots Bewegung musizieren sie seitdem auf Gatherings, Demos und Festivals, „carrying harmony into settings of upheaval and discord“, wie es auf ihrer Website heißt. Ganz im Sinne ihres Songs „Wider Circles“, der Mut machen will, sich anderen zu öffnen und neue Gemeinschaften zu bilden, mit anderen ihre Gedanken und ihre Musik zu teilen. Mit ihrem Projekt R.I.S.E haben sie ein globales Netzwerk von Künstler*innen, Aktivist*innen,  u.a. geschaffen, die auf Festivals und Straßenpartys gemeinsam performen und Workshops geben, sie kollaborieren außerdem mit dem Permaculture Action Network.

Und obwohl die Band bis vor wenigen Jahren alles selbst machte und bis heute nur ein kleines Management-Team hat, hat sich ihre Musik herumgesprochen. Sie spielen häufig in ausverkauften Hallen und auch die Presse ist aufmerksam geworden: Der Rolling Stone listete sie im Mai unter die “10 New Country Artists You Need to Know”. Als ich am Konzertabend das Frankfurter BETT betrat, hatte ich davon keine Ahnung und vorher nur kurz in zwei Songs reingehört. Als Opener war Temple Haze eingeladen, ein US-amerikanischer Singer-/Songwriter, der seit geraumer Zeit in Berlin lebt. Dass er auch als Yogalehrer arbeitet, erfahren wir nach einiger Zeit, und es erklärt, warum das Publikum seine Musik zunehmend im Sitzen genießen wollte. Seine sehr freie Art zu singen, seine Ausdrucksstärke und sein akzentuiertes Gitarrenspiel waren beeindruckend, aber eher geeignet, den Puls zu verlangsamen und sich nach einer bequemen Couch zu sehnen.

Nach seinem Set und einer kurzen Pause begannen Leah und Chloe Smith ihr Konzert mit einem A Cappella-Stück, das vom Publikum mit Begeisterung gewürdigt wurde. Schnell wurde klar, dass die beiden mit ihrem zweistimmigen Gesang über ein großes Maß an künstlerischem Potential verfügen. Zwei wunderschöne Klangfarben, die sie in ihren Arrangements interessant variiert und verfeinert haben, die zugleich kontrastieren und perfekt zusammenpassen. Mit Wechselgesang, harmonisch toll gesetzten Stimmen und fast schon percussivem Einsatz der Stimme und des Atems werden sie mich im Laufe des Abends immer wieder auch an Zap Mama erinnern. Nach dem ersten Stück greifen sie zu Gitarre und Banjo und später auch zu Fiddle und Rahmentrommel, ganz in der Tradition der traditionellen Musik der Appalachen, mit der sie aufgewachsen sind. Es ist diese traditionelle Musik, auf die sie sich berufen, die sie in ihren 13 Jahren gemeinsamer Bandgeschichte mit neuen Einflüssen vermischt haben.

Rising Appalachia (von re nach li: Biko Casini, David Brown, Leah & Chloe Smith)

Beim zweiten Stück kommen David Brown am Kontrabass und an der Gitarre sowie der Percussionist Biko Casini auf die Bühne, dessen Spiel eine nähere Betrachtung wert ist. Neben der Djembe spielt er ein Instrument, das aussieht wie ein aufgeschnittener Gymnastikball, es ist eine sog. Takamba Kalebassen-Trommel. Darauf schlägt er mit den Fäusten ein, hält dabei eine Rassel u.ä. in der Hand, was sich dann zusammen wie ein Schlagzeug anhört und gewaltig groovt. Die Band spielt schnellere Nummern wie „Find Your Way“ oder „Wider Circles“ und das vorwiegend weibliche Publikum tanzt begeistert. Natürlich spielen sie auch ihren „Hit“ „Medicine“, den ich seit dem Konzert als Ohrwurm fröhlich mit mir herumtrage.

Vieles strahlt eine friedvolle Stimmung aus wie das grandiose „Lean In“ oder „Scale Down“, wo die Stimmen der beiden Schwestern sich wie Balsam auf die Seele legen. Ich weiß nicht, ob es nur mir so ging, aber ich hatte das Gefühl, dass Hoffnung in der Luft liegt: kann es sein, dass wir doch von einer schöneren Welt träumen dürfen und dass es viel mehr Gleichgesinnte gibt, als wir denken? Ihre neuste Single “Resilient” macht genau das zum Thema: wie können wir der Politik der Angst, die uns entmutigt, Widerstand leisten und uns immer wieder engagieren und für Vielfalt einstehen?

