RockCity in Hamburg sieht in den Maßnahmen die Zerstörung der Kulturlandschaft in Deutschland und stellt sich in einem eindringlichen Appell offen dagegen: „Auch der Kulturbereich [ist] bereit, Einschränkungen hinzunehmen, wo sie notwendig und verhältnismäßig sind. Wir haben Verständnis gezeigt, Einschränkungen bis in die Existenznot hingenommen, Geduld und Spucke bewiesen und die besten Hygienekonzepte des Landes präsentiert, ohne jemandem an den Kragen zu gehen. (…) Die Kulturbranche hat gelitten, ausgehalten, querfinanziert, runtergeschraubt und ihre Altersversorgung aufgegessen. Doch seit Sie die gesamte Kulturszene zum Sozialfall machen, ist unsere Geduld am Ende. Das ist nicht länger hinnehmbar, sichern Sie die Kulturwirtschaft während und nach der Corona-Krise!“. Die Verfasser*innen fordern: „Verzahnen Sie endlich die Kulturförderung mit der Wirtschaftsförderung, retten Sie die Kulturhäuser, schaffen Sie Bestandsschutz und finanzielle Absicherung, machen Sie Arbeitslosenversicherung zu Einkommensausfallversicherung, schaffen Sie den Unternehmer_innenlohn, erhalten Sie unsere Räume und bewahren Sie Akteur_innen und Gesellschaft vor den von Ihnen in Kauf genommenen und somit geplanten Verlusten!“ Hier geht es zum ganzen Text.
Der Verband Deutscher Bühnen- und Medienverlage e.V. unterstützt den Appell der Kultusministerinnen und -minister vom 30.10.2020, eine Förderung für Soloselbständige unabhängig von anfallenden Betriebskosten vorzusehen und bittet ausdrücklich um Berücksichtigung der besonderen Finanzierungssituation dieses für den Kulturstandort Deutschland elementaren Bereiches. Er wendet sich mit einem Offenen Brief an den Bundesminister der Finanzen und den Bundesminister für Wirtschaft und Energie. Darin heißt es: „Wir begrüßen die Ankündigung der außerordentlichen finanziellen Unterstützung der betroffenen Berufszweige ausdrücklich. Erste Informationen lassen jedoch befürchten, dass die Unterstützung viele Künstler*innen nicht erreichen könnte, da sie sich ausschließlich auf fixe Betriebskosten beziehen soll. Insbesondere für die Bühne schreibende Künstler*innen, also Bühnenautor*innen, Komponist*innen und Übersetzer*innen, haben in der Regel kaum Betriebskosten, die geltend gemacht werden können. Dies hat sich bereits bei bisherigen Unterstützungsmaßnahmen gezeigt. Sie bestreiten ihren Lebensunterhalt zum maßgeblichen Teil von Urhebervergütungen aus Bühnenaufführungen. Diese bleiben durch die Schließung der Konzerthäuser, Opern und Theater nun vollständig aus.“
Hessens Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir und Kunst- und Kulturministerin Angela Dorn verteidigen gemeinsam die neuen Einschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie: „Die Infektionszahlen steigen seit Wochen an. Wir haben diesen Trend bis heute nicht stoppen können. Was uns vor allem alarmiert: In drei von vier Fällen können die Gesundheitsämter nicht mehr sagen, wo sich die Infizierten angesteckt haben. Das lässt nur einen Schluss zu: Wir müssen Kontakte wieder massiv reduzieren. (…) Diese erneuten Einschränkungen sind ein harter Schnitt. Ganz besonders im Kulturbereich: Kultur lebt vom direkten Kontakt zwischen Menschen, das ist ihre große Qualität, das macht sie aber auch so verwundbar. Kultur ist ein unersetzlicher Teil einer lebendigen demokratischen Gesellschaft und ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Aber wir sollten nicht vergessen, worum es geht: Diese Beschränkung ist ein Beitrag dazu, die Gesundheit von Menschen zu schützen und eine tückische Krankheit aufzuhalten, die schwere bleibende Schäden verursachen und tödlich sein kann. (…) Vom Restaurant bis zum Fitnessstudio, vom Kino über das Theater bis zum Museum: An ganz vielen dieser Orte sind umfangreiche Hygienekonzepte erarbeitet und umgesetzt worden. Das ist wichtig und das war vor allem nicht umsonst! Denn wir werden die Konzepte dringend benötigen, wenn diese Bereiche hoffentlich bald wieder öffnen können. (…) Jetzt geht es darum, Hilfen auf die Beine zu stellen, die bei denen ankommen, die sie am meisten brauchen. Die Bundesregierung hat finanzielle Hilfen für betroffene Betriebe und auch für Soloselbstständige angekündigt, die deutlich weitreichender sind als im März.“
