Kevin Blechdom

“Gentlemania“

„Gentlemania“ ist musikalisch das bisher zugänglichste Album von Kevin Blechdom, aus San Francisco stammende Wahlberlinerin mit genderverwirrendem Künstlernamen (bürgerlich heisst sie Kristin Erickson). Auf früheren Platten – solo oder Kooperationen mit Blevin Blectum – kombinierte sie Electro mit schonungslos emotionalen Lyrics, versetzt mit kreischenden Gesangseinlagen und ihrem geliebten Banjo. Das Cover ihrer letzten Platte „Eat Your Heart Out“ musste mit einer neutralen Hülle versehen werden: Kevins nackten Oberkörper mit darauf drapierten Tierinnereien mochte man selbst der toleranten Indie-Käuferschaft nicht zumuten. Auf „Gentlemania“ lebt Blechdom nun ihre Liebe zur großen Popballade aus; ähnlich wie ihre Kollegen Antony und Rufus Wainwright hat sie keine Angst vor Pathos und Theatralik, also dem, was so mancher vorschnell „Kitsch“ nennen würde. Kevin Blechdom zieht den Hut vor klassischen Songwritern wie Burt Bacharach und orientiert sich gesanglich an ihrem Vorbild Nina Simone. „Face the Music“ ist eine Mini-Oper vom Schlage „Music was my First Love“ (John Miles), „I Thought I Knew You“ könnte ein Hit von Gnarls Barkley sein: Banjo, Handclaps und ein souliger Rhythmus machen den Track glatt radiotauglich. Ein Song wie „Lazy“ evoziert Bilder von glitzernden Varietébühnen oder gleich von Las Vegas – wäre da nicht der verstörende Text, in dem Kevin zu Background-Peitschenknallen S/M-Phantasien preisgibt: „you’re too lazy to spank me, you’re too lazy to whoop me, too lazy to act like a man…“. Im nächsten Stück bezeichnet sie sich zu fröhlichem Western-Banjo- Geklimper als „… monster, I can’t control myself“, verstellt ihre Stimme und jodelt sogar, die Peitsche aus „Lazy“ erscheint ein zweites Mal in „Tell Me Where It Hurts“, einem nur vordergründig nett-besorgten Liedchen. Dramatischer Chorgesang unterstreicht Verzweiflung und Lebensüberdruss in „Running Away“: „Gentlemania“ geht zwar lieblicher ins Ohr als Blechdoms ältere Platten, ist aber genauso schwer zu verdauen.

CD, 2009, 10 Tracks, Label: Sonig

Christina Mohr

25.04.2009