Was bedeutet dir deine Chorarbeit?
Die Chorarbeit ist ein wichtiger Teil meiner verschiedenen Tätigkeitsfelder als Musikerin. Ich liebe die Arbeit mit Gruppen – insbesondere mit Chören, denn hier kann ich auch gleichzeitig viele meiner Fähigkeiten und Interessen einsetzen, wie zum Beispiel Arrangieren, Komponieren, Theater, Choreografie, Programme konzipieren und Humor ausleben. Es macht mir Freude, auf die Endprodukte von themenorientierten Chorprojekten hinzuarbeiten und im optimalen Fall zu erreichen, dass alle Beteiligten mit Begeisterung und Spaß dabei sind. Da momentan einige Bereiche lahmgelegt sind – Live-Acts, Konzerte, Posaunenspiel etc., – ist mir besonders wichtig, dass innerhalb der regelmäßigen Probenarbeit meiner Chöre kein Stillstand erfolgt – und dazu möchte ich gerne beitragen.
Welche Strategien hast du seit dem letzten Jahr gegen diesen Stillstand entwickelt?
Nach der ersten „Schockstarre“ wurde mir ziemlich schnell klar, dass die gesamte Probenarbeit anders werden würde. Ich habe mich dann langsam vorgetastet in dem, was machbar ist, immer aber – so gut es ging – orientiert am Feedback der Sänger*innen. Jeder Fall liegt anders: Es macht einen Unterschied, ob bei einem Chor gerade ein neues Programm in Entwicklung ist, oder ob ein Chor wegen Corona-Auflagen die Premiere des aktuellen Programms nicht aufführen kann. Was ich insgesamt in dieser Zeit sehr wichtig finde, ist Beziehungsarbeit zu leisten und mitzuhelfen, dass die Chorgemeinschaft bestehen bleibt. Außerdem habe ich für mich auch neue Arbeitsbereiche entdeckt wie zum Beispiel die Audio-Bearbeitung, was mir wiederum neue Möglichkeiten in Bezug auf Komponieren und Arrangieren eröffnet. Aber bei allem Bemühen habe ich natürlich auch regelmäßig Zweifel und Durchhänger, wenn ich darüber nachdenke, wie sich alles in Zukunft entwickeln und in welcher Form ein Live-Musizieren wieder möglich sein wird: Anknüpfen, Neubeginn, Aufhören oder Weitermachen?
Was kann man während der Pandemie mit Chören überhaupt machen?
Für mich haben sich konkret einige Themen angeboten, die besonders gut geeignet sind, weil vermutlich die Sensibilität aller Beteiligten dafür nur in dieser Zeit vorhanden ist. Ich wollte Corona künstlerisch thematisieren, und so sind Audio- und Video-Collagen entstanden, die eine emotionale Beteiligung der Chorsänger*innen erforderten, wie z.B. das „Corona-Tagebuch“ (Die Dissonanten Tanten) oder die „O-Töne aus der Quarantäne“ (Sound of Praunheim – Frauenchor). Beim Hochschulchor der Frankfurt University of Applied Sciences konnte ich noch im Sommersemester 2020 an einer Auftragskomposition für Bigband und Chor arbeiten, der „ViruSuite“. Aber inzwischen ruht dort der gesamte musikalische Betrieb. Mit jedem meiner Chöre erarbeite ich andere Inhalte, immer aber mit vielen kompositorischen Elementen und eigenem Herzblut: Zum Beispiel hatte ich als Lehrbeauftragte der Fra-UAS im Wintersemester 2020/21 die Möglichkeit, ein Projekt mit Studierenden durchzuführen, was ich speziell auf junge Leute zugeschnitten hatte. Es hieß „Isoliert und angeschmiert – Soundschnipsel von drinnen für draußen“.
