Jessy Martens and Band

“Brand New Ride“

Der Franke gehört seinem Naturell nach zu einem besonderen Menschenschlag: Wortkarg, reserviert, schwer in Begeisterung zu versetzen, ist das höchste Lob, das er zu vergeben hat, ein gebrummtes „Bassd scho“ (=passt schon). Diese eklatante Euphorielosigkeit hat schon mancher hier gastierende Künstler zu spüren bekommen und es sah eines Spätsommer-Nachmittags in Fürth ganz so aus, als sollte auch die stimmgewaltige Hamburger Rock- und Bluessängerin Jessy Martens um diese Erfahrung nicht herumkommen. Sie sang – aber nein: sie zwitscherte, gurrte, schnurrte, schmetterte, röhrte, paradierte dazu auf der Bühne auf und ab, stampfte, flog, wirbelte – höflicher Applaus. Aber tatsächlich, nach bereits einer dreiviertel Stunde (!) war das Publikum nicht mehr zu halten und lag ihr buchstäblich zu Füßen… Es ist wirklich kein Wunder, dass Presse wie Publikum sie mit Lorbeeren überhäufen. Vergleiche mit bekannten Kolleginnen werden da gezogen: Ja, sie hat den rotzigen Charme einer Bette Midler, ja, auch das Feeling einer Amy Winehouse. Optisch  könnte sie sogar als deren propere und wesentlich gesündere Zwillingsschwester durchgehen. Dazu besitzt sie ganz offensichtlich die nötige Portion Selbstbewusstsein und Durchhaltevermögen, die man in diesem Business dringend braucht. Nach den ausgezeichneten Interpretationen bekannter Bluesnummern live und auf drei CDs durfte man gespannt sein auf die erste Scheibe mit Eigenkompositionen, und man wird nicht enttäuscht. In nur wenigen Monaten komponiert von der 24-jährigen Jessy und ihren Jungs, sehr gut produziert (TAO Studios Hamburg) und druckvoll stimmig eingespielt, ist „Brand New Ride“ ein amtliches Rock- und Bluesalbum. Melodiöse Midtemponummern wie das titelgebende Stück wechseln mit Abgehern wie „One Minute Love“ oder „Little Mama Don’t Play“ (…glaubt man ihr aufs Wort!). Auch bei Balladen wie „Undone“ oder „Fool for you“ zeigt sie Feeling und Glaubwürdigkeit. Einzig beim Text des 12-Takters „Touch My Blues Away“, der mit der hübschen Idee, synkopisch auf den Halbton über der Quinte zu gehen, aufwartet, wurde etwas zu tief in die Mottenkiste alter Bluesnummern gegriffen („When I Woke Up This Morning…“, „Ain’t Nobody’s Business…“). Jeder Song bietet Platz für ein Solo, Roman Werner (git) nutzt das zur Freude der Hörerin weidlich aus, Jan Fischer (keys) dagegen hält sich etwas zurück. Es sieht ganz so aus, als hätte die deutsche Blues-Ikone Joy Fleming eine würdige junge Nachfolgerin gefunden. Vielleicht wagt sich Jessy Martens demnächst sogar mal an ein Bluesalbum in deutscher Sprache. Aber auch so bewerte ich als Fränkin das  Album mit einem euphorischen „bassd scho!“

CD, 2011, 10 Tracks, Label: Moonsound

Fee Kuhn

18.12.2011