Wir sind alle nur Menschen – Alice Phoebe Lou im Zoom Frankfurt (06.05.2025)
Dienstagabend, Anfang Mai. Der Voract hat gerade erst losgelegt, dafür ist das Zoom schon ziemlich gut gefüllt. Das Publikum: eher jung, zurückhaltend, aber sehr aufmerksam. Es ist diese Art von Konzertabend, bei dem man sich mehr treiben lässt, als dass man Erwartungen hegt. Und das war vielleicht nicht schlecht so.
Den Auftakt machte Strawberry Guy, ein britischer Indie-Pop-Musiker, mit atmosphärischen Klavierstücken unterlegt mit Streichersamples. Besonders sein zauberhaftes Klavierspiel & Gespür für Melodieführung ließen uns dahinschmelzen – bis zu den auffällig abrupten Enden seiner Stücke, die das schwelgende Publikum verblüfften, aber mit einem Lächeln im Gesicht in den Club zurückholten. Ein stimmiger Einstieg!
Alice Phoebe Lou kam ohne Begrüßung auf die Bühne. Kein Tamtam, kein sich-feiern-lassen – einfach da, Gitarre auf und losgelegt. So angenehm unaufdringlich wie der Abend begann, ging er auch weiter. Die Musik der südafrikanischen Singer-/Songwriterin – irgendwo zwischen Indie-Folk, leichtem Country und einem Hauch Soft Rock – plätscherte vor sich hin. Schön, aber nicht wirklich bewegend.
Es gab kaum Ansagen, wenig Kontakt zum Publikum. Der Fokus lag klar auf der Musik, was erstmal nichts Schlechtes bedeuten muss. Die Stimme von Alice Phoebe Lou ist unbestritten schön und ihre 4-köpfige Begleitband, bestehend aus Drums, Keys, E-Gitarre & Bass bestand aus absolut versierten Musikern. Nur fehlte es dem Auftritt insgesamt an Spannungsbögen. An Begeisterung für die Musik und das Zusammenspiel auf der Bühne war leider wenig zu spüren, vieles wirkte, als würde es auf einer Stimmungsebene verharren.
Eine mögliche Erklärung dafür liefert der einzige wirklich persönliche Moment des Abends: Noch während des ersten Konzert-Drittels verließ Lou kurz die Bühne und kehrte nach einigen Minuten, die von der Band mit einem Instrumentalpart überbrückt wurden, sichtlich aufgewühlt zurück. Mit einem kurzen „Sorry“ überspielte sie den Moment, der das Publikum irritiert zurückließ. Etwas später, als die Band gerade die Bühne für ein paar Solo-Songs verlassen hatte, erzählte sie: „I’m playing through some pain tonight […] but I’m with you as much as I can be tonight.“ Danach folgte ein Solosong an der Gitarre – für mich der stärkste Moment des Konzerts. Weil es ein toller Song war und eine Abwechslung vom immer ähnlich klingenden Soundteppich, den die Band sonst unterlegte, aber auch weil Lou in dem Moment das erste Mal an diesem Abend keine unnahbare Person mehr war, sondern eben einfach ein ganz normaler Mensch, der gerade keinen besonders guten Tag hat – und das bedarf keiner weiteren Erklärung.