It’s about remembering that difficult times are the makeup of each of us, and we have the opportunity to triumph over that. This song came like wildfire from our hearts and found its way to the page on its own. Now, we sing it to the world and send it to anyone needing to be reminded of their own resilience,” sagt Chloe Smith über den Song. „It’s about Standing Rock, it is about the Prison justice movement, it is about urban mural projects and bike cooperatives and re-wilding efforts and front porch gardens… it is about land preservation and indigenous rights and the crossroads between arts, justice and tradition”, ist von Leah Smith zu lesen.

Nicht alles ist in Englisch, da sind das spanische „Caminando“ und ein bulgarisches Lied namens „Zavidi Me Lalino“, das die schöne Reibung der traditionellen Gesangskunst Bulgariens offenbart. Am Ende erklingt „Downtown“, wo sich HipHop in Leahs Gesang mischt und ein noch kämpferischer Ton Einzug hält. Keine Frage, mit dieser Band kann frau nicht nur einen tollen Abend verbringen – sie hat das Zeug, Menschen zusammenzubringen und Veränderung ins Rollen zu bringen. Während ich dies schreibe, höre ich in den Nachrichten vom befürchteten Wahlsieg der Rechtspopulisten in Schweden (!). Da hilft nur noch Musik: „I am resilient | I trust the movement | I negate the chaos | uplift the negative | I’ll show up at the table | again and again and again | I’ll close my mouth and learn to listen“, heißt es in dem Song „Resilient“. Er wird in den nächsten Monaten noch oft bei mir zu hören sein.

Tourtermine:
09.09. Lido/Berlin
12.09. Studio Foce/Lugano (CH)
13.09. Alhambra/Genf (CH)
14.09. Volkshaus/Zürich (CH)

http://www.risingappalachia.com/

(Titelfoto: Chad Hass)

Angefangen hat alles vor 15 Jahren, als Irene Schindele und Inka Kuchler ihr Straßenmusik-Duo gründeten, beide in den Zwanzigern, Schindele ist Sprachstudentin, Kuchler Logopädin mit dem ersten Kind. Der Traum, durch Europa zu reisen, ist verlockend, sie spielen erste Konzerte und reisen durch Deutschland, Österreich und Spanien. Bis 2005/6 braucht der Entschluss, die Leidenschaft für die Musik zum Beruf zu machen. Nach einer schmerzlichen Erfahrung mit einem unseriösen Produzenten bringen sie 2008 in Eigenregie und mit einer neu gegründeten Band ihr Debütalbum „Allgäu“ heraus. Die künstlerische Zusammenarbeit erweist sich als sehr fruchtbar, in steter Regelmäßigkeit veröffentlicht die Band eine CD nach der anderen, 2009 das erste unplugged Album „Lebenstanz“, „D`Aufstand“ (2010), „Verlockung“ (2011) und „Jäger der Glückseligkeit“ (2014). Auch drei Kinder erblicken das Licht der Welt und werden in dieser kreativen Schaffensphase groß. Schließlich bringen die beiden „Eine Welt“ (2016), erstmals auf Konstantin Wecker’s Label „Sturm & Klang“ heraus.

Der Titel ist gleichsam Lebensmotto: der Glaube an eine Welt, die gerecht ist und gleiche Chancen für alle bietet. Mal sparsam vor allem mit filigranen Gitarren und perlenden Klavierklängen instrumentiert, dann rockig mit Band umgesetzt, singen die beiden mit ineinander verschlungenen schönen Stimmen von dem, was ihnen wichtig ist. Vom „grundlos Glücklichsein“, das vom rastlosen Drang nach immer mehr Geld und Besitz verdrängt wird, von ewig Gestrigen, die anderen das Leben schwermachen und dem „Großmaul Arnulf“, der gewohnt ist, dass alle vor ihm kuschen. Vom Gefühl der grenzenlosen Freiheit, einfach genau das tun zu können, wonach einem ist, aber auch von Einsamkeit und vom Verlassen werden. Und von der Liebe: „i bin erscht dahoim, wenn i bei dir bin“, der Sehnsucht nach dem Liebsten. Dabei schätzen sie die künstlerische Freiheit, neben Songs im allgäuerischen Idiom singen die beiden auch auf Englisch und Hochdeutsch. Wie in ihrer neuen Single „Schneeflockennacht“, die gerade erschienen ist und den beiden ein großes Publikum beschert hat. Der Song ist nämlich im Intro und Outro des brandneuen Augsburger Puppenkiste Kinofilms „Als der Weihnachtsmann vom Himmel fiel“ zu hören und wird bereits viele Kinder- und Erwachsenenohren verzaubert haben.

