Crystal Castles

“Amnesty (I)“

Ein schwieriges Album: Unabhängig davon, ob und wie sehr frau die Musik auf Crystal Castles’ neuer Platte “Amnesty (I)” gefällt, lässt sich der unschöne vorausgegangene Zwist der beiden ehemaligen BandkollegInnen Alice Glass und Ethan Kath nicht komplett ausblenden. Kurzer Rückblick: Nach erfolgreichen Veröffentlichungen („Crystal Castles (II)“/2010, „Crystal Castles (III)“/2012) und aufsehenerregenden Tourneen bekam sich das kanadische Elektroclash-Duo, bestehend aus Producer Ethan Kath und Sängerin Alice Glass so heftig in die Haare, bis Glass ihren Ausstieg verkündete. Kath wiederum ließ keine Gelegenheit aus, um zu betonen, dass er allein für den einzigartigen, verstörenden Sound verantwortlich sei – und Glass „nur“ die Sängerin. Dabei blendete er aus, dass der Großteil der Faszination von Crystal Castles der charismatischen, zuweilen beängstigend intensiven Performance und dem unverwechselbaren Gesangsstil Glass’ zuzuschreiben ist. 2015 brachte Alice Glass ihr Soloalbum „Stillbirth“ heraus, nun erscheint auch Crystal Castles’ neue Platte „Amnesty (I)“ – mit der neuen Sängerin Edith Frances. Das Albumcover mit den sich gespenstisch ähnelnden Mädchen mag ein Nachtreten Kath’ in Richtung Glass sein: Schau doch, wie leicht du zu ersetzen bist. Doch ganz so einfach ist das natürlich nicht, und auch wenn Frances zweifelsohne eine tolle Stimme hat – frau höre nur mal in das ungewohnt emotionale, geradezu poppig-eingängige „Char“ hinein -, ist „Amnesty (I)“ auch aus anderen Gründen weniger intensiv und fesselnd als seine Vorgänger, ganz so, als habe Kath zu viel Energie ins Streiten gesteckt statt in die Musik. Das atonale Wüten auf den Geräten ist einer seltsamen Statik gewichen, Ausflüge in Richtung Pop (siehe „Char“) bleiben halbherzig. Alice Glass’ Schatten schwebt über dieser Platte, was ungerecht gegenüber Frances, aber wohl kaum zu verhindern ist. Unlängst bezeichnete Glass Kath als „antifeministisch“ – wie aus Trotz beginnt das Album mit dem Track „Femen“; andere Stücke wie „Sadist“ oder „Frail“ spielen mit provokanten Themen, erzielen aber keine schockierende oder aufwühlende Wirkung mehr. Zurzeit scheint es, als ob nur Alice Glass gestärkt aus der Trennung hervorginge – Edith Frances hätte ihrerseits einen neuen Start verdient, eventuell ebenfalls ohne Ethan Kath.

CD, 2016, 11 Tracks, Label: Fiction

Christina Mohr

01.09.2016