Sinéad O’Connor

“How About I Be Me (And You Be You)“

Eine neue Platte von Sinéad O’Connor ist nie „nur“ eine weitere Veröffentlichung im turbulenten Popbetrieb. Die irische Sängerin und Songwriterin ist auch mit mittlerweile 45 Jahren noch immer so voller Zorn – sie engagiert sich z.B. leidenschaftlich für die Missbrauchsopfer der irischen katholischen Kirche -, dass ihr jedwede Distanz zu ihren
Songs abgeht. O’Connors Musik funktioniert wie eine Therapiesitzung: die Texte sind so intim und schonungslos ehrlich, dass es beim Zuhören beinah weh tut. O’Connors aktuelles Album „How About I Be Me (And You Be You)“ greift so schmerzhafte Themen wie Kindesmisshandlung und häusliche Gewalt auf und entstand zudem in einer äußerst wechselvollen Phase im Leben der Sängerin: Sinéads jüngste Ehe dauerte gerade mal zwei Wochen, langjährige Drogenabhängigkeit zollte ihren Tribut, unlängst kursierten gar Gerüchte über einen Suizid-Versuch. Dementsprechend „nackt“ klingen die neuen Songs, als fehle ihnen eine schützende Hülle. Die Kompositionen sind überwiegend nicht besonders gut, wirken unbeholfen und steif – an einigen Stellen blitzt aber Hoffnung, Lebensmut und O’Connors alte Power aus „Mandinka“-Zeiten auf: der Opener „4th and Vine“ zum Beispiel, ein Song über Liebe und Hingabe, schunkelt auf einem angedeuteten HipHop-Beat; „I Had A Baby“ ist eine sehr intensive und ja, zornige Ballade aus der Perspektive einer allein erziehenden Mutter, die ihrem Kind erklären muss, dass sein Vater sich nicht zu ihm bekennt. Auch der Schlusstrack „V.I.P.“, der mit dem vermeintlich glamourösen Star-Dasein abrechnet, ist ein Höhepunkt der Platte. O’Connors Stimme schlägt keine wilden Kapriolen mehr wie vor 25 Jahren, klingt aber klar, fest, erwachsen und emotional – wer sich nicht davor fürchtet, in die Abgründe von O’Connors gemarterter Seele zu blicken, wird auf „How About I Be Me“ einige erstaunliche Entdeckungen machen.

CD, 2012, 10 Tracks, Label: One Little Indian

Christina Mohr

13.03.2012