Herzlichen Glückwunsch zum Release Eures Songs „Schneeflockennacht“, der derzeit im Kinofilm „Als der Weihnachtsmann vom Himmel fiel“ zu hören ist. Wie fühlt sich das an?
Es ist einfach wunderbar! Bisher hatten wir ja noch gar nie die Chance einen Song für Kino oder Fernsehfilm zu schreiben und dass es dann gleich geklappt hat… Wahnsinn! Als wir die Zusage bekommen haben, sind wir vor Freude wirklich durch die Zimmer gehüpft und konnten unser Glück kaum fassen.

 

Wie kam es dazu, dass ein Song von Euch für die Augsburger Puppenkiste verwendet wurde? War es eine Auftragsarbeit?
Ja, Fred Steinbach von KIKO Productions hat durch unseren Promoter Gerhard Zimmermann von musicmutepromotion von uns und unserer Musik gehört. Daraufhin hat er uns nach Augsburg eingeladen und uns das Outro gezeigt. Wir kannten die Geschichte, auf welcher der Film basiert, was sehr hilfreich war, und haben daraufhin innerhalb von 3 Tagen den Song geschrieben: einen Winter-Weihnachtssong, Ende Mai, bei ca. 30° C im Schatten.

Habt Ihr früher selbst die Augsburger Puppenkiste geschaut?
Ja klar und mit unseren Kindern waren wir auch schon in der Augsburger Puppenkiste. Die Augsburger Puppenkiste kennt wirklich jeder und ist einfach Kult!

Ihr seid ja inzwischen selbst Mütter je zweier Kinder, haben die den Film schon gesehen? Wie fanden sie ihn und wie finden sie Eure Musik?
Ja, drei von unseren vier Kindern waren bei der Premiere dabei. Ihnen hat der Film total gut gefallen, sie haben mitgefiebert und viel gelacht. Dass wir dann im Anschluss noch unseren Song live spielen durften, fanden sie total cool, und bisher gefällt ihnen unsere Musik. Sie kennen viele Texte auswendig, lernen mittlerweile Klavier und Gitarre und bereiten sich insgeheim schon mal darauf vor, eines Tages Vorband von VIVID CURLS zu sein.

Wenn man Eure Biografie liest und Euch auf Fotos sieht, denkt man unwillkürlich an den Spruch „Freunde sind die Familie, die man sich selbst aussucht“. Ihr seid beide in Wiggensbach im Allgäu aufgewachsen, seht aus wie Schwestern, habt aber erst in den Zwanzigern angefangen, zusammen Musik zu machen. Seid Ihr Euch vorher nie über den Weg gelaufen?
Wir kannten uns schon, allerdings gibt es einen Altersunterschied von drei Jahren, so dass wir früher nicht wirklich Kontakt hatten. Wir wurden aber immer verwechselt, auf der Bank, beim Einkaufen… Auf einem Fußballspiel in Wiggensbach sind wir dann zum ersten Mal ins Gespräch gekommen, bald darauf haben wir angefangen in meiner kleinen Altbauwohnung zu proben. Jedes Wochenende, wenn unsere Freunde auf Partys gegangen sind, saßen wir bei mir im Badezimmer und haben 2. Stimmen geübt… es war wunderbar und wir hätten uns nichts Schöneres vorstellen können. Wir hatten damals den Traum, mit dem VW-Bus durch Europa zu fahren und Straßenmusik zu machen.

Ihr habt vor 15 Jahren als Straßenmusikerinnen begonnen, was hat Euch damals gereizt?
Straßenmusik zu machen ist einfach fantastisch, wir lieben das. Man sucht sich bei gutem Wetter einen schönen Platz und tut das, was man am liebsten macht und bekommt auch noch Geld dafür… nicht wirklich viel vielleicht, aber für ein leckeres Essen hat es immer gereicht. Wir haben einige Zeit wirklich viel auf der Straße gespielt, auch in Österreich, der Schweiz, Italien und Spanien. Was wir da alles erlebt haben! Schade, dass wir heute wirklich kaum noch Zeit dafür haben. Im Sommer 2017 haben wir mal wieder zusammen mit unserer Band Straßenmusik gemacht, da gibt es, glaub ich, sogar ein Video auf YouTube… es war einfach genial.

Ihr habt erst mit englischen (Cover-)Songs angefangen, dann begonnen, Eure Songs im Allgäuer Dialekt zu schreiben und damit aufzutreten. Was bedeutet es Euch, in Mundart zu singen?
Es ist halt unsere Muttersprache und vielleicht sind die Texte dadurch noch intimer. Unser Dialekt klingt auch einfach schön und viele Leute lieben ganz speziell den Allgäuer Dialekt, weil sie damit schöne Assoziationen wie Urlaub, Wandern, Berge etc. haben. Wir schreiben aber auch nach wie vor englische, hochdeutsche oder spanische Texte. Uns gefällt gerade diese Vielfalt.

