Telepathe

“Dance Mother“

Telepathe polarisieren: für die einen sind Melissa Livaudais‘ und Busy Gagnes‘ schwebende Sphärenklänge schlicht ungenießbar wie eine Überdosis Zuckerwatte, andere wiederum sehen in dem Brooklyner Duo würdige Nachfolgerinnen epochaler Shoegazer-Bands wie Galaxie 500 und My Bloody Valentine. Die Wahrheit – sofern es in puncto Musikempfinden überhaupt so etwas wie „Wahrheit“ geben kann – liegt wie so oft dazwischen. Telepathes erstes „langes“ Album nach der vielversprechenden EP „Farewell Forest“ entstand im Studio von David Andrew Sitek, seines Zeichens Gitarrist bei TV On The Radio und hingebungsvoller Fan altmodischer Synthesizer, bevorzugt aus den Achtzigern. Siteks historische Gerätschaften werden auf „Dance Mother“ verschwenderisch eingesetzt, flirrender Eighties-Elektro, Dubeffekte und Gitarrenpop sorgen dafür, dass die neun Tracks zeit-, ort- und körperlos wirken. Telepathe schaffen ihren ganz eigenen musikalischen Kosmos – und öffnen doch Vergleichen Tür und Tor: mal ist ihre „Wall of Sound“ dicht und opulent wie von Phil Spector geschaffen, mal fragil und flüchtig wie bei Lush oder minimalistisch-rau wie bei den frühen Slits und Raincoats. Der Kontrast aus engelsgleichen Vocals und dunklem Drumgrollen verdreht einem den Kopf und man muß schon ganz genau hinhören, um die Variationen im Detail mitzubekommen: schwergewichtige Synthie- und Subbass-Sounds dominieren den Opener „So Fine“, bei „Chrome’s On It“ wird mit komplett untanzbaren HipHop-Beats experimentiert, „In Your Line“ basiert auf tribalen Drums, „Michael“ und „Trilogy“ kombinieren Techno, Dubstep und schneidende Gitarren. Verschwörerisch und suggestiv wirkt „Lights Go Down“, hypnotisiert mit fragmentarischen oriental vibes; „Can’t Stand It“ beginnt elegisch und düster wie ein Cure-Song aus der „Pornography“-Ära, wird aber von Melissas und Busys hellen Stimmen abgefedert und landet so in einer surrealen Zwischenwelt. Knochentrockene Synthiebeats peitschen bei „Trilogy: Breath of Life, Crimes and Killings, Threads and Knives“, zögerlich entwickelt sich so etwas wie Dark-Disco, Trockeneisnebel zieht vor dem inneren Auge auf, Telepathe wispern dazu schläfrig, „my agenda is so tight, I’m tired, I’m tired“. Der Schlußtrack „Drugged“ ist eine erhabene, erhebende Elektronik-Oper mit einem Hauch Neofolk – und auf einmal ist der Spuk vorbei, verzaubert und verwirrt bleibt man zurück. Telepathe sind die Sirenen des Indiepop: kein Wunder, dass sich so manche/r vehement gegen sie wehrt.

CD, 2009, 9 Tracks, Label: VS

Christina Mohr

25.01.2009