Weitere aktuelle und geplante Kompositionen für Chor sind zum einen die „Flexionen II/ Deklinationen“: Darin werden „böse“ Hauptworte, die mit Corona zusammenhängen, im Singular und im Plural buchstäblich kaputt dekliniert. Über diesem vermeintlichen Chaos entfaltet sich dann eine hoffnungsvolle Melodie. Das zweite Projekt heißt „Dum spiro, spero“, in dem unter anderem der Atem eine zentrale Rolle spielt – da ist also ein Bezug zu Corona, aber auch zu dem Konzept der bipolaren Atemtypen, der Terlusollogie, denn es geht um aktiven Einatem und aktiven Ausatem. Außerdem sind darin mit den Worten von Cicero Schlüsselbegriffe des Menschseins angesprochen: Atem, Hoffnung, Liebe, Leben. Die Vertonung dieser Worte erfolgt mit pentatonischen Motiven, die pandemische Ausmaße annehmen, wieder also ein Corona-Bezug, in diesem Fall zur Fülle des gewählten Tonmaterials. Für dieses digitale Projekt suche ich auch überregional noch singende Menschen, die an einer Teilnahme interessiert sind. Was allgemein die Struktur meiner Online-Proben betrifft, da biete ich kleinteilige Angebote aus unterschiedlichen Bereichen an: Neben der Repertoire-Arbeit und dem Erarbeiten neuer Songs findet in den virtuellen Chor-Sessions Platz, was sonst in den normalen Chorproben zu kurz käme, wie Gehörbildung, Musiktheorie und Rhythmik. Schwierige Stellen werden durch die Lupe betrachtet, und das Teilen des Bildschirms gewinnt eine gemeinschaftliche Dimension der besonderen Art.
Und wie kommt diese andere Arbeit bei den Mitgliedern an?
Natürlich gibt es von Seiten der Chorsänger*innen unterschiedliche Reaktionen auf das neue Online-Format und zum Teil auch auf die Inhalte, die ich anbiete: Nicht alle wollen oder können sich mit dem ungewohnten Format anfreunden, aber der Großteil freut sich über die Angebote, die ich mache und dankt es mir mit Teilnahme und Engagement. Niemand wird ja gezwungen, bei den Corona-inspirierten Projekten mitzumachen, deswegen mache ich gleichrangig dazu alternative Singangebote, sodass die Leute eine Wahl haben und sich inhaltlich damit identifizieren können.
Und du selbst? Wie bindest du jetzt im Lockdown Musik in deinen Alltag ein?
Ich höre momentan kaum Musik, es ist, als ob alles eher in mir drin stattfindet. Was mir Spaß macht ist das Arrangieren und Komponieren sowie das Schreiben neuer Konzepte, egal, ob sie jemals umgesetzt werden. Unterm Strich habe ich viel weniger zu tun, aber das, was ich tue, mache ich gründlicher und fokussierter. Ich sondiere mein gesamtes Notenmaterial, bearbeite alte Musikskizzen neu und verwerfe auch vieles. Außerdem bin ich seit vielen Jahren schon im Musikausschuss des Sängerkreis Frankfurt e. V. ehrenamtlich tätig, seit Januar 2021 als Kreis-Chorleiterin: Da gibt es momentan viel zu tun, um den angeschlossenen Mitglieds-Chören Perspektiven für chorische Aktivitäten zu bieten und mitzuhelfen, dass das Chorleben trotz gesangsfeindlicher Corona-Auflagen nicht zum Erliegen kommt.
Welche Strategien hast du für dich gefunden, um gut mit der schwierigen Lage umzugehen?
Offenbleiben für Neues, dabei in meinen Angeboten die Menschen, mit denen ich arbeite, auch von Überraschendem, Ungewohnten überzeugen, auf jeden Fall mehrgleisige Angebote machen, damit sich alle wiederfinden können und vor allem – so gut es geht – positiv bleiben. Ich habe schon das Gefühl, dass es weitergeht – momentan passiert das nur in einem anderen Modus. Es wird anders gelernt, anders aufgenommen, das kann man sich zunutze machen. Natürlich wünsche ich mir – wie wahrscheinlich alle – den Zustand von „früher“ wieder zurück, aber ich glaube nicht, dass wir so einfach den Schalter wieder umlegen können…
Und was fehlt dir trotz allem?