Wie hat das Publikum darauf reagiert? Es kommt ja nicht so häufig vor, dass in Mundart gesungen wird…
Gut und mittlerweile ist das ja nichts Außergewöhnliches mehr.

„Haben Simon & Garfunkel Töchter im Allgäu?“ fragte die Hohenzollerische Zeitung in einem Artikel über Euch – freut Euch das? Wer waren Eure Vorbilder?
Dieser Artikel hat uns unglaublich gefreut! Wir hatten einige Menschen, Musiker, die uns beeinflusst haben, die Beatles, Simon & Garfunkel, Herbert Grönemeyer aber allen voran natürlich die Frauen: Alanis Morissette, Sheryl Crow, Melissa Etheridge, Jewel… es gibt wirklich großartige Musikerinnen.

Aktuelle CD „Eine Welt“ (Sturm & Klang, 2016)

Ihr habt in acht Jahren sieben Alben aufgenommen, wie habt Ihr das geschafft? Ihr macht ja alles selbst, Booking, Management, Songs schreiben, und Kinder ziehen sich ja auch nicht von allein groß… Was ist Euer Erfolgsgeheimnis?
Ja, eine Zeit lang waren wir sehr produktiv auf verschiedenen Ebenen. Das war aber auch teilweise sehr anstrengend, gerade als wir die Kinder noch gestillt haben. Da mussten unsere Männer mit und in der Konzertpause haben wir gestillt. Mittlerweile ist es einfacher und die Bereiche sind ganz klar aufgeteilt. Jeder hat seine Aufgaben und es macht einfach viel Freude. Außerdem haben wir gelernt sehr effektiv zu arbeiten und insgesamt schauen wir schon, dass wir nicht zu viel arbeiten. Die Kinder stehen fast immer an erster Stelle, und nur wenn es unseren Familien gut geht, können wir mit gutem Gefühl auf Tour.

Wie entstehen Eure Songs?
Meistens hat man ein Thema, das einen so beschäftigt, dass man ein Lied schreiben muss. Aus Freude, aus Wut, aus Angst, aus Liebeskummer, aus Trauer, aus Lebensfreude oder aus Liebe. In der Regel schreibt jeder für sich und dann treffen wir uns, um an den Liedern zu arbeiten. In der letzten Zeit haben wir aber auch oft zusammen an den Liedern gearbeitet.

Eure Songs enthalten ja häufig Botschaften ans Publikum, über Themen, die Euch unter den Nägeln brennen, wie Eure Eine-Welt-Kampagne. Könnt Ihr uns darüber mal was erzählen?
Wir glauben aus tiefstem Herzen an Gleichheit, Gerechtigkeit, Liebe, Toleranz, Freiheit und Mitgefühl. Wir glauben an die Menschlichkeit und wir glauben, dass es allein in unseren Händen liegt, wie die Welt aussieht in der wir leben. Gemeinsam können wir die Welt verändern und unsere Träume Wirklichkeit werden lassen. Dazu wollen wir die Menschen ermutigen, bei jedem einzelnen Konzert ist dies unsere Botschaft.

Vivid Curls mit Konstantin Wecker, live in der Bigbox Kempten (Dez 2017)

In diesem Jahr standet Ihr mit Konstantin Wecker auf der Bühne, Euer Album „Eine Welt“ (2016) ist auf seinem Label „Sturm & Klang“ erschienen. Was hat sich jetzt alles für Euch verändert, haben sich dadurch neue Möglichkeiten ergeben?
Mit Konstantin und seiner genialen Band auf der Bühne zu stehen ist einfach unfassbar und natürlich öffnen sich dadurch auch wieder neue Türen. Wer hätte geglaubt, dass wir eines Tages mit ihm auf einer Bühne stehen und gemeinsam einen Song von uns singen. Wir sind darüber so glücklich und das gibt einem schon wirklich Rückenwind. Wir sind seit einigen Jahren einfach sehr dankbar und sehr zufrieden mit dem was ist. Wir werden sehen, was passiert, und sind gespannt auf das, was kommt.

Wie geht es jetzt weiter bei Euch?
Wir gehen 2018 nochmal ausgiebig auf EINE-WELT-TOUR, der Tourplan ist voll, wir schreiben an neuen Liedern und l(i)eben das Leben.

Tourtermine:

22.02.18 Augsburg, Kresslesmühle
24.02.18 Pfaffenhofen, Fiddler’s Green
09.03.18 Westendorf, Gasthof Schmidbauer „Zur Krone“
10.03.18 Freising, Lindenkeller
16.03.18 Kornwestheim, Casino
17.03.18 Balingen, Kulturbahnhof

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