Singen bei gleicher Lautstärke ist nicht infektiöser als Sprechen
Berichte über SARS-CoV-2-Ausbrüche in Chören haben zu einem weitgehenden Verbot von Konzerten beigetragen. Die Gefahr für Sänger*innen und Publikum (zumindest in den ersten Reihen) wird als hoch eingestuft. Unklar war allerdings, ob von Sänger*innen ein höheres Risiko ausgeht als von Schauspieler*innen. Das hat im August ein Team um Jonathan Reid von der Universität Bristol mit 25 professionellen Sänger*innen aus verschiedenen Musikrichtungen untersucht. Die PERFORM-Studie (ParticulatE Respiratory Matter to InForm Guidance for the Safe Distancing of PerfOrmeRs in a COVID-19 PandeMic) wurde in einem Operationssaal durchgeführt, in dem normalerweise streng aseptische orthopädische Eingriffe stattfinden. Der Saal verfügte über eine „laminar flow“-Belüftung, die die Luft frei von Keimen und anderen Partikeln hält. Die Experimente fanden deshalb vor einem „zero Aerosol“-Hintergund statt. Die Künstler*innen wurden gebeten, Töne und Melodien in einen Trichter zu singen. Dabei sollten sie die Lautstärke zwischen 50-60 dB, 70-80 dB und 90-100 dB variieren. Die aufgefangene Atemluft wurde mit einem „Aerodynamic Particle Sizer“ analysiert. Das Ergebnis: die Zahl der Partikel stieg mit der Lautstärke an. Dabei spielte es keine Rolle, aus welchem Fach die Sänger*innen waren. Opernsänger*innen produzierten nicht mehr Tröpfchen und Aerosole als Popmusiker*innen, sofern sie in der gleichen Lautstärke sangen. Auch das Geschlecht und der Body-Mass-Index oder die Lungenfunktion („Peak Flow“) beeinflussten die Messergebnisse nicht. Unterschiede zwischen den einzelnen Proband*innen gab es außerdem beim Atmen.
Deutscher Musikrat und Landesmusikräte fordern die Bundesregierung zur Koordination der Corona-Studienlage auf
Derzeit werden bundesweit zahlreiche Studien zur Gefahr einer Corona-Ansteckung durchgeführt. Die vielfältigen und zum Teil sehr unterschiedlichen Erkenntnisse dieser Untersuchungen werden zur Begründung herangezogen, wenn es um konkrete Hygienekonzepte und Verordnungen geht. So beruft sich auch der Berliner Senat in seiner aktuellen Corona-Verordnung, in der gemeinsames Singen in geschlossenen Räumen pauschal verboten wird, auf aktuelle Erkenntnisse der Wissenschaft. Der Deutsche Musikrat fordert die Bundesregierung angesichts dieser großen Bandbreite an Erkenntnissen und Meinungen unterschiedlicher Akteure dazu auf, die Studiesnlage zu koordinieren. Es gehe dabei um um Orientierung und Einordnung der natürlicherweise großen Bandbreite an Erkenntnissen. Ziel sei es, auch dem Musikleben unter Wahrung der Hygienevorschriften größere Handlungsspielräume zu eröffnen. Der Deutsche Musikrat hatte bereits am 03. Juni 2020 in einer Pressemitteilung das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt dazu aufgefordert, gemeinsam mit dem Robert Koch-Institut federführend Corona-Grundlagenforschung zur Ansteckungsgefahr in geschlossenen Räumen zu betreiben, zu koordinieren und zur Verfügung zu stellen. In Reaktion auf die aktuelle Corona-Verordnung des Berliner Senats hat der Deutsche Musikrat diese Forderung in einer Pressemitteilung vom 29. Juni 2020 nochmals bekräftigt.