Der Musikrat in Rheinland-Pfalz sieht den neuen Lockdown als „Katastrophe für die Musik“. Er begrüßt zwar die Möglichkeit, dass der außerschulische und schulische Musikunterricht weiterhin stattfinden kann, sieht aber für die Laien- bzw. Amateurmusik und die Soloselbständigen deutlichen Nachbesserungsbedarf. Kritisiert wird zum Beispiel, dass Proben und Auftritte für Chöre und Blasorchester untersagt wurden, allerdings der Einsatz von Chören und Blasorchestern im Gottesdienst erlaubt ist – dies stelle eine Ungleichbehandlung dar. Für die Unterstützungen für Soloselbstständige fordert der Musikrat: „Die begrüßenswerten Unterstützungen seitens des Bundes mit bis zu 75% Prozent des Umsatzes im November 2019 oder anderen Vergleichseinnahmen sind aktuell nur unter Zuhilfenahme eines Steuerberaters möglich. Vor allem Solo-Selbständige mit nahezu prekären Einkommensverhältnissen, wie sie in der Musik leider oft zu finden sind, verfügen über keinen eigenen Steuerberater und werden von den ohnehin stark belasteten Steuerberatungskanzleien bei solch geringen Umsätzen nicht aufgenommen. Hier muss dringend nachgebessert werden. Darüber hinaus wird mit diesem einmonatigen Ansatz der Eindruck vermittelt, den Solo-Selbständigen würde umfassend geholfen werden. Die Wahrheit ist, dass dieser Personengruppe seit März 2020 keine angemessene Unterstützung zuteilwurde. Ein Monat der Kompensation reicht nicht aus!“ Auch die Schließung der Kultureinrichtungen trotz überzeugender Hygienekonzepte sind für den Musikrat RLP nicht nachvollziehbar.
Auch in München stößt die Schließung der Bühnen auf wenig Verständnis. Darum setzen nach dem gemeinsamen offenen Brief ihrer Intendantinnen und Intendanten an Ministerpräsident Markus Söder vom 26. Oktober die Münchner Bühnen nun erneut ein Zeichen. Während der Dauer der Schließung werden die Bayerische Staatsoper, das Residenztheater, der Gasteig, das Gärtnerplatztheater, das Prinzregententheater, das Staatstheater Augsburg sowie das Deutsche Theater jeweils von 16.30 bis 22 Uhr rot beleuchtet. Dieses Statement soll unter dem Motto #alarmstuferot das Augenmerk auf die besondere Situation der Kulturschaffenden richten. Die Tatsache, dass umfangreiche Hygienekonzepte vorliegen und erprobt sind, findet bei der Entscheidung keine Berücksichtigung. Des Weiteren wird außer Acht gelassen, dass kulturelle Einrichtungen mehr als bloße Freizeiteinrichtungen sind. Die Ensembles der beteiligten Theater formulieren dies in einem offenen Brief: „Auf die gesellschaftliche Lage kreativ zu reagieren und Denkanstöße anzubieten, ist unsere Kunst. Eine Kunst, die in diesen Zeiten Halt geben kann und muss.“
Das Bündnis Alarmstufe Rot rief auf Initiative der Münchner Philharmoniker dazu auf, am 02.11.2020 um 20 Uhr – dem Tag des Kultur-Lockdowns – Videos, Livestreams und Beiträge zu veröffentlichen, die individuell dargestellte Stille zeigen. Dies immer mit dem einenden Hashtag „#sangundklanglos #alarmstuferot“, in allen verfügbaren Medien und auf allen Kanälen. Auf der Webseite des Bündnisses sind einige Ergebnisse dieser Aktion zu sehen.
Der Deutsche Kulturrat veröffentlicht zum zweiten Mal in diesem Jahr die rote Liste durch Corona bedrohter Kultureinrichtungen. Politik & Kultur, die Zeitung des Deutschen Kulturrates, stellt dazu die Arbeit der Einrichtungen vor und teilt sie, in Absprache mit den Institutionen, in Gefährdungskategorien von 0 (geschlossen) bis 4 (Gefährung aufgehoben/ungefährdet) ein. Die zweite Liste stellt vier neue gefährdete Kulturinstitutionen vor. Hinweise zu weiteren durch Corona bedrohten Kultureinrichtungen und Initiativen nimmt der Kulturrat unter ed.ta1728498994rrutl1728498994uk@ku1728498994p1728498994 gern entgegen.
Beitragsbild: Staatstheater am Gärtnerplatz, rot beleuchtet (Foto: Christian Pogozach)