Mein Fazit: Es war ein netter Abend, die Musik war angenehm, jedoch ohne wirklich zu berühren. Musikalisch hat das Konzert bei mir nicht lange nachgewirkt, vielleicht weil zu viel gleich klang, vielleicht weil zu wenig zu den einzelnen Songs gesagt wurde. Was jedoch blieb, ist das Bewusstsein, dass Musiker*innen eben auch nur Menschen sind, manchmal überfordert, manchmal nicht ganz da – und trotzdem von ihnen erwartet wird, dass sie bei jeder Show voll abliefern. Hm…
Belqis Schuber
Lizz Wright begeistert im Savoy Düsseldorf
Leicht verspätet beginnt das Konzert im Savoy Theater am 14. März 2025. Doch das Publikum im komplett ausverkauften Saal ist geduldig. Als Lizz Wright endlich die Bühne betritt, bricht frenetischer Beifall aus. In den letzten Jahren hat die Sängerin, deren Debütalbum „Salt“ sich 2003 auf Anhieb unter den Top-Ten der US-Jazz Charts platzierte, auch hierzulande eine große Fangemeinde gewonnen. Das erste Mal live in Deutschland zu hören war sie im April 2008. Seitdem ist sie mehrmals zurückgekehrt. 2011 trat sie auf dem JazzFest Berlin auf, auch 2012 tourte sie durch Deutschland. Ein Jahr später war sie im Vorprogramm von Gregory Porter unterwegs. Im Juli 2016 trat sie beim Jazzopen Stuttgart auf und 2019 sang sie auf dem Rudolfstadt Festival. Jetzt kam sie im März nach Düsseldorf.
Bevor sie den ersten Song des Abends, ein Spiritual intoniert, wird’s kurz etwas politisch. In Anspielung auf den jüngsten Ereignissen in den USA erklärt sie sich solidarisch mit den Menschen Kanadas, und fügt hinzu, dass sie dieses Land liebe, ein Land mit so viel Kultur und Natur. Sie wird an diesem Abend ein paar Songs von kanadischen Interpretinnen singen. Und die Natur wird dabei auch eine bedeutende Rolle spielen. Fast intim, erzählt sie von ihrer Reise zurück zur Natur. Sie habe sich in die Wildnis zurückgezogen, um von der Natur umgeben zu sein und habe dort festgestellt, wie wichtig die Natur für sie und ihr musikalisches Schaffen sei. Die Berge, die Täler, der Wald… daraus hole sie sich Inspiration. Dazu passen die Songs, mit denen sie den Abend eröffnet: „Sparrow“ ein Natur-Spiritual, und „Lost in the Valley“, ein ebenfalls von der Natur handelndes Lied mit Country-Anklängen und einem langen Solo des Keyboarders. Mit ihrer sanften, wandelbaren Stimme, die von Jazz, Blues und Soul bis hin zu Folk und Country reicht, präsentiert die Sängerin eine schillernde Klangwelt. Bluesig der Song “Sweet Feeling”, bei dem das Publikum nun begeistert mitklatscht, laut und funky ihre Interpretation des Spirituals “Walk With Me”, bei dem der Keyboarder sich die Mütze vom Kopf reißt. „Very old school“ sei das, kommentiert die Sängerin im Anschluss. Nach so viel schweißtreibende Energie folgen zwei ruhige Nummern. „Freedom“, ein Song, bei der sie alle Facetten ihrer Stimme einsetzt und auch ihre Fähigkeiten am Klavier zum Besten gibt. Mit einer Coverversion der christlichen Ballade „Grace“ von der kanadischen Singer-Songwriterin Rose Cousins endet das Konzert nach knapp 60 Minuten und 10 Songs. Natürlich will und bekommt das Publikum eine (eingeplante) Zugabe, die auch das Rätsel der Leinwand löst, die während des ganzen Konzerts hinten auf der Bühne aufgespannt ist. Als Zugabe singt Wright eines der bekanntesten Spirituals überhaupt, „Amazing Grace“, während auf der Leinwand ein Video mit idyllischen Naturbildern und in weißen Gewändern gekleideten, sich im Kreise drehenden Tänzerinnen läuft. Im Saal werden Handylichter geschwenkt. Mit diesem perfekten Kitsch-Moment geht das Konzert zu Ende. Eine weitere Zugabe gibt es nicht.
Mein Fazit: Ein wenig Soul, ein wenig Blues, ein wenig Country und Funk, dazwischen die intim wirkenden direkten Ansprachen ans Publikum ergaben einen rundum routinierten, gelungenen Konzertabend. Ein paar kleine Kanten hätten dieser glatten Performance nicht geschadet.