Wirklich lebendige Kommunikation – wie ich mir sie vorstelle – sehe ich momentan bei den Online-Chorproben noch nicht, aber vielleicht ist das auch ein Lernprozess. So kurios es klingen mag: Manchmal wünsche ich mir, dass jemand dazwischenredet, mir widerspricht oder irgendetwas Spontanes sagt.
Und nicht zuletzt fehlt mir natürlich meine Posaune als Ausdrucksmittel, sie muss schleunigstwieder „zum Zuge“ kommen…
Mehr über Viola Engelbrecht und ihre Projekte ist hier nachzulesen:
(Titelbild: Die „Dissonanten Tanten singen das Programm „Märchenhaft“, Foto: Dietrich vom Berge)


Dass Akhondy ihre Heimat verließ, hat ihr zu großer künstlerischer Freiheit verholfen, die sie in Ensembles wie der Band Paaz nutzt oder dem Chor Banu, der wahrscheinlich einzigen iranischen Frauen-A Capella Gruppe weltweit. Bis zu 25 Sängerinnen zwischen 25-65 Jahren kommen donnerstags zur Probe, aber bei Konzerten stehen meist nur 7 von ihnen auf der Bühne. Eine Unmöglichkeit in ihrer Heimat, denn Frauen ist dort das öffentliche Musizieren und Singen nur ganz eingeschränkt möglich: vor weiblichem Publikum dürfen sie solistisch öffentlich auftreten, vor gemischtem Publikum aber nur, wenn ihr Gesang von männlichen Gesangsstimmen überdeckt wird. Wie sie die Islamische Revolution und den Umzug nach Deutschland erlebt hat und was ihren Chor so besonders macht, erzählt sie uns in folgendem Interview.
Das war kurz vor dem Jahr 2000. Da bekam ich Lust, mehr über die Volksmusik meiner iranischen Heimat zu erfahren. Weil ich ja aus der traditionellen persischen Kunstmusik komme, die man vom Anspruch her vielleicht mit der klassischen europäischen Musik vergleichen könnte, wusste ich gar nicht soviel über die Volksmusik Irans. Mit einigen meiner in Köln lebenden iranischen Gesangsschülerinnen gründete ich deshalb einen kleinen Chor, der vorerst nur aus sieben Frauen und mir bestand. Reizvoll war daran auch, dass wir keine zusätzlichen Musiker brauchten – Klanghölzer und Rahmentrommeln reichten völlig aus, um unseren Gesang selbst zu begleiten.
Es ist das Eintauchen in ein weiteres mit dem Iran verbundenes Genre und noch einmal etwas wesentlich Anderes als der Schritt, den ich seinerzeit von der klassischen persischen Kunstmusik meines Ensembles Barbad hin zu den mit meinem Frauenchor Banu gesungenen Volksliedern machte. Natürlich geht es auch um schöne Erinnerungen an meine Jugend. Die meisten der Paaz-Stücke entstanden ja in den 1950er bis 1970er Jahren, in denen sich viele iranische Komponisten von populärer europäischer Musik inspirieren ließen.
Wenn es möglich ist, reise ich einmal im Jahr in den Iran, treffe mich dort mit alten Kolleginnen und Kollegen oder bummele in Teheran durch den Stadtteil Baharestan, in dem es besonders viele Instrumentenbauer und Musikgeschäfte gibt. Eigentlich hätte ich in diesem Jahr erstmals eine Studienreise zu den Musikkulturen Irans begleiten sollen. Dabei wäre es möglich gewesen, weitere Kontakte zu Musikern in fast allen Landesteilen zu knüpfen. Das ging natürlich wegen Corona nicht. Meine letzte Begegnung mit im Iran lebenden Musikern hatte ich deshalb beim Rudolstadt Festival 2019, bei dem Iran der Länderschwerpunkt war und zu dem auch ich mit Banu eingeladen war. An den Kolleginnen und Kollegen im Iran bewundere ich sehr, mit welcher Ausdauer und Energie sie es schaffen, sich immer wieder neu auf sich häufig verändernde Regeln einzustellen und ihre künstlerische Arbeit fortzuführen.