Wer Lizz Wright live erleben möchte: Im November tritt sie bei den 46. Leverkusener Jazztagen und den Kulturtagen Oldenburg auf. Ihr aktuelles Album heißt „Shadow“ und ist 2024 auf ihrem eigenen Label Blues & Greens Records erschienen.
Tina Adomako
Tutu Puoane begeisterte bei den Hildener Jazztagen (19.08.2021)
Tutu wer? Auch mir war der Name der Jazz-Sängerin bis zu ihrem Auftritt bei den 25. Hildener Jazztagen kein Begriff. Dabei ist die Südafrikanerin seit langem eine der eindringlichsten Stimmen der zeitgenössischen Musikszene in den Benelux-Ländern.
In Pretoria geboren und aufgewachsen, studierte sie später Jazz-Vocals an der University of Cape Town, ehe sie 2002 nach Holland wechselte, um ihre Gesangsausbildung am Königlichen Conservatorium von Den Haag fortzusetzen. In Südafrika war sie zu diesem Zeitpunkt schon bekannt. 2004 gewann sie dort den renommierten Standard Bank Young Artist of the Year Award. Auch bei unseren Nachbarn in den Niederlanden und Belgien ist sie eine feste Größe in der Jazzszene. Dort tourte sie vor Corona mit ihrem The Joni Mitchell Projekt, mit den einzigartigen Songs und Texten der kanadischen Sängerin, die sie auf eine persönliche Art und Weise interpretierte.
Für Hilden wählte sie nun ganz neue Songs aus. Das Publikum kam in den Genuss noch nicht veröffentlichter Kompositionen der Sängerin, in denen sie Gedichte der südafrikanischen Performance-Künstlerin und Aktivistin Lebogang Mashile vertont. Ob dieses Programm die richtige Wahl für das Hildener Publikum war? Wären Joni-Mitchell-Songs vielleicht besser gewesen? Immerhin ging es in den Songs sehr viel um Themen rundum Black Lives Matter. „Being African is being part of an unseen force“, sang Tutu zur Eröffnung. Während das Publikum frierend in Parkas und Steppjacken auf auf Abstand gehaltenen Plätzen saß, trat die Sängerin in einem luftigen Jumpsuit auf – und präsentierte Songs, die nicht gerade dazu geeignet waren, eine wohlige Wärme zu verbreiten. Es ging um Vorurteile, um Ungerechtigkeiten, um das Schicksal von Menschen, die in einer „suicidal skin“ leben. Insbesondere ging es in den Songs auch um das Schicksal Schwarzer Frauen, die ihre Schönheit nicht sehen, sich die Haare glatt ziehen und trotzdem der Gesellschaft nie genügen. „Open your eyes“ singt sie emotional in ihrem zweiten Stück, öffnet eure Augen für die Ungleichheiten, und scheint den Tränen nahe zu sein, als sie diesen Song mit der Frage schließt: „When will it end?“
Dazwischen geht es aber auch etwas leichter zu, etwa wenn sie im Duett mit ihrem Pianisten Ewout Pierreux die liebliche Ballade „You and I“ singt, wenn sie ihre Stimme zum Instrument werden lässt, das die ganze Bandbreite der Töne einer Posaune nachahmt, oder wenn sie im beeindruckenden Scat-Gesang Laute der Xhosa-Sprache mit einfließen lässt, und das Publikum auffordert, ausgerechnet diese Stellen mitzusingen. Für mich als Schwarze Zuhörerin waren die Songs überwiegend traurig und bedrückend, doch auch wer die Texte nicht verfolgt oder nicht verstanden hat, erlebte ein berührend schönes Konzert. Und wird den Namen Tutu Puaone im Repertoire zeitgenössischer Jazz-Sängerinnen sicherlich so schnell nicht vergessen (Fotos: Zbyszek Lewandowski).
Konzertbesetzung: Tutu Puoane (SA/BE), voc – Ewout Pierreux (BE), p/ komp – Jasen Weaver (USA/BE) , b – James Williams, (USA/BE), dr
Tina Adomako